Rundruf Versorgung

Wie mit Long Covid umgehen?

17.11.2023 Tina Stähler 4 Min. Lesedauer

Die einen erkranken an Covid-19 und sind kurz darauf völlig genesen, die anderen leiden monate- und jahrelang an Spätfolgen. Wie gut sind Menschen mit Long Covid hierzulande versorgt und wie lässt sich Wissen bündeln?

Foto: Illustration einer roten Viruskugel, die von einem Mann gezogen wird.
Bei Long und Post Covid gibt es kein eindeutiges Krankheitsbild.

Sektorengrenzen aufbrechen

Foto: Porträtbild von Prof. Dr. Andreas Stallmach, Klinikdirektor Innere Medizin & Leiter des Post-Covid-Zentrums, Uniklinik Jena
Prof. Dr. Andreas Stallmach, Klinikdirektor Innere Medizin & Leiter des Post-Covid-Zentrums, Uniklinik Jena.

Die Pandemie mit Post Covid als Langzeitfolge hat unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem – circa 100 Jahre nach der letzten Pandemie – vor größte Herausforderungen gestellt. Die akuten Probleme haben wir im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn sehr gut gemeistert. Bilder von Patienten, die in Notfall-Lazaretten verstarben, sind uns erspart geblieben. Um schwerstkranken Menschen überall eine intensivmedizinische Versorgung zu ermöglichen, wurde in Deutschland das sogenannte Kleeblattkonzept zur strategischen Verlegung von Intensivpatienten erarbeitet, welches sehr gut funktionierte.

Aber auch für eine patientenzentrierte Betreuung von Post-Covid-Patienten müssen die Grenzen in unserem – durch Sektoren geprägten Gesundheitssystem – aufgebrochen werden. Ähnlich wie in der Akutsituation könnten neue interdisziplinäre überregionale Kompetenzzentren mit lokalen Netzwerken unter Nutzung der Telemedizin auch in ländlichen Regionen eine gute Betreuung sicherstellen. 

Risiko einer Chronifizierung verringern

Foto: Porträtbild von Mia Diekow, Synchronsprecherin, Sängerin, Musikproduzentin und Betroffene für Long Covid Deutschland
Mia Diekow, Synchronsprecherin,
Sängerin, Musikproduzentin und Betroffene für Long Covid Deutschland.

Wir könnten schon heute die noch unzureichende Versorgung von Betroffenen mit postinfektiösen Syndromen wie Post Covid, Myalgischer Enzephalomyelitis und Chronischem Fatigue Syndrom verbessern, indem wir flächendeckend im Gesundheitswesen fortbilden.

Viele essenzielle Begriffe, wie postexertionelle Malaise (PEM) und „Pacing“ oder diagnostische Tools, wie der Shellongtest für das posturale Tachykardiesyndrom, sind nicht ausreichend bekannt. Das erschwert Diagnose und Versorgung und birgt die Gefahr einer Verschlechterung. Auch die Vergütung der Betreuung von Betroffenen muss sich verbessern. Es sollte interdisziplinäre Kompetenzzentren und Spezialambulanzen geben, um frühzeitig unter Berücksichtigung der individuellen Belastungsgrenzen ein angepasstes Unterstützungs- und Therapiekonzept zu vermitteln. So ließe sich auch das Risiko einer Chronifizierung verringern. Um die Versorgung langfristig zu verbessern, müssen wirksame Therapien und Medikamente erforscht werden. Daher muss jetzt massiv und entschlossen in Forschung investiert werden.

Ambulante spezialfachärztliche Versorgung „Post Covid“

Foto: Porträtbild von Dr. Christian Gogoll, Oberarzt Evang. Lungenklinik Berlin & Co-Autor der S1-Leitlinie „Post-Covid/Long-Covid“
Dr. Christian Gogoll, Oberarzt Evangelische Lungenklinik Berlin und Co-Autor der S1-Leitlinie „Post-Covid/Long-Covid“.

In der Regel werden Post-Covid-Patienten durch Hausärztinnen und -ärzte, die möglichst koordinierend auftreten, versorgt. Dort sollten auch alle weiteren Informationen zusammenfließen. Oftmals ist die zeitnahe Erreichbarkeit der Fachärzte, Therapeuten und Post-Covid-Ambulanzen für die Betroffenen unbefriedigend.

Für die vielfach angebotene selbstfinanzierte Diagnostik – insbesondere Laborwerte – und Therapie, wie Dialyse, ist die Evidenz unzureichend. Größerer Bedarf besteht an qualifizierter Weiterbildung, zu vegetativen Störungen (POTS), PEM und „Pacing“. Speziell für bettlägerige Patienten mit Myalgischer Enzephalomyelitis beziehungsweise dem Chronischen Fatigue Syndrom besteht kaum die Möglichkeit einer Versorgung in der Häuslichkeit. Die teilweise deutlich ressourcenverbrauchende Diagnostik mit längerer Anamnese sowie häufigeren Kontakten in der Praxis sind im Vergütungssystem schlecht abgebildet. Vielleicht würde eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung „Post Covid“ helfen, die Versorgung zu verbessern.

Hotline zu Long und Post Covid

Foto: Porträtbild von Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen
Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen.

Bei Long beziehungsweise Post Covid gibt es kein eindeutiges Krankheitsbild und keine spezifischen Biomarker. So kann ein Befund erst nach Ausschluss anderer Erkrankungen erfolgen. Das ist für die Betroffenen oft frustrierend. Damit sie bestmögliche Unterstützung erhalten, haben wir gemeinsam mit der Niedersächsischen Landesregierung im August eine Hotline zu Long und Post Covid, aber auch zu Post-Vac, eingerichtet und seitdem rund 1.000 Beratungsgespräche geführt.

Überwiegend rufen Patienten an, die schon einen längeren Leidensweg hinter sich haben. Für sie, Angehörige und Arbeitgeber gibt es Informationen von 15 speziell geschulten Experten. Außerdem haben wir für unsere 1,2 Millionen erwerbstätigen Mitglieder gemeinsam mit der Deutschen Rentenversicherung ein neues Versorgungsmodell etabliert: Menschen, die seit mindestens zehn Wochen krankheitsbedingt pausieren müssen, werden durch ein beschleunigtes Antragsverfahren in eine passende Rehabilitationsmaßnahme vermittelt, die möglichst schnell beginnt. Dadurch hat sich die Antragsquote mehr als verdoppelt.

Illustration einer Ärztin, die auf einer Spritze wie durchs Weltall an Viren vorbeireitet
Masken, Schnelltests und Impfungen haben sich in der Corona-Pandemie bewährt. Damit Menschen sich eigenverantwortlich für den Schutz vor Atemwegserkrankungen entscheiden können, brauchen sie entsprechende Informationen, sagt Immunologin Christine Falk.
17.11.2023Änne Töpfer8 Min

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