Rundruf Versorgung

Darf nur der Arzt alles?

22.01.2024 Tina Stähler 5 Min. Lesedauer

Die Aufgaben zwischen Ärzten und Pflegefachkräften sind klar getrennt. Sollten der Arztvorbehalt fallen und die Pflegefachkräfte wesentlich mehr Kompetenzen für die selbstständige und eigenverantwortliche Versorgung von Patientinnen und Patienten erhalten?

Foto: Eine Person mit weißem Kittel und eine mit blauem Kittel, jeweils mit Stethoskop in der Hand bzw. um den Hals, stehen nebeneinander.

Mehr Befugnisse für Gesundheitsfachberufe

Foto: Porträt von Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung
Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung

Ich kann es nicht oft genug sagen: Wir werden nie wieder so viele Pflegekräfte haben wie jetzt, aber sicher mehr Menschen mit Pflegebedarf. Eine stärkere interprofessionelle Teamarbeit ist gefordert – mit mehr Befugnissen für die Gesundheitsfachberufe. Dazu gehört, dass der über allem stehende Arztvorbehalt reformiert werden muss. Insbesondere Pflegekräfte könnten heute schon viel mehr selbst tun und entscheiden, als sie dürfen. Unnötige bürokratische Hürden, die derzeit zu viel Frustration und zu Verzögerungen in den Abläufen führen, könnten so abgebaut und die Versorgungsqualität optimiert werden.

Ein eigenständiges Arbeiten auf Augenhöhe, unter Anerkennung der jeweiligen fachlichen Kompetenzen, ist wichtiger denn je. Hierzu brauchen wir eigentlich eine Reform des Heilkundegesetzes. Deshalb freut es mich sehr, dass die pflegerischen Kompetenzen demnächst in einem eigenen Gesetz weiter gestärkt werden und wir hier mutig auf dem richtigen Weg sind.

Delegation ja, Substitution nein

Foto: Porträt von Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes
Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes

Der Glaube, dass Substitution den Fachkräftemangel abfedern könnte, ist falsch. Substitution setzt voraus, dass geeignete „Ersatzkräfte“ zur Verfügung stehen. Das ist aber nicht der Fall. Der Fachkräftemangel in der Pflege und bei den Medizinischen Fachangestellten ist eklatant. Setzt man diese hier ein, fehlen sie an anderer Stelle.

Substitution bedeutet auch: Ärztliche Tätigkeit wird ersetzt. Dann ist es aber keine ärztliche Tätigkeit mehr. Nicht umsonst gilt für viele Tätigkeiten der Facharztstandard. Daran hängen auch haftungsrechtliche Fragen. Ärzte müssen mit hohen Summen über die Berufshaftpflicht abgesichert sein. Bei Hebammen zum Beispiel führt eine ähnliche Versicherungspflicht zu massiven Problemen. Patientenversorgung ist partizipativ, das empfindet auch die Ärzteschaft so. Und doch ist ärztliche Verantwortung am Ende des Tages nicht teilbar. Auch im Team muss jemand den Gesamtüberblick behalten und die Verantwortung nach außen tragen. Daher: Delegation ja, Substitution nein.

Veraltete Strukturen passen nicht mehr

Foto: Porträt von Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR)
Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR)

Der Arztvorbehalt ist veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Die Übernahme der im Pflegeberufegesetz genannten Vorbehaltsaufgaben durch die Profession ist dringend geboten. Pflege übt schon immer Heilkunde aus. Den Pflegekräften muss jetzt endlich ermöglicht werden, diese Tätigkeiten auch offiziell zu tun. Die Handlungsfelder liegen in der Prävention, Kuration, Rehabilitation, Palliation und sozialpflegerischer Intervention und schließt die Verordnungsfähigkeit mit ein. Dafür müssen wir das Gesundheitssystem überdenken. Die veralteten Strukturen passen nicht mehr zur heutigen Demografie und den Anforderungen an die Versorgung.

Wir müssen die Konditionierung durchbrechen, dass nur Ärzte über unsere Gesundheit entscheiden können. Es ist an der Zeit, die Kompetenzen der Pflegeberufe zu nutzen. Sie müssen befähigt werden ihr Handeln vollständig auszuüben und Heilkunde offiziell zu praktizieren. Die Eckpunkte eines Pflegekompetenzgesetzes vom BMG gehen genau in diese Richtung und sind in allen Punkten richtig.

Neuordnung der Aufgabenverteilung unabdingbar

Foto: Porträt von Prof. Dr. Melanie Messer, Professorin für Pflegewissenschaft, Universität Trier
Prof. Dr. Melanie Messer, Professorin für Pflegewissenschaft, Universität Trier

Um zukünftig eine qualitativ hochwertige Versorgung für Patienten zu sichern, ist eine Neuordnung der Aufgabenverteilung zwischen Ärzten und Pflegefachpersonen unabdingbar. Eine eigenverantwortliche Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten durch qualifizierte Pflegefachpersonen ermöglicht, Versorgungslücken, ineffiziente Arbeitsprozesse und die unnötige Bindung von Personalressourcen zu reduzieren.

Internationale Studien zeigen, dass die Versorgungsqualität erhalten bleibt, sie sich sogar verbessert und auch die Patientenzufriedenheit oftmals höher ist. Die damit verbundenen Berufsprofile erhöhen die Attraktivität des Pflegeberufs und schaffen auch für Ärzte einen Zugewinn in der Patientenbehandlung. Gerade in Anbetracht von knappem Personal bei steigenden, komplexer werdenden Versorgungsbedarfen der Bevölkerung werden eigenverantwortlich handlungsfähige Pflegefachpersonen benötigt, um in interprofessioneller Zusammenarbeit die zukünftigen Herausforderungen in der Versorgung zu bewältigen.

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