Rundruf Prävention

Übergewicht bei Kindern – was tun?

18.04.2024 Tina Stähler 5 Min. Lesedauer

Schon vor der Pandemie waren mehr als 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig und knapp sechs Prozent adipös. Sollte dies als individuelles Problem abgetan werden oder muss der Staat eingreifen?

Foto: Zwei Kinderfüße stehen auf einer Waage, daneben liegt ein Maßband.
Übergewicht und Adipositas haben seit der Pandemie noch einmal zugenommen.

Mehr Verhältnisprävention als individuelle Verhaltensprävention

Foto: Porträt von PD Dr. med. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
PD Dr. med. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin

Übergewicht und Adipositas sind bei Kindern und Jugendlichen auf dem Vormarsch und das Problem hat mit und nach der Pandemie zugenommen. Drei Faktoren spielen beim Körpergewicht eine wesentliche Rolle: Veranlagung, Bewegung und Ernährung. An der angeborenen Veranlagung können wir nichts ändern. Fakt ist aber: Wir bewegen uns nicht ausreichend und ernähren uns nicht gesund genug.

Wir brauchen mehr Verhältnisprävention als individuelle Verhaltensprävention. Bewegungsförderung muss im Kindesalter ansetzen. Das gilt für Schul-, Freizeit- und Vereinssport, aber auch für Alltagsbewegung, indem zum Beispiel der Schulweg zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt wird. Gesunde Ernährung muss gefördert werden – zuhause, aber auch in Einrichtungen. Zudem können steuerliche Maßnahmen wie die Einführung einer Zuckersteuer oder der Wegfall der Mehrwertsteuer auf Gemüse und Obst helfen. Die Ernährungskompetenz muss gestärkt werden. Dazu gehört ein Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel.

Konzept zur Gesundheitserziehung für den Lehrplan entwickeln

Foto: Porträt von Prof. Dr. Ute Spiekerkötter, Ärztliche Direktorin für Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin, Uniklinikum Freiburg
Prof. Dr. Ute Spiekerkötter, Ärztliche Direktorin für Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin, Uniklinikum Freiburg

Adipöse Kinder sind eine herausfordernde Aufgabe für die Gesellschaft. Eine erfolgreiche Prävention erfordert eine umfassende Gesundheitserziehung, die im frühen Kindesalter beginnen muss. Wie bleiben wir gesund und was ist eine gute Ernährung? Bereits kleine Kinder können im Spiel erlernen, dass sie fünf Portionen Obst beziehungsweise Gemüse in der Größe ihrer eigenen Faust pro Tag essen sollen. Schule und Medizin sind gemeinsam gefragt, ein Konzept zur Gesundheitserziehung für den Lehrplan in Grund- und weiterführenden Schulen als Pilotprojekt zu entwickeln.

Voraussetzungen sind, dass das Thema in der Politik priorisiert wird und die Bereitschaft zur Finanzierung durch die Kostenträger vorhanden ist. Zum Konzept gehören täglich regelmäßige Bewegungseinheiten in der Schule, die Anleitung zu gesundem Kochen und Anreize für eine gesunde Ernährung. Zusammen mit diesen Maßnahmen machen ein Werbeverbot für Süßigkeiten und eine Lebensmittelkennzeichnung Sinn.

Übergewicht und Adipositas sind gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Foto: Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)
Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

Jedes siebte Kind in Deutschland ist übergewichtig, jedes sechste gar adipös. Die Tendenz ist steigend. Diese Zahlen und die besorgniserregende Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen sind bereits seit Jahren bekannt. Passiert ist bisher jedoch wenig. Viel zu lang setzte die Politik auf wirkungslose freiwillige Maßnahmen der Lebensmittelindustrie und Appelle an die Eigenverantwortung für eine gesunde Ernährung. Das ist zu wenig.

Das ist zu wenig. Denn Übergewicht und Adipositas sind keine individuellen Probleme, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und Aufgabe. Wir brauchen einen Neustart der Präventionspolitik in Deutschland, um die Adipositas-Welle bei Kindern endlich auszubremsen. Das in der Politik noch immer umstrittene Kinderlebensmittel-Werbegesetz und eine Herstellerabgabe auf gesüßte Getränke sind daher längst überfällig. Sie wären ein starkes Signal für eine gesunde Lebensumgebung und mehr politische Verantwortung. 

Recht auf körperliche Unversehrtheit ist Grundrecht

Foto: Porträt von Dr. Chris Methmann, Geschäftsführer von foodwatch Deutschland.
Dr. Chris Methmann, Geschäftsführer von foodwatch Deutschland

Unsere Kinder wachsen in einer Welt auf, die Übergewicht und Adipositas fördert. Wenn junge Menschen in den Supermarkt gehen, Plakate sehen oder auf ihren Smartphones surfen, treffen sie auf Werbung für Zuckerbomben und fettige Snacks. Eltern, die ihre Kinder für eine gesunde Ernährung begeistern wollen, kämpfen täglich gegen eine übermächtige Industrie an. Allein die deutsche Süßwarenbranche investiert jährlich rund eine Milliarde Euro in Werbung.

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht. Es reicht nicht aus, dass der Staat ausschließlich auf Ernährungsbildung und freiwillige, nachweislich wirkungslose, Selbstverpflichtungen mit der Lebensmittelwirtschaft setzt. Er muss die Gesundheit der Kinder mit effektiven Maßnahmen schützen: mit Beschränkungen der Junkfood-Werbung, mit einer Steuer auf Zuckergetränke wie in Großbritannien und einer Mehrwertsteuerbefreiung für Obst und Gemüse. Das Ziel muss sein: Die gesunde Wahl muss zur einfachen Wahl werden.

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