„Wir wollen die Pflegeprävalenz senken“
Mit Prognosen auf Basis von AOK-Daten ermitteln Sozialraumplaner in Städten und Gemeinden den aktuellen und künftigen Versorgungsbedarf. Chris Behrens, Leiter des Fachbereiches Pflegeberatung und Pflegestützpunkte der AOK Nordost, erklärt, wie das Projekt in Brandenburg funktioniert.
Chris Behrens
Leiter des Fachbereiches Pflegeberatung und Pflegestützpunkte der AOK Nordost
Beim Projekt Smart Analysis Health Research Access (SAHRA) nutzen Städte und Gemeinden Gesundheitsdaten zur kommunalen Pflegeplanung. Die AOK Nordost war von Anfang an Partner. Was war die Motivation an, SAHRA mitzuarbeiten?
Wir haben uns seinerzeit gefragt, wie wir unsere Abrechnungs- und Behandlungsdaten am besten nutzen können, um beispielsweise die Pflegeprävalenz, also die Zahl pflegebedürftiger Menschen auf 100.000 Einwohner, beeinflussen zu können. Wenn wir die Pflegeprävalenz senken und Pflegebedürftige möglichst gut versorgen wollen, müssen wir unter anderem wissen: Wo wohnen wie viele Pflegebedürftige? Welche Angebote an ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen existieren in der jeweiligen Gemeinde bereits? Wir hatten die Daten, brauchten aber Fachleute, die diese aufbereiten, anonymisieren und unter Einbindung von Daten des Landesamtes für Statistik bis auf die Gemeindeebene abbilden können. Das Hasso-Plattner-Institut und die Firma data experts unterstützen unser Engagement dabei.
Auf welche Pflegekennzahlen können die Sozialraumplaner in den Kommunen zurückgreifen?
Auf insgesamt 38 Kennziffern. Darunter Statistiken zu Pflegebedürftigen in vollstätionärer, teilstationärer und häuslicher Pflege zu einem bestimmten Stichtag. Außerdem Menschen in Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege im Jahresverlauf. Dazu kommen Angaben zu Pflegeeintrittsalter und Versorgungsindex sowie Diagnosezahlen von elf pflegerelevanten Krankheitsbildern wie COPD, Demenz, Depression, Diabetes und Herzinsuffizienz. Die Ergebnisse können selbstverständlich gefiltert werden, etwa nach Alter, Pflegegrad und Geschlecht.
Genügt die Zahl der AOK-Versicherten in Brandenburg, um daraus Schlüsse für die Gesamtbevölkerung in diesem Bundesland zu ziehen?
Gut ein Viertel aller gesetzlich Versicherten in diesem Einzugsgebiet sind bei der AOK Nordost versichert. Eine Basis von 25 Prozent ist ein sehr guter Wert, um ein Gesamtbild zu zeichnen und daraus verlässliche Prognosen abzuleiten. Hinzu kommt, dass in das Zahlenmaterial zusätzliche Daten des Statistischen Landesamts einfließen. Deshalb sind die SAHRA-Daten sehr treffsicher. Das wissen wir unter anderem durch Monitorings, bei denen wir frühere Vorhersagen mit dem aktuellen Ist-Zustand vergleichen.
Auch wenn die Datengrundlage sehr gut ist. Wäre es sinnvoll, wenn sich andere Krankenkassen an SAHRA beteiligen?
Auf alle Fälle! Wir werben dafür, dass auch die bundesunmittelbaren Kassen ihre Daten dem Tool zur Verfügung stellen. Das würde sicher die Akzeptanz des Projektes noch mal erhöhen. Derzeit planen wir, die entsprechenden Pflegekassen noch einmal anzuschreiben und dafür zu werben, zumal im neuen Pflegekompetenzgesetz geregelt ist, dass die Pflegekassen den Kommunen auf Verlangen Daten zur Pflegeplanung zur Verfügung stellen sollen.
Vielleicht gibt es bei anderen Krankenkassen Bedenken mit Blick auf den Datenschutz?
Das ist kein Datenschutzproblem, die Daten sind ja anonymisiert. Sichtbar sind nur Alter und Geschlecht.
Wer hat abgesehen von Sozialraumplanern in Kommunen Zugriff auf die Daten?
Auf die Daten haben all diejenigen Zugriff, die Zugangsberechtigungen bei der DEG beantragt haben, wie das Brandenburger Sozialministerium, die Landkreise und einzelne Pflegekassen.
Wie aktuell sind die Daten?
Wir aktualisieren die Daten zweimal im Jahr, im Februar und im Oktober. Damit sind wir aktueller als die Landesämter für Statistik, die übrigens ihre Daten auch nur bis zur Landkreisebene erheben, während wir Verteilungen bis auf die Gemeindeebene abbilden können. Diese Kleinteiligkeit macht SAHRA so besonders.
Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie die Bevölkerungsprognosen auf Grundlage der AOK-Daten die Versorgung verbessern?
Ein klassischer Fall ist Demenz. Diese Krankheit erfordert eine bestimmte pflegerische Versorgung, zum Beispiel Betreuungsleistungen oder Unterstützung in der familiären Pflege. Sozialraumplaner können mit den Daten sehr detailliert die aktuelle Situation analysieren – also, ob genug Betreuungsangebote existieren. Gleichzeitig können sie auf Basis der Prognosen erkennen, wo mit hoher Wahrscheinlichkeit künftig Bedarf besteht, etwa an einem Betreuungsdienst oder anderen alltagsunterstützenden Angeboten.
Spielen in diesen Planungen Ärzte auch eine Rolle?
Sicher. Beispiel Depression. Diese Diagnose ist im Alter ein großes Thema, das Betroffene teilweise über Jahre bis zum Lebensende begleitet. Mit den Daten können die Verantwortlichen in der Verwaltung ermitteln, ob die Zahl der Fachärzte, etwa Psychologen in Praxen oder Kliniken in der Umgebung, eine gute Versorgung garantiert.
Weiterführende Informationen
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Wie können Abrechnungsdaten aus der Pflegeversicherung die Gesundheitsversorgung auch in ländlichen Regionen sicherstellen?
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