„Osteoporose systematisch behandeln“
Mit dem strukturierten Behandlungsprogramm für Osteoporose erhalten Ärzte seit 2024 eine praxisnahe Grundlage für eine gezielte Versorgung. Christopher Niedhart war an der DMP-Entwicklung beteiligt. Im Interview erläutert er, wie das Programm funktioniert, den Nutzen für die Praxis – und wie es die Versorgung nachhaltig verbessert.

Interview mit Prof. Dr. Niedhart, Präsident der Orthopädischen Gesellschaft für Osteologie e. V.
Herr Prof. Niedhart, was war der Auslöser für die Entwicklung des DMP Osteoporose?
Die Versorgung war lange unzureichend. Wir hatten hohe Frakturraten, enorme Folgekosten – und trotzdem wurde die Erkrankung nicht ernst genug genommen. Das Programm schafft eine strukturierte Grundlage für bessere Versorgung.
Was leistet das Programm?
Es bietet eine standardisierte Anleitung: Risikoevaluation, Diagnostik, Therapie, Verlaufskontrolle. Ziel ist, mehr Betroffene frühzeitig zu identifizieren und konsequent zu behandeln.
Wie ist die Resonanz unter Kollegen?
Erstaunlich positiv. Gerade konservativ tätige Orthopäden sind engagiert dabei. Und auch die Hausärzte, von denen viele zunächst als zurückhaltend eingeschätzt wurden, haben sich mit großer Offenheit eingebracht. Die Teilnahmequote steigt stetig. In Nordrhein hatten wir zuletzt eine Informationsveranstaltung mit fast 300 Hausärztinnen und Hausärzten – das Feedback war durchweg konstruktiv.
Warum ist die Rolle der Hausärzte so entscheidend?
Sie sind oft die erste Anlaufstelle – gerade bei älteren Patientinnen und Patienten mit unspezifischen Beschwerden oder nach Frakturen. Viele Hausarztpraxen sind bereits mit DMP-Strukturen vertraut, etwa bei Diabetes oder KHK. Das erleichtert die Integration des neuen Programms erheblich.
Zudem können Hausärzte durch ihre kontinuierliche Betreuung eine hohe Therapietreue fördern.
Wie hoch ist der Dokumentationsaufwand?
Der ist nicht zu unterschätzen. Gerade in den ersten Quartalen braucht es Zeit, bis sich die Abläufe einspielen. Wer das aber einmal etabliert hat, profitiert langfristig – auch durch die strukturierte Rückmeldung zur eigenen Versorgung.
Was muss dokumentiert werden?
Therapie, Nebenwirkungen, neue Frakturen, Sturzrisiko, Blutdruck. Letzteres ist für Orthopäden eher ungewohnt. Es sind klare Standards, die sich gut integrieren lassen, wenn die Prozesse einmal stehen.
Wie sieht es mit der Vergütung aus?
Sie ist angemessen für den Aufwand. Der eigentliche Gewinn liegt aber in der Versorgungsqualität – und in der Transparenz über die eigene Praxisleistung.
Und welche Rolle spielt die sektorenübergreifende Versorgung?
Eine zentrale Rolle. Viele Patientinnen und Patienten mit Frakturen gehen nach dem Klinikaufenthalt verloren. Das strukturierte Behandlungsprogramm ist ja rein ambulant – aber parallel laufen Projekte wie der Fracture Liaison Service, etwa in München. Dort identifizieren spezialisierte Pflegekräfte im Krankenhaus gezielt Patientinnen und Patienten mit osteoporosebedingten Frakturen und koordinieren deren Weiterbehandlung im ambulanten Bereich. Ziel ist, Folgefrakturen durch frühzeitige Diagnostik, leitliniengerechte Therapie und gezielte Sturzprophylaxe zu verhindern.
Was hat sich in Ihrer eigenen Praxis verändert?
Wenig – wir haben schon vorher standardisiert gearbeitet. Aber das Programm hilft, Prozesse zu reflektieren. Es zeigt, wo man etwa weniger Sturzprophylaxe empfiehlt als der Durchschnitt – und regt zur Nachjustierung an.
Wie funktioniert die Patientenschulung?
Fünf Module à eine Stunde, mit Fokus auf Bewegung, Ernährung und Selbstwirksamkeit. Gerade ältere Patientinnen profitieren enorm, wenn sie merken: Ich kann selbst etwas tun – und es wirkt.
Die Schulung ist didaktisch aufgebaut: Schon im ersten Modul werden alltagsrelevante Themen wie Ernährung und körperliche Aktivität integriert, um früh einen Lerneffekt zu erzielen. Besonders wichtig ist die Motivation durch kleine Erfolgserlebnisse – etwa durch einfache Übungen, die spürbar besser gelingen.
Und wie werden Ärzte auf die Schulung vorbereitet?
Die Trainerschulung umfasst acht Stunden: vier zur Wissensvermittlung, vier zur Didaktik. Besonders für Orthopäden ist das oft Neuland, da sie in der Regel keine Gruppenschulungen durchführen. In den didaktischen Modulen geht es darum, wie man eine Gruppe aktiviert, wie man erkennt, ob die Teilnehmenden noch folgen – und wie man bei nachlassender Aufmerksamkeit sinnvoll reagiert. Ziel ist, dass die Schulenden nicht nur fachlich sicher sind, sondern auch methodisch überzeugen.
Könnten künftig auch Pflegekräfte oder Physiotherapeuten eingebunden werden?
Das wäre sinnvoll, ist aber rechtlich noch nicht vorgesehen. Erste Ansätze gibt es, etwa in Medizinischen Versorgungszentren oder mit Physician Assistants. Ich denke, da wird sich in Zukunft noch etwas bewegen.
Wie sieht es mit der Weiterentwicklung aus?
Die Aktualisierung läuft regelmäßig über den G-BA. Anfang nächsten Jahres geht die Neufassung ins Plenum. Dort werden offene Punkte wie die Einbeziehung weiterer Fachgruppen oder die Definition der Zielgruppen diskutiert.
Gibt es Daten zur Wirksamkeit?
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung begleitet das Programm wissenschaftlich. Es gibt Auswertungen zur Versorgung, etwa zur Sturzprophylaxe. Was fehlt, ist eine echte Kontrollgruppe – aus ethischen Gründen. Wir können nicht Patienten bewusst ausschließen.
Ein Blick ins Ausland: Was machen andere Länder besser?
Die strukturierte Nachsorge nach Frakturen. In England etwa gibt es in jedem Krankenhaus eine sogenannte Fracture Liaison Nurse, die sicherstellt, dass Patientinnen und Patienten nach einer Fraktur gezielt osteologisch weiterbehandelt werden. Dieses Modell verbessert die Versorgung deutlich und dient auch hierzulande als Vorbild für sektorenübergreifende Ansätze.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview und Text von Frank Brunner
Weiterführende Informationen
- PRO DIALOG vom 28.08.2025DMP im Fokus: Osteoporose und Rheumatoide Arthritis
Die aktuelle Ausgabe als PDF

Das Disease-Management-Programm (DMP) Osteoporose zeigt bereits, wie sich Versorgung durch strukturierte Abläufe, bessere Vernetzung und klare Leitlinien verbessern lässt. Mit dem neuen DMP Rheumatoide Arthritis soll nun ein ähnlicher Erfolg erzielt werden.
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