Behandlung mit Antibiotika
Inhalte im Überblick
Leitlinien zur Behandlung einer Mittelohrentzündung mit Antibiotika
Eine sofortige Behandlung einer akuten Mittelohrentzündung mit Antibiotika wird allgemein empfohlen bei:
- Säuglingen im Alter unter sechs Monaten
- Kindern im Alter unter zwei Jahren mit beidseitiger akuter Mittelohrentzündung
- Kindern mit akuter Mittelohrentzündung und Ohrausfluss
- Kindern mit ausgeprägtem Krankheitsbild, zum Beispiel bei hohem Fieber (39 Grad Celsius und höher), anhaltendem Erbrechen und/oder Durchfall, schlechtem Allgemeinbefinden
- Kindern mit bestimmten Vorerkrankungen oder Risikokonstellationen
Nutzen und Risiken von Antibiotika bei akuter Mittelohrentzündung
Antibiotika können Nebenwirkungen haben. Deshalb wurden der Nutzen und das Risiko der Antibiotikatherapie bei einer akuten Mittelohrentzündung wissenschaftlich untersucht. Um mehr Klarheit zu erhalten, welche Nutzen und Risiken eine Antibiotikatherapie für Kinder mit akuter Mittelohrentzündung tatsächlich hat, haben Wissenschaftler die Daten von 13 kontrollierten klinischen Studien mit insgesamt 3.401 Kindern ausgewertet. Verglichen wurde, wie Antibiotika bei akuter Mittelohrentzündung wirken und welche Effekte im Vergleich dazu ein Scheinmedikament (Placebo) erzielt [1].
Scheinmedikamente sind harmlose Darreichungsformen, die keinen echten Arzneistoff enthalten, sondern lediglich aus Zucker oder Stärke bestehen. Sie werden in kontrollierten klinischen Studien als „Vergleichsmedikament“ eingesetzt, um die tatsächliche Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln mit echtem Wirkstoff zu untersuchen. Durch den Vergleich lässt sich feststellen, ob das Arzneimittel, zum Beispiel ein Antibiotikum, dem Scheinmedikament überlegen ist oder nicht.
Antibiotika zeigten bei folgenden Aspekten der Mittelohrentzündung einen Nutzen
Antibiotika lindern die Schmerzen
Antibiotika lindern die Schmerzen in den ersten 24 Stunden nicht mehr als das Placebo, ab dem zweiten Behandlungstag jedoch hatte fast ein Drittel der Patienten weniger Restschmerzen als bei dem Scheinmedikament.
Werden 100 Kinder mit einem Antibiotikum behandelt, leiden nach zwei bis drei Tagen 5 Kinder weniger an Ohrenschmerzen, als wenn sie ein Scheinmedikament erhalten.
Antibiotika verbessern die Hörfunktion
Antibiotika verbessern die Hörfunktion in den ersten Wochen nach Behandlungsbeginn stärker als ein Scheinmedikament.
Wenn 100 Kinder mit einem Antibiotikum behandelt werden, haben neun von ihnen nach zwei bis vier Wochen eine bessere Hörfunktion als ohne Antibiotikum. Ein ähnlicher Vorteil wird nach sechs bis acht Wochen gesehen. Nach drei Monaten ist dieser Vorteil verschwunden. Dann hat sich die Hörfunktion bei gut drei Vierteln aller Kinder normalisiert, egal ob sie zuvor mit einem Antibiotikum oder einem Scheinmedikament behandelt worden waren.
Das andere Ohr erkrankt seltener
Antibiotika senken das Risiko, dass auch das andere Ohr an Mittelohrentzündung erkrankt.
Wenn 100 Kinder mit einem Antibiotikum behandelt werden, werden acht von ihnen durch das Antibiotikum vor einer Erkrankung des anderen Ohres bewahrt.
Das Trommelfell reißt seltener
Antibiotika senken das Risiko eines Trommelfelleinrisses.
Das Antibiotikum verhindert bei 3 von 100 Kindern, dass das Trommelfell durch den Mittelohrerguss einreißt.
In folgenden Aspekten zeigten Antibiotika bei Mittelohrentzündungen keinen Nutzen
Kein Einfluss auf Schmerzen binnen der ersten 24 Stunden
Antibiotika haben in den ersten 24 Stunden nach Behandlungsbeginn keinen Einfluss auf die Ohrenschmerzen. In dieser Zeit werden mit oder ohne Antibiotikum rund 60 Prozent der Kinder schmerzfrei.
Erhalten 100 Kinder ein Antibiotikum, sind nach 24 Stunden 5 Kinder mehr schmerzfrei als in der Gruppe, die ein Scheinmedikament einnimmt.
Risiko einer Neuerkrankung bleibt
Antibiotika senken nicht das Risiko, dass das behandelte Kind später erneut an einer Mittelohrentzündung erkrankt (Rezidivrisiko).
Von 100 Kindern erkrankt rund jedes 5. Kind später erneut an einer akuten Mittelohrentzündung, unabhängig davon, ob es zuvor mit einem Antibiotikum oder mit einem Scheinmedikament behandelt worden war. Antibiotika bieten in diesem Aspekt somit keinen Vorteil gegenüber dem Scheinmedikament.
Antibiotika schließen Komplikationen nicht aus
Antibiotika haben keinen Einfluss auf die insgesamt sehr seltene Rate an schwerwiegenden Komplikationen.
Die Studienanalyse zeigte, dass in beiden Behandlungsgruppen in Einzelfällen eine schwerwiegende Komplikation auftrat, zum Beispiel eine Entzündung des Warzenfortsatzes. Das geschieht jedoch unabhängig davon, ob abgewartet oder mit einem Antibiotikum behandelt wurde.
Häufige Nebenwirkungen von Antibiotika
Antibiotika führen häufiger zu Nebenwirkungen wie Erbrechen, Durchfall oder Hautausschlag.
Beschwerden wie Erbrechen oder Durchfall können einerseits als Nebenwirkungen von Antibiotika auftreten, andererseits können sie auch als Begleiterscheinung bei einer akuten Mittelohrentzündung vorkommen. Deshalb zeigt sich erst durch den Vergleich zwischen Antibiotika und Scheinmedikament, wie oft derartige Beschwerden tatsächlich durch das Antibiotikum ausgelöst werden.
Die Studienanalyse ergab: Durch Antibiotika werden bei 7 von 100 Kindern Nebenwirkungen wie Erbrechen, Durchfall oder Hautausschlag ausgelöst.
Bewertung der Antibiotikagabe bei Mittelohrentzündungen
- In den meisten Fällen heilen akute Mittelohrentzündungen von allein und ohne Komplikationen aus.
- Die Vorteile einer Behandlung mit Antibiotika sollten gegen die möglichen Nachteile sorgfältig abgewogen werden.
- Den höchsten Nutzen von einer Behandlung mit Antibiotika haben Kinder unter zwei Jahren mit akuter Mittelohrentzündung an beiden Ohren oder mit Ohrausfluss (Otorrhoe).
- Für die meisten anderen Kinder mit unkomplizierter Mittelohrentzündung erscheint eine abwartende Behandlung gerechtfertigt.
Wann ist die sofortige Antibiotikagabe bei Mittelohrentzündung nötig?
Bei klinisch ausgeprägten Beschwerden ist eine sofortige Behandlung mit Antibiotika sinnvoll, besonders bei kleineren Kindern. Ob zusätzlich zur Schmerzbehandlung zugleich eine antibiotische Behandlung eingeleitet werden muss, entscheidet der Arzt nach der Ausprägung des Krankheitsbildes und dem Alter des Kindes.
In Leitlinien [2, 3, 4] wird eine sofortige Antibiotikatherapie der akuten Mittelohrentzündungen empfohlen bei:
- Säuglingen im Alter unter sechs Monaten
- Kindern im Alter unter zwei Jahren und beidseitiger akuter Mittelohrentzündung
- Kindern mit akuter Mittelohrentzündung und Ohrausfluss
- Kindern mit ausgeprägtem Krankheitsbild, etwa hohem Fieber (39 Grad Celsius und höher), anhaltendem Erbrechen und/oder Durchfall, schlechtem Allgemeinbefinden
- Kindern mit bestimmten Vorerkrankungen oder Risikokonstellationen (zum Beispiel bei Immunschwäche, Voroperationen am Ohr, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte). Ob eine solche Situation vorliegt, entscheiden behandelnder Arzt und Eltern gemeinsam.
Bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und zwei Jahren mit leichter einseitiger Erkrankung kann ebenfalls überlegt werden, das Kind zuerst für kurze Zeit engmaschig zu kontrollieren, bevor eine Antibiotikatherapie begonnen wird [4].
Hinweis: Da die Antibiotikatherapie bei akuter Mittelohrentzündung über den gesamten Organismus wirken soll, werden die Medikamente normalerweise über den Mund (oral) eingenommen.
Hinweise zu Nutzen und Nebenwirkungen von Antibiotika bei Mittelohrentzündungen
Antibiotika werden zur Behandlung von Infektionen eingesetzt, die durch Bakterien verursacht werden. Da manche bakterielle Infektionen unbehandelt zu schweren Erkrankungen führen können, sind Antibiotika wichtige Medikamente.
Die Wirkung von Antibiotika zielt darauf ab, die schädlichen Bakterien im Körper abzutöten beziehungsweise ihr Wachstum zu stoppen. Auf diese Weise kann ein Heilungsprozess einsetzen. Antibiotika wirken allerdings nicht bei Infektionen mit Viren.
Außer der erwünschten Wirkung können Antibiotika auch Nebenwirkungen und unerwünschte Effekte hervorrufen.
Antibiotika gelten bei richtiger Einnahme im Allgemeinen als gut verträglich. Zu den typischen Nebenwirkungen vieler antibiotischer Medikamente gehören jedoch Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall. Magen-Darm-Probleme werden bei etwa 1 von 10 behandelten Patienten beobachtet [5]. Allergische Erscheinungen, zum Beispiel in Form von Hautausschlag, treten bei etwa 1 von 15 behandelten Patienten auf [5].
Hinweise zur Einnahme von Antibiotika bei Mittelohrentzündungen
Ein nicht vorschriftsmäßiger Einsatz von Antibiotika birgt die Gefahr, dass sich Gruppen von Bakterien so verändern, dass sie gegenüber diesen Antibiotika unempfindlich (resistent) werden [6, 7, 8]. Das führt dazu, dass ein zuvor wirksames Antibiotikum wirkungslos wird.
Das Risiko einer solchen Resistenzbildung kann durch eine übermäßige oder falsche Anwendung von Antibiotika (zum Beispiel bei viralen Infekten) begünstigt werden. Ebenso kann eine unzuverlässige oder verfrüht beendete Einnahme einer verordneten Antibiotikabehandlung zur Entwicklung resistenter Bakterien beitragen [9, 10].
Erhält Ihr Kind eine Antibiotikatherapie in Form von Saft oder Tabletten, sollte die Einnahme so lange fortgeführt werden, wie der Arzt es verordnet hat. Das gilt auch dann, wenn die Mittelohrentzündung schon vorher abgeklungen ist.
Treten Nebenwirkungen oder Allergien im Rahmen der Antibiotikagabe auf, wenden Sie sich bitte an den behandelnden Arzt. Dieser entscheidet, ob die Therapie fortgesetzt oder ausgesetzt werden soll.
Autor und Quellen
Eine Kooperation der AOK und der Uniklinik Köln.
Aktualisiert am: 13. Juli 2016
1. Venekamp RP, Sanders SL, Glasziou PP, Del Mar CB, Rovers MM. Antibiotics for acute otitis media in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 6. Art. No.: CD000219. DOI: 10.1002/14651858.CD000219.pub4.
2. Lieberthal AS, Carroll AE, Chonmaitree T et al. The diagnosis and management of acute otitis media. Pediatrics 2013; 13: e964; originally published online February 25, 2013. DOI: 10.1542/peds.2012-3488. [Zugriff 18.09.2013]
3. Thomas JP, Berner R, Zahnert T, Dazert S, Acute otitis media: a structured approach. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(9). 151-160. DOI: 10.3238/artzebl.2014.0151
4. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, DEGAM Leitlinie Nr. 7, Ohrenschmerzen. Aktualisierte Fassung 2014, Sk2-Leitlinie, AWMF-Registernr. 053/009, November 2014. [Zugriff 20.02.2020]
5. NHS choices information. Antibiotics. [Zugriff 7.1.2016]
6. Adam D. Antibiotikatherapie: Fortschritte und Resistenzentwicklung. Internist 2006; 47: 758–763. DOI 10.1007/s00108-006-1639-2 Online publiziert: 16. Mai 2006.
7. Wiedemann B. Antibiotikaanwendung und Resistenzentwicklung. Krankenhaushygiene up2date 2007; 2: 21-33. DOI 10.1055/s−2007−966252
8. Geiss HK, Antibiotikaresistenz: Entstehung, Mechanismen und klinische Bedeutung. In: Darei G, Handermann M, Sonntag HG, Zöller L (Hrsg.). Lexikon der Infektionskrankheiten des Menschen. 4. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2012, S. 32-35 (Fachbuch)
9. Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg): DART – Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie. Berlin, April 2011. [Zugriff: 23.3.2016]
10. Glaeske G, Hoffmann F, Koller D, Tholen K, Windt R: Faktencheck Gesundheit, Antibiotika-Verordnungen bei Kindern. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh, 2012.
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