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Arzneimittelhersteller bremsen Antibiotika-Ausschreibung der AOK aus

25.11.2020 AOK Baden-Württemberg 4 Min. Lesedauer

Johannes Bauernfeind ist von Reaktionen aus der Pharmaindustrie enttäuscht

Stuttgart/Berlin. „Wenn es nur nach den öffentlichen Bekenntnissen geht, sind sich derzeit alle Akteure des Arzneimittelmarkts einig, dass internationale Abhängigkeiten der Lieferketten reduziert werden sollten, um künftige Lieferengpässe – besonders bei lebenswichtigen Arzneimitteln wie Antibiotika – auszuschließen“, konstatiert Johannes Bauernfeind, „doch wenn es konkret wird, sieht das leider ganz anders aus.“ Der Vorstandsvorsitzende der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… Baden-Württemberg und Federführer der AOK-Gemeinschaft für die bundesweiten Generikaverträge zeigt sich enttäuscht von Reaktionen pharmazeutischer Unternehmen, die derzeit mit rechtlichen Schritten gegen eine von der AOK Mitte September veröffentlichte Sonderausschreibung für Antibiotikawirkstoffe vorgehen. Die Ausschreibung berücksichtigt auch besonderes Engagement für Liefersicherheit und Umweltschutz. Zwar gebe es auch eine ganze Reihe von Bietern, die grundsätzlich als künftige Vertragspartner der Sondertranche in Frage kämen, erklärt Bauernfeind, „doch wir dürfen erst dann Zuschläge erteilen, wenn die Nachprüfungsanträge vom Tisch sind, mit denen momentan Unternehmen gegen unsere Ausschreibungskriterien vorgehen. Das Aberwitzige daran: Es sind genau jene Kriterien, für die sich insbesondere die Arzneimittellobby seit Jahren stark macht!“

Die AOK-Gemeinschaft hatte im September unter der Bezeichnung „Z1“ fünf Antibiotikawirkstoffe gesondert ausgeschrieben. Mit sogenannten Nachprüfanträgen sind inzwischen vier pharmazeutische Unternehmen gegen das Ausschreibungsdesign der Sondertranche vorgegangen, was bis zum Entscheid durch die Vergabekammer Bonn der AOK die Möglichkeit nimmt, Zuschläge zu vergeben. „Im Design der Ausschreibung haben wir die Zuschlagskriterien so erweitert, dass robustere Lieferketten und Umweltschutzaspekte zum Tragen kommen, und nicht einfach nur der günstigste Anbieter das Rennen macht. Zudem schreiben wir im Mehrpartnermodell aus.“ Die AOK habe damit alle Vorschläge aufgegriffen, die Vertreter der Politik und diverser Interessenverbände der Pharmahersteller regelmäßig propagierten, um die Abhängigkeit von fernöstlichen Herstellungsorten zu reduzieren, wo sich insbesondere die Wirkstoffproduktion konzentriere.

Die aktuelle Situation nennt AOK-Chef Bauernfeind zumindest befremdlich: „Wir als Krankenkasse müssen uns jetzt gerichtlich gegen die Pharmaindustrie für deren Forderungen verkämpfen. Wir setzen uns also für die Durchsetzung von Kriterien ein, die die Industrie uns jahrelang abverlangt hat. Nur mit dem Unterschied, dass die Industrie jetzt von uns fordert, diese Kriterien wieder zurückzunehmen.“ Für die AOK sei das ein klares Zeichen dafür, worum es den Herstellern wirklich gehe: Um die Beibehaltung des Status quo. „Die Hersteller ziehen es schon seit den 1970er- und 1980er-Jahren vor, in Fernost zu produzieren, und sie tun es wegen für sie weniger strenger Umweltschutzauflagen, möglicher Kosteneinsparungen und weniger restriktiver Auflagen des Arbeitsschutzes bis heute.“

In ihrer Sonderausschreibung bevorzugt die AOK unter anderem Unternehmen, die an ihren jeweiligen Standorten verantwortungsvoll mit Fabrikationsabwässern umgehen. „Damit möchten wir Einfluss nehmen auf die Produktionsbedingungen von Antibiotika“, sagt Johannes Bauernfeind. Umweltschutzverbände und Vertreter hatten in der Vergangenheit wiederholt auf die Verunreinigung von Gewässern an den fernöstlichen Standorten einiger Antibiotikahersteller hingewiesen. Bauernfeind warnt: „Wenn der nachlässige Umgang mit Produktionsrückständen dazu führt, dass sich multiresistente Keime durch Industrieabwässer ausbreiten können, steht die Wirksamkeit von Antibiotika auf dem Spiel. Wer das riskiert, beschwört Gefahren herauf, deren Auswirkungen extrem sein können!“

Falls sich robustere Lieferketten und umweltfreundliche Produktionsbedingungen vertragsrechtlich nicht durchsetzen ließen, so Baden-Württembergs AOK-Chef abschließend, sei die Politik gefordert, Maßnahmen für mehr Verlässlichkeit in der Arzneimittelproduktion in die Wege zu leiten. Vorerst werde sich die AOK gegebenenfalls auch noch in zweiter Instanz für ihr nachhaltigeres Ausschreibungsdesign einsetzen. Bauernfeind: „Wir haben ein durchdachtes Konzept vorgelegt, an dem sich andere Kassen, die Vertreter der Politik sowie verantwortungsbewusste pharmazeutische Unternehmen orientieren können. Ich bin mir sicher, dass es sich mittelfristig behaupten wird.“

 

Der AOK-Bundesverband diskutiert am 26.11.2020 das Thema „Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln – eine gesamteuropäische Herausforderung“ in einer Online-Veranstaltung im Rahmen der europäischen Ratspräsidentschaft:

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