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„Die HPV-Prävention muss in der Schule beginnen“

Obwohl die HPV-Impfung das Risiko für Gebärmutterhalskrebs nachweislich senkt, sind die Impfquoten in Deutschland weiterhin zu niedrig. Im Interview erklärt Prof. Annette Hasenburg, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft, warum es einen dringenden Kurswechsel in der Präventionsarbeit braucht.

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Das Bild zeigt im Vordergrund ein Mädchen im Teenager-Alter, im Hintergrund eine Gruppe von weiteren Mädchen im gleichen Alter.
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Das Bild zeigt Professorin Annette Hasenburg, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft.
Interview mit :

Annette Hasenburg

Prof. Annette Hasenburg ist Direktorin der Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauengesundheit an der Universitätsmedizin Mainz.

Frau Professorin Hasenburg, die neuen Auswertungen des WIdO geben Hinweise, dass bei HPV-geimpften Frauen nur etwa halb so häufig Konisationen notwendig sind wie bei ungeimpften. Was sagen diese Ergebnisse aus?

Konisationen werden durchgeführt, wenn Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs entdeckt werden. Wenn die Impfung gegen die auslösenden Humanen Papillomviren (HPV) wirkt, treten diese Vorstufen seltener auf – entsprechend sinkt auch die Zahl der nötigen Konisationen. Noch entscheidender ist allerdings, ob die Impfung auch das Risiko für ein Zervixkarzinom selbst senkt. Dazu liegen überzeugende Daten vor, unter anderem aus Studien, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden.

Eine große Untersuchung in Schweden mit 1,6 Millionen geimpften Mädchen und jungen Frauen zwischen 10 und 30 Jahren zeigt: Über einen Zeitraum von zehn Jahren erkrankten geimpfte Frauen um mehr als 50 Prozent seltener an Gebärmutterhalskrebs. Die Impfung schützt also nicht nur vor Vorstufen, sondern reduziert eindeutig auch die tatsächlichen Krebsfälle.

Trotz dieser Vorteile liegt die Impfquote in Deutschland noch deutlich unter dem WHO-Ziel von 90 Prozent. Welche Gründe sehen Sie dafür?

In den nordischen Ländern sind Impfungen fest im Schulsystem verankert, ähnlich wie die Kariesprophylaxe. In Deutschland hingegen sind aktuell nur etwa 55 Prozent der Mädchen und 34 Prozent der Jungen gegen HPV geimpft – das sind wirklich schlechte Zahlen. Ein wesentlicher Grund ist die nach wie vor unzureichende Aufklärung. Ich erlebe regelmäßig Patientinnen, die gar nicht wissen, dass es die HPV-Impfung überhaupt gibt. Gleichzeitig wächst die Zahl der Impfgegner, was das allgemeine Misstrauen gegenüber Impfungen weiter verstärkt und verhindert, dass wir die notwendigen Impfquoten erreichen.

Wie sieht es im internationalen Vergleich aus?

Ich war gerade auf dem FIGO-Kongress, dem Weltkongress der International Federation of Gynecology and Obstetrics in Kapstadt. Dort habe ich unter anderem Frauen aus Indien und afrikanischen Ländern getroffen, die mit großem Einsatz dafür kämpfen, Frauen für fünf Dollar pro Impfung versorgen zu können – ein Betrag, der oft dennoch nicht aufgebracht werden kann. Sie sagen daher: Lieber drei Frauen einmal impfen als eine Frau dreimal. In Deutschland hingegen ist die Impfung kostenlos. Das Gesundheitssystem übernimmt alles – und dennoch greifen viele nicht zu.

Dabei sollten konsequent alle Mädchen und Jungen ab dem neunten Lebensjahr gegen HPV geimpft werden, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Diese fehlt hierzulande bislang, anders als etwa bei Masern.

Dafür bräuchten wir deutlich mehr Verhältnisprävention: also Rahmenbedingungen, die Gesundheit fördern und Risiken für Erkrankungen wie Gebärmutterhalskrebs nachhaltig senken.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, um Kinder und Jugendliche früher und gezielter zu erreichen?

Notwendig ist ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz, der über individuelles Verhalten hinausgeht. In Deutschland ist das bisher kaum umgesetzt. Wir bräuchten Initiativen, wie eine Zertifizierung zur „gesunden Schule“, analog zum „babyfreundlichen Krankenhaus“, oder ein eigenes Schulfach „Gesundheits- und Lebenskompetenz“.

Ein entsprechendes Positionspapier des ersten nationalen Krebspräventionsgipfels empfiehlt genau solche Maßnahmen. Diese würden das Gesundheitsbewusstsein nachhaltig stärken. Denn die HPV-Prävention muss in der Schule beginnen – gemeinsam mit Eltern sowie den Kinderarztpraxen. Frauenärztinnen und -ärzte kommen viel zu spät ins Spiel, denn die Impfung sollte idealerweise vor dem ersten Sexualkontakt erfolgen.

Der aktuelle Früherkennungsmonitor zeigt, dass eine große Anzahl von Frauen regelmäßig an der Vorsorge teilnimmt. Was bedeutet die hohe Teilnahmequote für die Krebsprävention in Deutschland?

Nur etwa die Hälfte der Frauen in Deutschland ist überhaupt gegen HPV geimpft. Das heißt: Viele Frauen, die zur Vorsorge kommen, haben diesen Schutz nicht oder nicht rechtzeitig erhalten. Hinzu kommt, dass Gebärmutterhalskrebs auch bei Geimpften auftreten kann. Das Risiko ist zwar verringert, aber nicht gleich null. Außerdem umfasst die Vorsorge nicht nur Gebärmutterhalskrebs, sondern auch andere Krebsarten wie Scheiden- oder Schamlippenkrebs. Deshalb ist es essenziell, dass Frauen regelmäßig zur Vorsorge gehen.

Allein durch den Pap-Abstrich ist das Zervixkarzinom in den letzten 30 Jahren von einem der häufigsten Karzinome der Frau in Deutschland zum zwölfhäufigsten geworden. Die Kombination aus Primärprävention durch Impfung und Sekundärprävention durch Vorsorge ist daher der Schlüssel.

Wie können Ärztinnen und Ärzte helfen, Ängste abzubauen und die Impfquote zu steigern?

Vor allem durch Zeit für Aufklärung. Die sogenannte „sprechende Medizin“ wird jedoch in unserem Gesundheitssystem bislang nicht angemessen vergütet. Dabei ist gerade das persönliche Gespräch entscheidend – vor allem, wenn Menschen skeptisch sind.

Wir brauchen bessere Informationen, gut verständliche Broschüren und klare Empfehlungen – schon in den Kinderarztpraxen oder auch über die Mütter, die zu Frauenärztin oder -arzt kommen.

Wichtig ist außerdem, auch die Männer stärker einzubeziehen – Väter im Hinblick auf ihre Söhne, aber auch junge Männer selbst. Vielen ist nicht bewusst, dass sie durch eine HPV-Impfung nicht nur ihre Partnerin schützen, sondern auch ihr eigenes Risiko etwa für ein Plattenepithelkarzinom senken können.

Welche Chancen sehen Sie in digitalen Erinnerungsangeboten oder einem strukturierten Einladungsverfahren?

Das halte ich für sehr sinnvoll. Denken Sie an die Einführung der Gurtpflicht: Anfangs gab es viele Bedenken, heute ist das Anschnallen eine Selbstverständlichkeit – ebenso wie die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder. Der Staat muss präventive Maßnahmen stärker standardisieren. Ein simples Beispiel wäre eine regelmäßige Erinnerung: „Haben Sie Ihr Kind schon gegen HPV impfen lassen?“ Solche Impulse können viel bewirken.

Welche Rolle sollte die Aufklärung über Prävention insgesamt – auch jenseits der HPV-Impfung – in der täglichen Kommunikation mit Patientinnen und Patienten spielen?

Prävention sollte ein zentraler Bestandteil ärztlicher Kommunikation sein. Doch aktuell fehlt es dafür an struktureller und finanzieller Unterstützung. Bayern hat als erstes Bundesland eine klimasensible Gesundheitsberatung eingeführt – ein gutes Beispiel für nachhaltige Präventionsarbeit. Denn je mehr Menschen gesund bleiben, desto weniger medizinische Ressourcen werden benötigt. Trotzdem ist unser Gesundheitssystem noch immer darauf ausgerichtet, Krankheiten zu behandeln – nicht, sie zu verhindern. Dabei ist zum Beispiel die Therapie eines Zervixkarzinoms mit Operationen, Systemtherapien und möglichen Komplikationen sehr viel teurer als eine Impfung.

Welche Botschaft halten Sie anlässlich des „Tags der Krebsvorsorge“ für besonders wichtig?

Nehmen Sie Ihre Gesundheit selbst in die Hand. Sie haben nur ein Leben – achten Sie darauf. Bleiben Sie körperlich aktiv, halten Sie ein normales Gewicht, trinken Sie wenig Alkohol, rauchen Sie nicht und ernähren Sie sich gesund. Und: Lassen Sie sich impfen und nehmen Sie regelmäßig an den Vorsorgeuntersuchungen teil.

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HPV-geimpfte Frauen benötigen deutlich seltener eine Konisation, das zeigen Daten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Zum „Tag der Krebsvorsorge“ forderten AOK und Deutsche Krebsgesellschaft höhere Impfquoten und erinnerten an die Bedeutung der Vorsorge.

Format: PDF | 831 KB

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