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"Gesundes-Herz-Gesetz": Riskante Operation

Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits vor Auftreten erster Symptome erkennen? Dieses Ziel verfolgt Lauterbach mit seinem „Gesundes-Herz-Gesetz“. Warum das Vorhaben aber gerade die wichtigen DMP zum wackeln bringen könnte.

News Arztpraxen
Liegender Mann wird mithilfe eines Ultraschallgeräts auf Höhe des Herzens untersucht
iStock.com/Ivan-balvan

Überlastete Arztpraxen durch DMP-Änderungen?

Ende August hat die Bundesregierung das „Gesetz zur Stärkung der Herzgesundheit“ verabschiedet. Doch die Kritik an den geplanten Maßnahmen ist bis heute nicht verstummt. So warnt der AOK-Bundesverband vor schlechterer Versorgung chronisch Kranker und Überlastung der Arztpraxen durch die geplanten Änderungen bei den Disease-Management-Programmen (DMP).

Ziel des Gesetzes ist es, durch verbesserte Prävention und Therapiemaßnahmen Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits vor Auftreten der ersten Symptome zu erkennen und zu verringern – beispielsweise durch Screenings für Erwachsene ab dem 25. Lebensjahr oder die verstärkte Verordnung von Statinen. Geplant ist zudem, die bestehenden DMP auch für Risikopatienten zu öffnen.

„Statine sind keine Smarties“

Wegen „besonderer Eilbedürftigkeit“ will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den parlamentarischen Prozess noch in diesem Jahr abschließen und die Neuregelungen ab 2025 umsetzen. „Durch Früherkennung und Vorsorge kann die Krankheitslast gezielt gesenkt werden, deshalb müssen die erweiterten Leistungen schnellstmöglich im Versorgungsalltag greifen“, heißt es in einem Schreiben von Lauterbachs zuständiger Staatssekretärin an alle Minister. Ob das „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) in der aktuellen Form von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird, ist unklar; Verbände und Kassen protestieren gegen das Vorhaben.

Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses Professor Josef Hecken erklärte, die Pläne hätten das Potenzial, „bei ihm Vorhofflimmern auszulösen.“

Von „Pillen statt Prävention“, sprach Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes und kritisierte: „Statine sind keine Smarties.“ Reimann weiter: „Probleme des grassierenden Bewegungsmangels oder der falschen Ernährung löst man nicht durch frühzeitigere Medikamenten-Verordnung.“ Sie fordert stattdessen „einen sinnvollen Mix aus verhältnis- und verhaltenspräventiven Ernährungs- und Bewegungsangeboten“ sowie „gezielte Einschränkungen von an Kinder gerichteter Werbung für ungesunde Lebensmittel.“ Kritisch beurteilt die AOK zudem die Öffnung der DMP für Risikopatienten. So sei unklar, was „hohes Risiko“ bedeute, wenn die jeweilige Erkrankung noch nicht diagnostiziert wurde.

Überblick: Wie viele Menschen nehmen an DMP teil?

Aktuell werden rund 7,4 Millionen Menschen in den verschiedenen DMP versorgt. Die AOK befürchtet, dass eine Erweiterung der Zielgruppen und die geplante Absenkung der Qualitätsanforderungen – etwa ein Verzicht auf verpflichtende Patientenschulungen – eine Verwässerung der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) definierten Regeln bedeute. Durch die Erweiterung um Risikopatienten drohe „eine Verschiebung des Fokus weg von den tatsächlich erkrankten Menschen, die auf eine gute Versorgung angewiesen sind“, so AOK-Vorständin Reimann. Angesichts begrenzter ärztlicher Ressourcen, die durch den Nachwuchsmangel im hausärztlichen Bereich in Zukunft noch knapper werden dürften, seien solche gar nicht einlösbaren Leistungsversprechen „schlicht absurd“. In einer Folgeabschätzung auf Basis von epidemiologischen Daten, AOK-Abrechnungsdaten und den heutigen Kosten pro DMP-Teilnehmer hat der AOK-Bundesverband den maximal zu erwartenden Aufwand beziffert.

Beispiel COPD: Hauptrisiko für die chronisch obstruktive Lungenerkrankung ist Rauchen. Insgesamt elf Millionen GKV-Versicherte inhalieren Tabak, davon werden drei Millionen bereits aufgrund von COPD/ Emphysem ärztlich behandelt. Nach Lauterbachs Vorhaben kämen also etwa acht Millionen Versicherte hinzu, die für das DMP geeignet wären. Bei einer angenommenen Einschreibequote von 20 Prozent ergäben sich weitere 1,6 Millionen DMP-Teilnahmen.

32 zusätzliche Arbeitstage pro Arzt

Insgesamt wären bei konsequenter Umsetzung der Pläne maximal 34 Millionen zusätzliche DMP-Teilnahmen möglich. Bei zehn Minuten Dokumentationsaufwand pro Patient und Quartal addierte sich die Belastung für jeden der derzeit rund 44.000 in die DMP involvierten Hausärzte auf etwa 32 zusätzliche Arbeitstage im Jahr. Die Zusatzkosten für die GKV würden nach einer fünfjährigen Hochlaufphase 3,8 Milliarden Euro jährlich betragen. Die Folge: eine Beitragssatzerhöhung um 0,22 Punkte. AOK-Vorständin Reimann monierte, dass die Grundintention der seit mehr als 20 Jahren bewährten Programme, die auf Basis wissenschaftlicher Evidenz die Entstehung von Folge- und Begleiterkrankungen bei chronisch Kranken erfolgreich verhinderten und strukturierte Behandlungen gewährleisteten, mit den GHG-Plänen auf den Kopf gestellt werde.

Andere Verbände teilen die Vorbehalte. In einer Erklärung kritisiert der BKK Dachverband die „fragwürdigen Regelungen“ zu den DMP sowie „Massenscreening-Programme ohne klaren Nutzen, evidenzbefreite Medikamentengaben und Check-ups ohne klare Anbindung an sinnvolle Patientenpfade.“ Diese seien ungeeignet, die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankten und Risikopatienten zu verbessern. Aus Sicht des Vorstands der KBV fehlt im Gesetzentwurf eine konsequente Umsetzung des Präventionsgedankens, um bestimmten Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Adipositas oder Bewegungsarmut durch eine veränderte Lebensführung zu begegnen. „Primärprävention beginne bereits mit Kampagnen in der Schule, umfasse gesellschaftliche Aufklärung und erwägt Werbeverbote oder hohe Steuern auf ungesunde Lebensmittel, betonten die KBV-Vorstände Dr. Andreas Gassen, Dr. Stephan Hofmeister und Dr. Sibylle Steiner. Alle bestehenden DMP auf Risikokonstellationen ohne manifeste Erkrankung auszuweiten, erscheine zudem „kaum umsetzbar, weil damit keine abgrenzbare Zuordnung zu den DMP-Indikationen mehr möglich sei.“

Der Chef des Hausärzteverbands, Dr. Markus Beier, sieht beim Thema DMP ebenfalls deutlichen Nachbesserungsbedarf. „Wir reden hier von vielen Millionen Menschen“, zitierte ihn die Ärzte Zeitung. Für diese gebe es bessere Lösungen, als sie allesamt in ein DMP einzuschreiben, so Beier.

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