Finanzierung des Gesundheitswesens

Politische Eingriffe in die Finanzautonomie der Krankenkassen

Keine langfristige Lösung in Sicht

Das von Schätzerkreis und Experten des Gesundheitswesens ermittelte zusätzliche GKV Finanzloch gegenüber 2022 beträgt bei einem konstanten durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 1,3 Prozent rund 17 Milliarden Euro. Diese finanzielle Schieflage beruht einerseits auf den Folgen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs, andererseits in erheblichem Maße auf den teuren Reformen der vergangenen Jahre, darunter das Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung (GPVG) aus 2020.

Bereits im Jahr 2021 fehlten zur Finanzierung des Gesundheitswesens erhebliche Mittel (16,6 Milliarden Euro). Diese fehlenden Mittel wurden dem Gesundheitsfonds, aus dem die Krankenkassen ihre Gelder erhalten, auf drei Wegen zur Verfügung gestellt:

  • einem Steuerzuschuss in Höhe von fünf Milliarden Euro.
  • Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages um 0,2 Prozentpunkte.
  • Abschöpfung der Rücklagen der Krankenkassen von acht Milliarden Euro. Davon hatten allein die Versicherten der AOKs über 4,2 Milliarden Euro zu tragen, für die AOK PLUS bedeutete dies die Abführung von 687 Millionen Euro an Beitragsgeldern der Versicherten und Arbeitgeber.

Mit der erneuten Finanzlücke drohen den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland wieder massive Beitragserhöhungen.

Eingriff auf die Finanzreserven: Klageverfahren läuft

Die Abführung von Finanzrücklagen war für uns ein nicht hinnehmbarer Eingriff in die Finanzautonomie der Krankenkassen und rechtlich fragwürdig. So kommt ein Rechtsgutachten im Auftrag der AOK PLUS und der AOK Hessen zu dem Ergebnis, dass die Rücklagenabschöpfung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und damit verfassungswidrig sei. Die AOK-Gemeinschaft hat daraufhin, ebenso wie andere Krankenkassen, 2021 Klage eingereicht. Die Verfahren laufen aktuell noch, mit einem Ergebnis rechnen wir in 2023.

Zum damaligen Zeitpunkt als „einmalig“ bezeichnet, wird die Abschöpfung der Finanzrücklagen mit dem neuen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) erneut wiederholt. Jetzt sollen noch einmal rund 2,5 Milliarden Euro aus den Reserven der Krankenkassen genommen werden. Die AOK PLUS soll noch einmal rund 150 Millionen Euro aus ihren Rücklagen zur finanziellen Sanierung der gesamten Gesetzlichen Krankenversicherung abführen.

Finanzautonomie der Krankenkasse

Beitragsgelder sind aber keine Steuermittel, sondern für die Versorgung der Menschen vor Ort gedacht. Als Krankenkasse verwalten wir das Geld unserer Versicherten und unterstützen damit Modellvorhaben und innovative Projekte. Werden die Rücklagen abgeschöpft, stehen weniger Mittel für die regionale Versorgungsgestaltung zur Verfügung.

Mit der zukunftsfesten und wirtschaftlichen Finanzplanung, also die Aufstellung des Haushaltes sowie die Festsetzung des Zusatzbeitrages, hat der Verwaltungsrat der AOK PLUS in den vergangenen Jahren die finanzielle Grundlage dafür gelegt, dass die sächsisch-thüringische Gesundheitskasse stabil aufgestellt ist. Eben diese originäre Aufgabe des Verwaltungsrates wird mit dem Gesetz des BMG unterminiert und die soziale Selbstverwaltung damit entmachtet.

Im Verwaltungsrat  nehmen Vertreter der Beitragszahlenden, also von Versicherten und Arbeitgebern, Einfluss auf die sozialpolitische Willensbildung sowie auf die Erfüllung der Aufgaben, die im Tätigkeitsbereich der AOK PLUS liegen. Dieses höchste Entscheidungsgremium besteht aus 30 ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern, paritätisch verteilt auf Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter.

Neues Gesetz: Kurzfristiges Maßnahmenbündel

Seit November ist das neue GKV-FinStG in Kraft, das Gesundheitsminister Karl Lauterbach trotz massiver Einwände aller Akteure im Gesundheitswesen ohne große Änderungen am Gesetzestext durch den Bundestag bringen konnte. Auch aus Sicht der AOK-Gemeinschaft ist das Gesetz keine zufriedenstellende Lösung für die vor allem strukturellen Defizite der GKV-Finanzierung und eine überdurchschnittliche Belastung der Versicherten. Herausgekommen ist ein Sammelsurium an Maßnahmen, um die Finanzierungslücke der GKV für 2023 zu schließen. Auf der Einnahmenseite wurden folgende Maßnahmen festgelegt:

  • 2 Mrd. Euro zusätzlicher Bundeszuschuss,
  • 1 Mrd. Euro Darlehen,
  • 2,5 Mrd. EUR Vermögensabführung der Kassen an den Gesundheitsfonds,
  • 4,6 Mrd. Euro Entnahme aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds,
  • rund 4,8 Mrd. EUR durch Anhebung des durchschnittlichen Beitragssatzes von 1,3 Prozent im Jahr 2022 auf 1,6 Prozent in 2023

Der Restbetrag, der zur Schließung des zusätzlichen Defizits gegenüber 2022 fehlte, ergibt sich durch ausgabenbegrenzende bzw. -senkende Regelungen im Rahmen des GKV-FinStG.

Weiterhin wurde Folgendes beschlossen:

  • Krankenkassen müssen bei einer Zusatzbeitragssatz-Erhöhung bis 30. Juni 2023 keine persönlichen Anschreiben aussenden
  • Neupatientenregelung bei Ärztinnen und Ärzten wird gestrichen, dafür gibt es eine neugestaltete, höhere Vergütung für eine schnelle Terminvergabe
  • bei Zahnärztinnen und Zahnärzten werden die Vergütungserhöhungen gedeckelt, ausgenommen sind Leistungen im Zusammenhang mit Pflegebedürftigen und Behinderten
  • das Preismoratorium für Arzneimittel wird bis 2026 verlängert; für patentgeschützte Wirkstoffe wird ein Preisabschlag von fünf Prozent für 2023 eingeführt.

Auch 2023 keine gesicherte Finanzperspektive

Das Gesetz bietet keine Lösungen für eine nachhaltige GKV-Finanzierung. Das GKV-FinStG konsolidiert weder die GKV-Finanzen noch löst es strukturelle Probleme. Stattdessen tragen die Beitragszahlenden die Hauptlast, während Bund, Pharmaunternehmen und Leistungserbringer nur einen geringen Beitrag leisten müssen. Weitere inflationsbedingte Zusatzrisiken bleiben unbeachtet, ebenso fehlen strukturelle Reformen. Die erneute Reservenabschöpfung gefährdet vielmehr die finanzielle Stabilität der GKV und ignoriert wiederholt die Entscheidungskompetenzen der Sozialen Selbstverwaltung.

Lösungsvorschläge der AOK

GKV-Vorschläge, die effektiver zu einer stabilen Finanzierung des Gesundheitswesens beitragen könnten, fanden beim BMG keine Zustimmung und blieben im Gesetzgebungsverfahren unbeachtet.

So würden beispielsweise die Erhöhung der monatlichen Zuschüsse für Arbeitslosgeld-II-Empfänger durch den Bund und eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, wie es bei Tierarzneimitteln bereits der Fall ist, einen Großteil des zusätzlichen GKV-Finanzloches abfangen. Zugleich hatte die AOK-Gemeinschaft dafür appelliert, den Bundeszuschuss, wie im Koalitionsvertrag versprochen, anzuheben bzw. zu dynamisieren, um abzeichnende Finanzlöcher zu stopfen. Weiterhin würden Krankenhausstrukturreformen mittelfristig finanzielle Auswirkungen zeigen.

Mehrausgaben durch Gesetzgebung

Der Rückgriff auf die Rücklagen der GKV sowie der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds in Kombination mit der Absenkung der Obergrenzen der Betriebsmittel und Rücklagen engen den finanziellen Rahmen immer mehr ein. Bei unerwarteten Ausgaben bzw. unterjährigen Schwankungen sind so gut wie keine Mittel mehr vorhanden diese auszugleichen. So ist die AOK PLUS durch die abgesenkte Rücklagen-Obergrenze auf das 0,5-fache einer durchschnittlichen Monatsausgabe nur etwa 14 Tage zahlungsfähig, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert.

Zugleich kommen mit der Gesetzgebung erhöhte Kosten auf die Krankenkassen zu. Allein im Jahr 2020 hatte die AOK PLUS 237 Millionen Euro wegen neuer Gesetze des BMG zusätzlich ausgeben. Im Jahr 2021 verdoppelten sich die Ausgaben durch die Gesetze auf 504 Millionen Euro. Und das ohne spürbare Verbesserung der Versorgung für Versicherte und Patienten.

Auch für 2023 kann es zu bisher noch nicht berücksichtigten Mehrausgaben kommen, etwa durch die in Planung befindliche Änderung der Finanzierung der Corona-Impfung, die zukünftig durch die GKV getragen werden soll.

Unter anderem folgende Gesetze belasten die Finanzen der AOK PLUS nachhaltig:

Ausgewählte Gesetze und deren Finanzwirkung auf die AOK PLUS in den Jahren 2020 und 2021
Gesetz
Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG), u. a. mit Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus der Krankenhausfinanzierung und Schaffung von 13.000 zusätzlichen Stellen in der Altenpflege sowie Förderung von Digitalisierung in Pflegeeinrichtungen.
Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), u. a. mit extrabudgetären Leistungen für Ärzte, bundeseinheitlichen Vergütungen für Heilmittelerbringer, Erhöhung des Festzuschusses für Zahnersatz.
Gesetz für Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), u. a. mit einheitlichen Arbeitspreisen für die Herstellung von Krebsmedikamenten in der Apotheke.
Arzneimittelversorgungsgesetz (AMVSG), u. a. mit Mehrausgaben für Apotheker (Dokumentation, Medikamentenherstellung, u.a.). 

Hintergrund

AOK PLUS-Blog: Baustelle Gesundheitswesen

Statement Dr. Carola Reimann, AOK-Bundesverband: Finanzielle Spielräume für Stabilisierung der GKV nutzen (28.10.22)

Statement Dr. Carola Reimann, AOK-Bundesverband: „Bund muss seiner Finanzverantwortung gerecht werden“ (12.10.22)

Presseinformation des GKV-Spitzenverbandes:Finanzierungslücke vom Schätzerkreis bestätigt, aber geringere Beitragserhöhung möglich

Presseinformation AOk-Bundesverband: AOK-Gemeinschaft dreht ins Minus (18.08.22)

Position AOK-Bundesverband zu Vermögensabschöpfung der Krankenkassen Sozialpolitisch unfair und kurzsichtig – vor allem aber verfassungswidrig (05.08.22)

Presseinformation Bundesgesundheitsministerium: Konsolidierung gelungen, Leistungskürzungen verhindert