Religion
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Wie weit darf Medizin sich in den natürlichen Verlauf des Lebens einmischen?
Der Mensch darf sich in den natürlichen Verlauf einmischen. Die Organtransplantation hat das Ziel, den natürlichen Verlauf des Lebens zu bewahren oder wiederherzustellen.
Der natürliche Verlauf des Lebens ist durch Krankheiten bedroht. Der Mensch darf einem Erkrankten helfen beziehungsweise sein Leben retten. Voraussetzung ist, dass er damit nicht gegen dessen Willen handelt oder dessen Würde verletzt oder einem anderen Menschen schadet. Medizinische Behandlungen, zu denen auch die Organtransplantation gehört, haben das Ziel, das Leben so weit wie möglich und sinnvoll zu bewahren.
Welche Rolle spielt der religiöse Glaube bei der Spende von Organen?
Das Gebot zur Hilfeleistung und Solidarität gibt es im Christentum, Islam, Judentum und in anderen Glaubensrichtungen. Daraus ergibt sich jedoch keine religiöse Pflicht zur Organspende, denn die Entscheidung darüber obliegt dem Einzelnen.[1, 5] Aus christlicher Sicht gibt es keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Organentnahme. In Teilen des Islams bestehen Vorbehalte gegen die Organentnahme.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland allerdings begrüßte 1997 die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes unter Berücksichtigung bestimmter islamischer Vorschriften. Nach jüdischem Glauben wird der Hirntod nicht mit dem Tod des Menschen gleichgesetzt. In Teilen des Judentums gibt es daher Vorbehalte gegen die Organentnahme. Das oberste Rabbinat in Israel billigt aber das Hirntodkriterium im Zusammenhang mit der Organtransplantation.
Die Religion eines Menschen prägt seine Einstellung zum Tod und zum eigenen Körper.[1] Zugleich wird seine Einstellung aber auch durch individuelle Erfahrungen und Lebensanschauungen bestimmt. Daher ist die persönliche Einstellung religiöser Menschen nicht unbedingt mit der offiziellen Lehrmeinung einer Religionsgemeinschaft gleichzusetzen.
Christentum
Aus christlicher Sicht ist der irdische Körper Gestalt und Träger des irdischen Lebens. Er ist als solcher auch nach dem Tode zu achten und mit Würde zu behandeln. Da das Menschsein über den Tod hinaus aber nicht an den irdischen Körper und seine Unversehrtheit gebunden ist, bestehen aus christlicher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Entnahme, Spende und Transplantation von Organen.
Aus christlicher Sicht gibt es eher Argumente für eine Organspende. Jesus Christus hat gesagt, dass zerstörende Krankheiten dem Willen Gottes widersprechen. Demnach ist es Auftrag der Christen, Krankheiten zu heilen, Leiden zu lindern und Leidende zu trösten. In der Heilung und Pflege der Kranken konkretisiert sich die Nächstenliebe, die in der Liebe Gottes gründet.
Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche haben im Jahr 1990 eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in der sie die Organspende befürworten, sie aber ausdrücklich der Entscheidung des Einzelnen überlassen.[2] Die Organspende kann als ein Akt der Nächstenliebe verstanden werden, umgekehrt darf aber die Ablehnung einer Organentnahme deshalb nicht als ein liebloser Akt der Unbarmherzigkeit bewertet werden. In einer Handreichung der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2015 zum Thema Hirntod und Organspende wird diese Position bestätigt [3]. Die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes von 1997 haben beide Kirchen begrüßt.
Islam
Die islamische Religion geht davon aus, dass die Identität eines Menschen mit seiner Leiblichkeit in einem unauflöslichen Zusammenhang steht. Diese Leiblichkeit wird mit dem Tod nicht vernichtet, sondern von Gott bewahrt. Das ewige Leben wird im Islam als eine Bewahrung, Steigerung und Vervollkommnung des irdischen körperlichen Lebens gesehen. Die Organentnahme wird im Islam mehrheitlich abgelehnt, dem entgegen steht die Unversehrtheit des Körpers. Dennoch begrüßte der Zentralrat der Muslime in Deutschland 1997 die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes. In einer Stellungnahme aus dem Jahr 2010 heißt es, dass die Organspende nach dem Tod eine lobenswerte Handlung und wohltätige Hilfeleistung sei, die unter Berücksichtigung bestimmter islamischer Vorschriften der Menschenwürde nicht widerspricht.[3]
Judentum
Die jüdische Religion geht davon aus, dass die Identität eines Menschen mit seiner Leiblichkeit in einem unauflöslichen Zusammenhang steht. Die körperliche Gestalt macht das irdische Individuum aus. Der Körper ist eine Leihgabe Gottes. Er wird mit dem Tod nicht vernichtet, sondern von Gott bewahrt. Niemand kann frei über seinen Körper verfügen. Um an Gottes Leben teilzunehmen, muss dieser Körper wieder zu neuem Leben auferweckt werden. Nach jüdischem Glauben ist der Mensch erst tot, wenn Atmung und Herzschlag aussetzen. Der Hirntod ist daher nicht mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen. Dementsprechend gibt es insbesondere im orthodoxen Judentum deutliche Vorbehalte gegen eine Organentnahme. Das oberste Rabbinat in Israel billigte jedoch bereits 1987 das Hirntodkriterium im Zusammenhang mit der Organtransplantation unter der Voraussetzung, dass die Spontanatmung unwiderruflich ausgefallen ist.[4] Nach liberaleren jüdischen Ansichten sind Rettung und Erhalt von Leben höher zu bewerten als die Unversehrtheit eines Leichnams.
Buddhismus
In vielen östlichen Religionen wie dem Buddhismus ist die Leiblichkeit nur eine zum Vergehen bestimmte irdische Größe. Die Organentnahme wirft keine grundsätzlichen Probleme auf. Was nach dem Tode mit dem Körper geschieht, ist mehr oder weniger belanglos.
Allerdings bestehen Bedenken gegen die Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod des Menschen. Der Tod ist im Buddhismus ein längerer Prozess der Ablösung von dieser irdischen Welt, der nicht mit dem Hirntod oder Herztod beendet ist. Dieser Ablösungsprozess wird durch eine Organentnahme gestört.
Welche Rolle spielt der religiöse Glaube beim Empfang eines Organs eines toten Menschen?
Aus christlicher Sicht bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, sich ein Organ eines fremden Menschen einpflanzen zu lassen, um das Leben zu erhalten oder die Leiden an einer schweren Krankheit zu mindern. Die Identität und Integrität des Menschen als Person wird damit nicht angetastet.
In großen Teilen des Islams und im orthodoxen Judentum bestehen Bedenken gegen den Empfang eines fremden Organs.
Wie weit geht die Nächstenliebe in Bezug auf die Organspende?
Eine Pflicht zur Organspende lässt sich aus dem Gebot der Nächstenliebe nicht ableiten.[5] Nächstenliebe ist aus christlicher Sicht ein übergeordnetes Gebot. Manche Menschen sehen die Organspende nach dem Tod als Akt der Nächstenliebe. Gegen diese Sichtweise spricht, dass keine persönliche Beziehung zwischen Spender und Empfänger besteht, da die Vermittlung von Spenderorganen in Deutschland anonym organisiert ist. Nächstenliebe setzt ein persönliches Verhältnis zwischen zwei lebenden Menschen voraus. Eine Pflicht zur Organspende lässt sich aus dem Gebot der Nächstenliebe daher nicht ableiten.
Verbund von Körper und Seele: Geht ein Stück meiner Seele verloren, wenn ich ein Organ spende?
Die Seele ist nach christlichem Glauben nicht an einzelne Organe gebunden. Die Entnahme von Organen führt daher nicht zum Verlust eines Teils der Seele.
Die Seele wird im christlichen Glauben als das belebende Innerste des Körpers, als das Zentrum, die Identität und das Wesen des Menschen betrachtet. Die Seele drückt sich in der gesamten Leiblichkeit aus. Die Entnahme eines einzelnen Organs oder mehrerer Organe nach dem Tod führt aber nicht zum Verlust eines Teils der Seele.
Dennoch empfinden manche Menschen, dass sich die Seele in den Organen in unterschiedlicher Stärke widerspiegelt. Vor allem das Herz wird vielfach als gefühlsmäßiges Zentrum empfunden. Aus diesem Grund lehnen manche Menschen eine Spende ihres Herzes ab.
Inhaltlich verantwortlich
Prof. Dr. Ulrich Eibach
Universität Bonn
Fachbereich Systematische Theologie und Ethik
Pfarrer am Universitätsklinikum Bonn
Erklärung zur Unabhängigkeit unserer Experten (PDF, 503 KB)
Erstellt am: 12.03.2012
Aktualisiert am: 01.04.2017
[1] Nagel, Alber, Bayerl (2011) Transplantationsmedizin zwischen Fortschritt und Organknappheit. Geschichte und aktuelle Fragen der Organspende, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 20–21: 15–21
[2] Deutsche Bischofskonferenz und Rat der Evangelischen Kirchen in Deutschland (1990) Organtransplantationen, Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD. www.dbk.de/fileadmin/redaktion/veroeffentlichungen/gem-texte/GT_01.pdf (Zugriff 15.05.2017)
[3] Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (2010) Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zur Änderung des Transplantationsgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2010 / 53 / EU über Qualitäts- und Sicherheitsstandards für zur Transplantation bestimmte menschliche Organe. zentralrat.de/18035.php. (Zugriff am 15.05.2017)
[4] Holznienkemper, T. (2005) Organspende und Transplantation und ihre Rezension in der Ethik der abrahamitischen Religionen; LIT Verlag
[5] Deutsche Bischofskonferenz in Deutschland. Hirntod und Organspende. Bonn 2015. 29 S. (Die deutschen Bischöfe – Glaubenskommission ; 4 1)
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