Interview Prävention

„Die Impfung hat uns aus der Pandemie herausgeführt“

17.11.2023 Änne Töpfer 8 Min. Lesedauer

Masken, Schnelltests und Impfungen haben sich in der Corona-Pandemie bewährt. Damit Menschen sich eigenverantwortlich für den Schutz vor Atemwegserkrankungen entscheiden können, brauchen sie entsprechende Informationen, sagt Immunologin Christine Falk.

Illustration einer Ärztin, die auf einer Spritze wie durchs Weltall an Viren vorbeireitet
Impfungen spielen beim Schutz vor Infektionen eine herausragende Rolle.
Porträt von Prof. Dr. Christine Falk, Direktorin des Instituts für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung e. V.
Prof. Dr. Christine Susanne Falk ist Direktorin des Instituts für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung e. V. Die Biologin war Mitglied des ExpertInnenrates der Bundesregierung in der Corona-Pandemie. Falk ist Past-Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und Mitglied des Wissenschaftsrates.

Frau Professorin Falk, waren Sie in diesem Herbst schon erkältet?

Prof. Dr. Christine Falk: Nein, in diesem Herbst nicht, aber davor irgendwann mal. Und es war nicht Corona, sondern es war eine andere Erkältung. Es zirkulieren verschiedene Viren, die Atemwegsinfekte auslösen können. Man kann sich auch nochmal Corona einhandeln. Wir sind ja alle wieder viel unterwegs – das ist ganz normal.

Infektionskrankheiten hatten in unseren Breiten ihren Schrecken verloren – bis Corona kam. Welche Bedeutung werden Infektionskrankheiten künftig haben?

Falk: Wir hatten uns in einer sicheren Ecke vermutet und dachten, da wird schon nichts kommen. Auch mich hat überrascht, wie schnell das Corona-Virus einmal um die Welt ging. Gründe dafür sind die Globalisierung und unsere Reiseaktivität. Wenn ein neues Virus aus der Tierwelt überspringt, kann es sich unter Umständen eben doch relativ schnell ausbreiten und manche Menschen auch schwerer erwischen.

Welche Infektionskrankheiten haben in Deutschland und Europa die größte Bedeutung im Hinblick auf Krankheitslast und Sterblichkeit?

Falk: Die echte Grippe, die Influenza, muss nach wie vor auf dem Radar sein. Während der Corona-Pandemie führten die Schutzkonzepte dazu, dass auch die echte Grippe wenig kursierte. Um sich gegen Influenza zu wappnen, ist die weltweite Vernetzung der Institutionen wichtig. Nur dann wissen wir, welcher Influenza-Stamm aus der Südhalbkugel bei uns in der nächsten Saison zu erwarten ist. Dann kann der passende Impfstoff rechtzeitig hergestellt werden.

Neben den Impfungen gibt es ja weitere Schutzmöglichkeiten, wie beispielsweise eine Maske zu tragen. Gegenwärtig sehe ich nur noch wenige Menschen mit Maske. Geben wir damit ein bewährtes Schutzkonzept auf?

Falk: Das ist eine Frage der Nutzen-Risiko-Abwägung. Mit Masken, Abstand, Hygiene und Lüften lässt sich die Ausbreitung von Infektionen, die über die Luft kommen, sehr gut begrenzen. Die Frage ist, wann man das als Gesellschaft tun sollte. Wenn fast alle Menschen geimpft und/oder genesen sind, ist die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Erkrankungsverlauf gering. Ich fahre viel mit der Bahn und habe immer eine Maske dabei. Wenn ich höre, dass um mich herum Menschen schniefen und husten, setze ich die Maske auf, um mich vor Ansteckung zu schützen. Wir sollten Menschen ermutigen, Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Wenn jemand keine Maske mehr tragen will, muss er sich über die nächste Erkältung nicht wundern. Diese Ermutigung zum Nachdenken und eigenständigen Entscheiden ist mir ein wichtiges Anliegen.

Welche Informationen brauchen Menschen dafür?

Falk: Wir haben durch Corona viel über die Ansteckungswege bei Atemwegserkrankungen gelernt. Wir können das Ansteckungsrisiko nicht visuell kontrollieren, wissen aber: Es steigt, wenn sich viele Menschen auf engem Raum aufhalten, beispielsweise in Zügen oder Bussen. Solche Rahmenbedingungen müssen wir erklären und zwar so, dass es alle Leute verstehen. Das sehe ich auch als Aufgabe des geplanten Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin.

Gibt es ein Schutzkonzept, was Sie besonders wichtig finden?

Falk: Das hängt von der Art der Infektionserkrankung ab. Atemwegserkrankungen sind am schwierigsten einzufangen, weil sie über die Luft übertragen werden. Deswegen helfen dagegen Maske, Abstand, Hygiene und Lüften. Andere Infektionserkrankungen, die nicht über die Luft übertragbar sind, lassen sich in der Regel leichter kontrollieren, weil sie nicht so einfach ansteckend sind.

Brauchen Kliniken und Pflegeheime spezielle Strategien zum Schutz vor Infektionen?

Falk: In Krankenhäusern und Pflegeheimen gelten schon lange allgemeine Vorschriften für die Hygiene. In der Pandemie wurden die Hygienekonzepte nochmal verstärkt. Das Ziel muss dabei sein, Menschen aus Risikogruppen vor bedrohlichen Infektionen zu schützen. Wenn man Menschen in ihren Zimmern einsperrt, ist das furchtbar und eben kein gutes Hygienekonzept. Wir haben heute andere Möglichkeiten: Wenn jemand Symptome hat, sollte ein Corona-Schnelltest gemacht werden. Bei einer Infektion sollte man bitte zu Hause bleiben oder eine Maske aufsetzen, um andere nicht anzustecken. Daher erscheint es schon sinnvoll, in Heimen Schnelltests vorzuhalten.

„Meine Empfehlung ist, Informationen über Infektionen und Impfungen miteinander zu verknüpfen.“

Prof. Dr. Christine Falk

Direktorin des Instituts für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung e. V.

Welche Rolle spielen Impfungen für den Schutz vor Infektionskrankheiten?

Falk: Impfungen spielen dabei eine herausragende Rolle. Ich finde es erstaunlich, dass Deutschland es nicht schafft, mit dem Erfolg der Corona-Impfung positiver umzugehen. Die Impfung hat uns aus der Pandemie herausgeführt. Damit haben wir aus immunologischer Perspektive schon gerechnet – die Frage war nur, wie schnell es einen Impfstoff geben würde, der aus diesem gefährlichen Virus eines macht, das sich in die Reihe anderer Erkältungsviren einreiht. Egal welche Infektionserkrankungen uns in der Zukunft noch erwischen werden – wir werden immer die Impfung dagegen brauchen.

Und das zu vermitteln, ist nicht gelungen?

Falk: Genau. Zum Beispiel erwähnen die Medien nicht, dass die Nobelpreisträgerin Katalin Karikó zehn Jahre lang in Mainz bei BioNTech gearbeitet hat. Deutschland schafft es irgendwie nicht, sich einzugestehen: BioNTech hat einen Riesenbeitrag geleistet, dass es diesen Impfstoff gibt. Wir wissen nun auch, dass in Zukunft sehr schnell mRNA-Impfstoffe hergestellt werden können – falls erforderlich .

Was ist dran an der Vorstellung, ein Immunsystem mit Infektionen trainieren zu können? Beziehungsweise: Wird es schwächer, wenn es nicht so vielen Erregern ausgesetzt ist?

Falk: Dieser Umkehrschluss ist so nicht richtig. Das Immunsystem etabliert sich ganz allein, ohne Infektionen. Das sieht man bei der Stammzelltransplantation. Da halten sich die Patienten in einem geschlossenen Zelt auf, damit sie auf gar keinen Fall irgendeinem Keim ausgesetzt sind, bis sich das Immunsystem in den ersten hundert Tagen nach der Transplantation rekonstituiert. Allerdings entsteht mit jeder Infektion ein immunologisches Gedächtnis für den Erreger. Diesen Effekt nutzen wir ja auch bei der Impfung. Aber man muss sich nicht mit jedem Virus und mit jedem Bakterium anstecken, um ein möglichst großes immunologisches Gedächtnis aufzubauen.

Welche Gefahr geht aus Ihrer Sicht derzeit von Sars-CoV-2 noch aus?

Falk: Mein Lieblingsbeispiel ist das Oktoberfest mit etwa sieben Millionen Besuchern. Auf die Wiesn kommen Menschen aus der ganzen Welt, die bringen alle Varianten dieser Welt mit. Die Corona-Zahlen sind zwar gestiegen, aber es ist offensichtlich weltweit bei Omikron geblieben. Solange es bei der Omikron-Familie bleibt, trägt die Impfung beziehungsweise die Kombination aus Impfung und Infektion für den Impfschutz. Die meisten Menschen haben sich im Verlauf der Pandemie angesteckt, meist nach Impfung, was sowohl den Schutz vor schwerer Erkrankung als auch vor Infektion verstärkt durch die lokale Immunantwort im Nasen-Rachenraum. Dass diese kollektive Immunität trägt, zeigt die Entwicklung in diesen Herbst hinein: Die Zahlen steigen durchaus, aber die Infizierten werden nicht schwer krank. Immungesunde Menschen kommen gut mit dieser Infektion klar, wie mit anderen respiratorischen Viruserkrankungen auch.

Welche Parameter sind wichtig, um im Blick zu behalten, welche Gefahr von Corona ausgeht?

Falk: Das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Weltgesundheitsorganisation haben auf dem Radar, was in Deutschland und weltweit im Bereich der Infektionskrankheiten passiert. Der RKI-Wochenbericht stützt sich auf den Nachweis der Erreger von Infektionen bei Krankenhaus-Patienten und auf die Ergebnisse aus den Sentinel-Praxen. Das sind ausgewählte Arztpraxen, die Abstriche machen, um zu schauen, durch welche Erreger ihre Patienten krank sind. So lässt sich beobachten, welche Erreger von Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung zirkulieren. Das Abwasser-Monitoring ist ebenfalls sinnvoll, um ein regionales Auftreten von Viren auf dem Radar zu haben.

Wie kann man feststellen, welcher Anteil der Bevölkerung bereits mit dem Corona-Virus infiziert war?

Falk: Um zu sagen, wie hoch der Anteil ist, wäre eine Zusammenführung der Daten zu Infektion und Impfung sinnvoll gewesen. Man muss sich überlegen, ob man das künftig anders organisiert. Meine dringende Empfehlung ist, Informationen über Infektionen und Impfungen miteinander zu verknüpfen. Die Corona-App hat z.B. gezeigt, dass über 60 Millionen Menschen in Deutschland mindestens einen positiven Corona-Test hatten. Auch die Landkreise haben die Zahl der Infektionen über mehr als zwei Jahre lang dokumentiert. Über die Meldung an das RKI lief die Impferhebung. Wir sollten uns künftig mehr damit beschäftigen, wie man solche Daten unter Datenschutzgesichtspunkten trotzdem zusammenführen kann.

Illustration einer Spritze, die wie ein Leuchtturm im Meer steckt.
Wenn Daten zu Impfungen und Infektionen zusammengeführt werden, bieten sie Orientierung im Umgang mit Pandemien.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt eine Corona-Auffrischungsimpfung für Menschen über 60. Woran sollte sich die individuelle Impf-Entscheidung noch orientieren?

Falk: Die STIKO-Empfehlung besagt zunächst einmal, dass Menschen unter 60 mit einem gesunden Immunsystem keine Auffrischung brauchen. Die meisten Menschen sind dreimal geimpft und haben sich ein- bis zweimal mit Corona infiziert. Dann haben sie hohe Antikörper-Spiegel und T-Zellen gegen das Coronavirus. Das haben wir so auch in unserer kleinen Impf-Kohorte hier am Institut gemessen. Wenn jemand hohe Antikörper-Spiegel hat, braucht er jetzt keine Auffrischimpfung, denn dann liegt die letzte Impfung und/oder Infektion noch nicht lange zurück. Menschen, die gerade 60 sind, können sich überlegen: Welches individuelle Risiko habe ich? Wie lange liegen Impfung oder Infektion zurück? Gibt es Grunderkrankungen? Gibt es andere Gründe, warum es jetzt sehr sinnvoll wäre, eine Booster-Impfung machen zu lassen? Zwar geht die Immunität mit der Zeit zurück, aber sie ist nicht weg. Auch wenn die letzte Impfung ein Jahr zurückliegt und man keinen Kontakt mit dem Virus hatte, ist noch Impfschutz vorhanden. Das ist eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung.

Wie gut sind die aktuell zur Verfügung stehenden Impfstoffe?

Falk: Das Immunsystem kann zwischen dem alten Impfstoff und dem angepassten unterscheiden und produziert neue Antikörper, die noch besser an Omikron angepasst sind. Wenn man mit den angepassten Impfstoffen entweder auffrischt oder sogar neu immunisiert, entstehen wieder höhere Spiegel an Antikörpern, die das Virus unter anderem neutralisieren, also Infektion verhindern. Die ursprüngliche Immunität ist aber nicht weg, sondern sie kann nicht mehr verhindern, dass das Virus in die Zelle kommt weil sich das Spike-Protein ein wenig verändert hat. Aber alle anderen Mechanismen greifen noch, zum Beispiel T-Zellen und andere Antikörper, die ebenfalls zum Immun-Gedächtnis gehören.

Gibt es größere Lücken beim Impfschutz gegen Corona?

Falk: Es gibt sicher Menschen, die sich nicht haben impfen lassen und die noch nie eine Corona-Infektion hatten. Wenn die Impfdaten mit den Infektionsdaten verknüpft wären, könnten wir genauer sagen, wie viele Menschen noch gar nicht geschützt sind. Das Einzige, was wir so dazu sagen können, ist: Wir haben einen hohen Anteil geimpfter und infizierter Personen – damit hat ein sehr hoher Anteil der Menschen eine gewisse Immunität.

Zu den ungeimpften Menschen könnten Kinder und Jugendliche gehören, deren Eltern bei der Impfung zurückhaltend waren.

Falk: Richtig. Sie sind aber dann doch meistens in den Schulen infiziert worden. Aber auch das lässt sich nicht beziffern. Die STIKO-Empfehlung ist sehr vorsichtig: Sie besagt, dass Kinder in Rücksprache mit den Ärztinnen und Ärzten geimpft werden können. Das finde ich ganz wichtig, denn wir wissen nicht genau, was eine frühe Infektion mit SARS-CoV-2 mit den Kindern macht. Eltern sollten sich gut informieren, ob ein Impfschutz für ihre Kinder anzuraten ist.

Welche Bedeutung haben heute noch Falschinformationen über Corona und die Impfung?

Falk: Es kursieren immer noch Fehl- und Falschinformationen. Es besteht sogar die Gefahr, dass Menschen behaupten: Corona war doch gar nicht so schlimm. Dann muss man sagen: Ja, genau – weil wir die Impfung hatten. Die wissenschaftliche Gemeinschaft muss das erklären, damit nicht der falsche Eindruck entsteht, dass alle Maßnahmen umsonst waren. Dieser Ansicht muss man unbedingt mit guten Argumenten entgegentreten.

Foto: Illustration einer roten Viruskugel, die von einem Mann gezogen wird.
Die einen erkranken an Covid-19 und sind kurz darauf völlig genesen, die anderen leiden monate- und jahrelang an Spätfolgen. Wie gut sind Menschen mit Long Covid hierzulande versorgt und wie lässt sich Wissen bündeln?
17.11.2023Tina Stähler4 Min

Mitwirkende des Beitrags

1 Kommentar

Spannendes Interview. Gefällt mir sehr gut.

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