Mindestmengen: Mehr Schutz für die Kleinsten
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) will die Versorgung von Neugeborenen und Kindern verbessern. Um bestimmte komplexe Operationen bei seltenen neurologischen Erkrankungen und Fehlbildungen des Darms durchführen zu können, sollen Kliniken bei diesen Eingriffen künftig bestimmte Fallzahlen vorweisen müssen. Die Mindestmengenregelungen bewirken, dass die Leistungen an weniger Standorten gebündelt werden, Kliniken sich stärker spezialisieren und die Qualität der Versorgung steigt. Doch das wirkungsvolle Instrument steht politisch unter Druck.

STREITFALL QUALITÄT
Warum Erfahrung und Routine sichergestellt werden müssen
Um die Qualität der Versorgung bei anorektalen Malformationen und Morbus Hirschsprung zu verbessern, will der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Operationen mit Mindestmengen belegen. Die wenigen Fälle sollen künftig an Häusern behandelt werden, die mehr Erfahrung mit dem Eingriff haben.
Kliniken, die angeborene Fehlbildungen des Enddarms, sogenannte anorektale Malformationen (ARM), korrigieren, sollen künftig bestimmte Fallzahlen bei dieser Behandlung vorweisen müssen. Entsprechende Beratungen hat der G-BA im Oktober angestoßen. Auch für Operationen bei Morbus Hirschsprung, einer neuronalen Erkrankung des Dickdarms bei Kindern, sollen die Kliniken künftig ihre Erfahrung anhand von Fallzahlen belegen. Hintergrund ist, dass die seltenen Erkrankungen bisher an sehr vielen Kliniken operiert werden: Bei zirka 300 Kindern, die mit ARM geboren werden, übernahmen von 2020 bis 2022 insgesamt 109 Kliniken die Versorgung – darunter 28 mit weniger als einem Fall pro Jahr. Noch höher ist der Anteil Gelegenheitsversorger bei Morbus Hirschsprung: 34 von 88 Häuser führen den Eingriff seltener als einmal jährlich durch. Für beide Indikationen haben etwa die Niederlande bereits eine Mindestmenge von 20 Fällen pro Jahr eingeführt.
Mindestmengen sichern in vielen anspruchsvollen Versorgungsbereichen die Qualität der Behandlung. Die jüngsten Entscheidungen der Krankenkassen zur Genehmigung komplexer Eingriffe haben erneut bewirkt, dass die Eingriffe an weniger Standorten gebündelt werden, um dort die Expertise sicherzustellen. Allein in Nordrhein-Westfalen haben im Bereich der Knie-Totalendoprothesen 55 Kliniken ihre OP-Berechtigung verloren, damit die Versorgung besser wird. Die Vorteile hoher Fallzahlen sind in wissenschaftlichen Studien belegt. Mögliche Auswirkungen, etwa längere Fahrtzeiten, werden in dem Schwellenwert berücksichtigt.
Eine Frage von Überleben und Lebensqualität
Dennoch bleiben die Vorgaben umstritten: Erst im Sommer dieses Jahres haben die drei Bundesländer Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt eine gemeinsame Verfassungsklage gegen die Mindestmenge für die Versorgung extrem kleiner Frühchen, die Transplantation allogener Stammzellen und die Personalvorgaben für psychiatrische Kliniken eingereicht. Hintergrund ist der Beschluss des G-BA, dass Perinatalzentren (PNZ) in Deutschland seit 2024 jährlich die Behandlung von mindestens 25 Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm vorweisen müssen – eine Entscheidung, die Fachgesellschaften und Elternorganisationen begrüßten, die Länder aber als Eingriff in ihre Planungshoheit begreifen.
Der Unparteiische Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, bedauert dies im konkreten Fall besonders: „Die Frage nach Kompetenzen geht zulasten von Menschen – um es auf den Punkt zu bringen: Es geht nicht selten um die Frage, ob Menschen überleben und ob sie gut überleben.“ Studiendaten aus den 2010er-Jahren zeigen, dass die Kinder in PNZ dann optimal behandelt werden, wenn diese jährlich 50 bis 60 Frühgeborene versorgen. Aktuelle Analysen aus Thüringen und Sachsen zeigen zudem, dass längere Anfahrtswege für die Kinder keine Nachteile haben, im Gegenteil: In regionalen PNZ (Level 1) lag die risikoadjustierte Mortalitätsrate Frühgeborener deutlich niedriger als unter vergleichbaren Frühgeborenen in wohnortnahem Geburtskliniken (Level 2).
PRESSEECHO
In Husum wird neu gebaut
Das Klinikum Nordfriesland erhält am Standort Husum einen Krankenhausneubau. Gesundheitsstaatssekretär Olaf Tauras übergab einen Fördermittelbescheid über 1,1 Millionen Euro zur Finanzierung der vorbereitenden Planung. Damit werde ermöglicht, dass die Planungen weitergehen können, sagte Tauras bei der Übergabe des Bescheids: „Land und der Kreis stellen sich ihrer Verantwortung für die Krankenhausinfrastruktur.“ Der Geschäftsführer des Klinikums Nordfriesland, Stephan W. Unger, geht für das Projekt von rund drei Jahren Planungsdauer, fünf Jahren Bauzeit und Kosten von mindestens 200 Millionen Euro aus. Entstehen soll das Gebäude auf einer etwa sieben Hektar großen Fläche am Stadtrand.
Stern.de, 5. Dezember 2025
Millionenförderung für Klinikneubau
Das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat dem Kreis Minden-Lübbecke und den Mühlenkreiskliniken (MKK) eine Förderung in Höhe von 178 Millionen Euro für geplante Klinikbauten bestätigt. Das teilte der Sprecher der kreiseigenen Mühlenkreiskliniken mit. Die Gelder dienten der Umsetzung der medizinstrategischen Planung und der Zusammenführung von fünf auf künftig drei Standorte. Gemeint sind Minden, Bad Oeynhausen und Espelkamp. Am künftigen Standort Espelkamp sollen die bisherigen Krankenhäuser Rahden und Lübbecke zusammengeführt werden. Das Krankenhaus in Rahden ist seit Anfang dieses Jahres außer Betrieb.
Neue Westfälische, 22. November 2025
Spatentisch für digitales Herzzentrum
Vertreter aus Wissenschaft und Politik feierten Ende Oktober den symbolischen Spatenstich am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD). Auf dem Gelände der ehemaligen Kinderklinik des UKHD soll ein neues Herzzentrum als zentrale Anlaufstelle für Patienten jeden Alters und mit Herzerkrankungen aller Art entstehen – ein langer, fünfgeschossiger Neubau mit rund 22.500 Quadratmetern Nutzfläche. Die Baukosten für das zukunftsweisende Projekt belaufen sich auf rund 557 Millionen Euro. Davon steuert das Land rund 283 Millionen Euro bei, das Universitätsklinikum und die Universität Heidelberg 144 Millionen. Mit Spenden fördern außerdem die Dietmar-Hopp- und die Klaus-Tschira-Stiftung (100 bzw. 29 Millionen Euro) das Projekt.
Immobilienzeitung, 6. November 2025
KRANKENHAUSFINANZIERUNG
Teure Krankenhäuser: Die Probleme sind spezifisch
Psychiatrie und Psychosomatik sind derzeit die stärksten Treiber der GKV-Ausgaben für Krankenhäuser. Das zeigt die amtliche Statistik der vorläufigen GKV-Finanzergebnisse (KV 45) zu den ersten drei Quartalen des Jahres 2025. Demnach stiegen die Ausgaben in dem Versorgungsbereich um 14,3 Prozent, das entspricht einem zusätzlichen Volumen von 1,08 Milliarden Euro. Auch die Pflege in Krankenhäusern verteuerte sich um satte 13,3 Prozent, das entspricht einem Plus von 2,19 Milliarden Euro. Das DRG-Erlösvolumen stieg ebenfalls kräftig, es erhöhte sich um 8,2 Prozent und damit um 4,16 Milliarden Euro. Die Ausgaben stiegen aber deutlich langsamer in der Fallpauschalen-basierten Somatik als in Versorgungsbereichen, in denen die Vergütung von Selbstkostendeckung (Pflege) oder budgetorientierten Ansätzen (Psychiatrie und Psychosomatik) geprägt ist.
AMBULANTISIERUNG
Hybrid-DRGs jetzt mit Zwei-Tages-Fällen
Kliniken werden im kommenden Jahr deutlich mehr Hybrid-DRGs abrechnen als bisher, dafür haben die Selbstverwaltungspartner im ergänzten erweiterten Bewertungsausschuss Mitte November den Katalog der Hybrid-DRGs für 2026 und die dazugehörigen Preise beschlossen. Im neuen Katalog sind nun 69 statt wie bisher 22 Indikationen gelistet. Neu hinzugekommen sind vor allem Leistungen im Bereich der kardiologischen Diagnostik und die Entfernung von Blindarm- und Gallenblase. Ausgenommen sind Behandlungen, bei denen Zusatzentgelte anfallen – sie werden weiterhin stationär vergütet. Eingeschlossen sind hingegen komplizierte Verläufe mit bis zu zwei Übernachtungen. Die hybriden Fälle werden außerdem auf die künftigen Mindestfallzahlen für Leistungsgruppen angerechnet.
PERSONAL
Beschäftigungsrekord in Krankenhäusern
Erstmals seit Beginn der Krankenhausstatistik arbeiten rechnerisch über eine Million Vollzeitkräfte in deutschen Kliniken – 1.014.839 waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) im Jahr 2024. Während die Zahl der Beschäftigten im ärztlichen Dienst mit 180.418 gegenüber 2023 um 2,1 Prozent gestiegen war, verzeichnete die Pflege einen kräftigen Zuwachs um 4,4 Prozent: Die Anzahl der Vollzeitkräfte in dem Bereich bezifferte Destatis auf 408.599, das sind 17.093 mehr als 2023. Moderater entwickelte sich hingegen die Zahl der stationären Fälle. Die Kliniken verzeichneten 2024 insgesamt 17,5 Millionen Patientinnen und Patienten. Das ist ein Plus von zwei Prozent gegenüber dem Jahr davor, aber gegenüber 2019 mit 19,4 Millionen Fällen noch immer ein deutliches Minus. So verbesserte sich auch die durchschnittliche Bettenauslastung der Häuser nur geringfügig um 0,8 Prozent auf 72 Prozent.

KOMMENTAR
„Qualität ist nicht verhandelbar“
Arzt und Mitglied des Deutschen Bundestages (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)
Wenn es um die Versorgung von Frühgeborenen geht, die oft besonders klein und schwach sind, ist Qualität das allerhöchste Gebot. Die Mindestmengen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) stellen genau dies sicher. Denn die Faktenlage ist eindeutig: Routine rettet Leben. Die Versorgung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm gehört zu den komplexesten medizinischen Herausforderungen überhaupt. Als Arzt in der Coburger Kinderklinik habe ich es selbst erlebt. Jeder Handgriff muss sitzen, jedes Teammitglied muss blind funktionieren. Das geht nur, wenn alle Beteiligten – von der Pflege bis zu den Ärztinnen und Ärzten – regelmäßig Erfahrung sammeln. Die Anhebung der Mindestmenge von 14 auf 25 Frühchen pro Jahr und Standort ist daher keine Schikane, sondern evidenzbasierte Qualitätssicherung.
Die Klage von Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt beim Bundesverfassungsgericht gegen die Mindestmengenvorgaben des G-BA sendet deswegen ein schwieriges Signal. Kompetenzgerangel steht hier dem Wohl der kleinsten und verletzlichsten Patientinnen und Patienten gegenüber. Dabei ist die Sache in meinen Augen klar: Mindestmengen sind ein Instrument der Qualitätssicherung in der stationären Versorgung, das auf Bundesebene richtig angesiedelt ist. Der G-BA greift damit nicht in die Krankenhausplanung ein, diese bleibt immer noch Sache der Länder. Doch die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass in Bayern die gleiche Qualität angeboten wird wie in Niedersachsen. Wir dürfen hier keinen Flickenteppich zulassen.
Ich würde mir wünschen, dass die Länder ihre Energie darauf verwenden, gemeinsam mit dem Bund eine flächendeckende, qualitätsorientierte Versorgung sicherzustellen, statt eine solche Klage einzureichen.
MEDIZINTECHNIK
Robotik und KI an der Charité
Die Berliner Universitätsklinik Charité hat ein Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) gegründet. Es soll KI‑Lösungen in die Versorgung bringen, ihren Nutzen evidenzbasiert nachweisen und konkrete Anwendungen im Klinikalltag verankern. Geleitet wird das Institut von Alexander Meyer, der auch die neue Professur für KI in der Medizin übernimmt. Meyer initiierte in den vergangenen Jahren Digitalisierungsprojekte an der Charité und am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC). Nach Angaben des Unternehmens ist dort im Lauf des Jahres eines der größten Programme für robotergestützte Herzchirurgie in Europa entstanden. Seit Jahresbeginn wurden am DHZC mehr als 260 Patientinnen und Patienten mit dem neuen DaVinci-System operiert, bei dem chirurgische Teams den OP-Roboter über eine Konsole steuern.
ENDOPROTHETIK
Mehr Eingriffe durch Lebensstilfaktoren
Immer mehr Patientinnen und Patienten in Deutschland erhalten Hüft- oder Knie-Endoprothesen. Das geht aus dem neuen Jahresbericht des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD) hervor. Für das Jahr 2024 erfasste das freiwillige klinische Register 410.333 endoprothetische Eingriffe an Hüfte oder Knie inklusive Folgeeingriffen und Revisionen. Bei 199.052 Erstimplantationen einer künstlichen Hüfte zählte das EPRD 18.237 mehr Versorgungen gegenüber 2022; bei den Erstimplantationen eines Kniegelenks waren es sogar 18.237. Patientinnen und Patienten mit Knieprothesen sind meist jünger als Hüft-Patienten und haben im Median einen etwa drei Punkte höheren Body-Mass-Index. Vor allem in den jüngeren Altersgruppen ist die Knie-OP häufig mit Übergewicht verbunden – einem in der Regel vermeidbaren Gesundheitsproblem. Deutschland liegt jedoch bei der Prävention lebensstilbedingter Erkrankungen im Vergleich mit 17 anderen EU-Ländern auf dem vorletzten Platz. Das ergab eine wissenschaftliche Analyse politischer Maßnahmen, die die Bevölkerungen der untersuchten Länder vor Gesundheitsschäden durch falsche Ernährung, Alkohol, Tabak und Bewegungsmangel schützen sollen. Wie der AOK-Bundesverband im kürzlich erschienen „Public-Health-Index“ feststellte, liegt die deutsche Präventionspolitik nur im Handlungsfeld „Bewegung“ auf einem mittleren Rang.
NEUE VERSORGUNGSFORMEN
Asklepios behandelt Heimbewohner zu Hause
Pflegeheimbewohner aus Hamburg und Frankfurt können jetzt in den eigenen vier Wänden stationär behandelt werden. Der Klinikkonzern Asklepios hat Anfang November die Umsetzung seines „Virtual-Ward“-Programms gestartet. Dabei werden geeignete Patientinnen und Patienten nach einer notfallmäßigen Erstversorgung in der Klinik wieder in ihre Pflegeeinrichtung verlegt. Die abschließende Genesung wird durch Videokonsultationen und speziell geschulte Pflegekräfte begleitet. Das Projekt soll zeigen, ob die Pflegebedürftigen von der telemedizinischen und mobilen Versorgung zu Hause profitieren. Vorbilder sind vergleichbare Modelle im britischen National Health Service (NHS) und in den USA. Hintergrund ist, dass Ältere und Hochbetagte in Kliniken eine wachsende Patientengruppe bilden, für die der Krankenhausaufenthalt mit hohen Risiken – Infektionen, Sturzfolgen oder mentalen Problemen – verbunden ist.
Asklepios Krankenhaus-Report 2025 (WIdO)
Veranstaltungen
27. und 28. Januar 2026 – BMC-Kongress in Berlin
Lösungen, Strategien, Partnerschaften – der Startpunkt für das gesundheitspolitische Jahr 2026
30. und 31. Januar 2026 – Kongress Pflege in Berlin
Der Leitkongress für Führungskräfte in der Pflege
18. bis 21. Februar 2026 – Deutscher Krebskongress in Berlin
Krebsmedizin zusammen und gezielt zukunftsfähig machen!
Personalien

Leiter der Abteilung für Digitalisierung und Innovation im Bundesgesundheitsministerium
Philipp Müller wird neuer Leiter der Abteilung für Digitalisierung und Innovation im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Der CDU-Politiker, der die Aufgaben von der promovierten Gesundheitsökonomin Susanne Ozegowski übernimmt, war einige Jahre lang Bereichsleiter für Zentrale Aufgaben und Digitalisierung bei der CDU-Bundesgeschäftsstelle. Seit 2024 war er außerdem Geschäftsführer des Breitbandverbandes ANGA. Zuvor führte Müller die Geschäfte der CDU-Baden-Württemberg und war Bundesgeschäftsführer der Jungen Union.

Stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)
Claudia Reich wird neue stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Die 44-Jährige wechselt Anfang Februar 2026 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu dem Klinikverband und löst dort Andreas Wagener ab. Wie dieser wird sie neben der Vorstandsarbeit auch die Rechtsabteilung der DKG leiten. Reich war beim G-BA als Syndikusrechtsanwältin und Justitiarin tätig. Ihr Spezialgebiet war das Verfahren der Preisregulierung innovativer Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen (AMNOG). Zuvor arbeitete sie in einer Leipziger Kanzlei Partnerin mit Spezialisierung auf Medizinrecht.

Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV)
Christoph Radbruch bleibt Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhaus-verbandes (DEKV). Die Mitgliederversammlung hat den Theologen, der seit zehn Jahren an der Spitze des DEKV steht, erneut ins Amt gewählt. Der ehemalige Pfarrer und Superintendent der evangelischen Kirche im Rheinland wird vorerst bis 2029 daran arbeiten, die werteorientierte Ausrichtung der evangelischen Kliniken in Deutschland sichtbar zu machen. Mit der Neuwahl bestätige der DEKV seine besondere Vorstandsstruktur mit allen Berufsgruppen, die das Profil evangelischer Krankenhäuser prägen: Theologie, Medizin, Pflege und Ökonomie.
UMSETZUNG VON MINDESTMENGEN
Wie die G-BA-Beschlüsse wirksam werden
Mindestmengen stehen in der Kritik der Bundesländer, weil sie mit Eingriffen in die Versorgung verbunden sind. Tatsächlich sorgt der Mechanismus für bessere Behandlungsergebnisse – das damit verbundene Verfahren berücksichtigt aber auch die Rahmenbedingungen der Versorgung. Das beginnt bereits bei der Zahl: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschließt Mindestmengen nur für Leistungen, bei denen die Qualität der Behandlung nachweislich von bestimmbaren Fallzahlen abhängt. Der Mengeneffekt muss wissenschaftlich belegt sein, und längere Anfahrtswege dürfen keine neuen Risiken erzeugen. Bei der jährlichen Genehmigung berücksichtigen die Krankenkassen auch die personellen, strukturellen oder sogar weitere Gründe der Kliniken, wenn sie eine geforderte Anzahl Patienten nicht erreichen – so werden sie auch mit zu geringen Fallzahlen nicht sofort aus der Versorgung in dem jeweiligen Bereich ausgeschlossen. Zudem gelten bei jeder Änderung einer Mindestmenge Übergangsfristen, in denen die Häuser die jeweils (neuen) Vorgaben noch nicht erfüllen müssen. Das Gleiche gilt für Kliniken, die eine Mindestmengenleistung erstmals oder nach Unterbrechung erneut anbieten wollen. Die Mindestmengen-Transparenzliste der AOK gibt Ärztinnen und Ärzten sowie Versicherten einen Überblick darüber, welche Häuser nachweislich die Voraussetzungen der Regelung erfüllt haben.



DIE PATIENTENPERSPEKTIVE
„Ein schwerer Vertrauensbruch“
Patientenvertreter bei der Landesgeschäftsstelle LAG DeQS – Qualitätsbüro Berlin (QBB) und Vorsitzender im Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland
Beim Thema Mindestmengen wird viel auf die Bedürfnisse der Krankenhäuser geschaut – sehen Sie die Interessen der Patientinnen und Patienten in der politischen Debatte ausreichend berücksichtigt?
Natürlich nicht – abgesehen davon, dass die an den Diskussionen beteiligten Interessenvertreter betonen, dass ihr Tun nur zum Wohl der Betroffenen sei. Gerade bei den invasiven Leistungen im Krankenhaus sind Mindestmengen eine Frage der Sicherheit für Leib und Leben. Studien belegen, dass Kliniken mit hohen Fallzahlen bei einem bestimmten Eingriff höhere Überlebensraten erreichen. Stellen Sie sich das bei einem Arzneimittel vor: Sie haben Arzneimittel A mit einer kurzfristigen Mortalität von zwei Prozent und Arzneimittel B mit einer kurzfristigen Mortalität von vier Prozent. Niemand würde zögern, Medikament B vom Markt zu nehmen.
Wie erklären Sie werdenden Eltern die längeren Anfahrtswege? Werden diese als problematisch angesehen?
Im ersten Moment erscheint jeder zusätzliche Kilometer problematisch. Sobald die Familien aber wissen, dass es häufig nur um sechs bis 18 Minuten längere Anfahrtswege geht und dies nur bei spezialisierten Behandlungen eine Bedeutung haben könnte, erlebe ich keine Bedenken mehr. Vor allem dann nicht, wenn sie verstanden haben, dass sowohl das Überleben als auch die Langzeitmorbidität hierdurch verbessert werden. In den Medien geht es bei diesem Thema leider nur selten um die Schäden, die bei Erfahrungsmangel drohen.
Sind die Vorgaben zu Mindestmengen ausreichend oder müssten sie weiterentwickelt werden?
Die Vorgaben sind in Deutschland oft halb so hoch wie in vergleichbaren Industrieländern. Und sie sind immer begründet in den Zahlen der Vergangenheit – sie müssen also überwacht werden, zum Beispiel in Bezug auf die daraus resultierenden Fahrzeitverlängerungen. Ebenso wichtig ist es, die Qualitätsergebnisse weiter zu beobachten: Wenn die sich mit zunehmender Erfahrung verbessern, muss geprüft werden, ob das nicht eine Änderung der Mindestmenge rechtfertigt. Besonders überwachungsbedürftig sind allerdings die Ausnahmetatbestände. Für viele Mindestmengen gibt es neben langen Vorlaufzeiten noch recht weiche Ausnahmen.
Was können wir bei dem Thema von anderen europäischen Ländern lernen?
Dass wir sie erhöhen sollten. Mindestmengen sind ein unerlässliches Instrument der Qualitätssicherung. In sehr zentralisierten Gesundheitssystemen wie den skandinavischen Ländern erscheinen sie weniger bedeutsam, weil Gelegenheitsversorgung dort schon durch gute Krankenhausplanung eingedämmt wurde. Sie sind aber auch dort wichtig, da Inzidenzen und Komplexität von Behandlungen so verschieden sind, dass Krankenhausplanung allein diesem Umstand nicht gerecht werden kann. Das ist insbesondere im Hinblick auf komplexe planbare Leistungen für extrem seltene Erkrankungen von Bedeutung.
Wie stehen Sie zu der aktuellen Verfassungsbeschwerde der Bundesländer zur Versorgung extrem kleiner Frühchen?
Diese Verfassungsbeschwerde ist verantwortungslos und ein schwerer Vertrauensbruch hinsichtlich des aufrichtigen Einsatzes der Landesregierungen für Gesundheit und Wohlergehen ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die Qualität der Versorgung ist hier nachweislich ganz eng verbunden mit der nötigen Erfahrung von größeren Fallzahlen sowie der frühen Überweisung der werdenden Mütter an die besonders erfahrenen Kliniken. Wenn werdende Eltern um die Risiken für ihre Kinder wüssten, würden sie jede Entfernung in Kauf nehmen, um ihr Kind vor lebenslangen Schädigungen zu bewahren.