Musiktheater im Revier GmbH

Steckbrief

Am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen war der Altersdurchschnitt der nicht-künstlerisch Beschäftigten recht hoch. Zudem sollten die psychischen und physischen Belastungen untersucht werden. Die Ergebnisse werteten bereichsbezogene Gesundheitszirkel aus.

  • Branche: Theater
  • Region: Nordrhein-Westfalen
  • Unternehmensgröße: 260 Mitarbeiter
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„Vermeidung von physischen und psychischen Fehlbelastungen nicht-künstlerisch Beschäftigter in der Musiktheater im Revier GmbH, Gelsenkirchen (MiR)“

In Zeiten verdichtender Arbeitsprozesse im Theaterbetrieb hat die Betrachtung physischer und psychischer Fehlbelastungen einen hohen Stellenwert erhalten. Wurde bislang der Focus des klassischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes besonders auf die Bereiche Ergonomie, Arbeitsplatzgestaltung und den Verhaltensbereich gelegt, so rücken heute die „weichen“ Faktoren wie Arbeitsorganisation und -planung, Führungsstil, Betriebsklima, Gruppenklima und Kommunikation, vermehrt in den Vordergrund. Im klassischen Theaterbetrieb gibt es bisher wenig spezifische Untersuchungen zu der Thematik.

Die zentrale Arbeitshypothese lautete: „Krankenstand, Erkrankungsarten aber auch aktuelle Entwicklungen im Kulturbereich lassen vermuten, dass hohe Fehlbelastungen im MiR bestehen.“ Es war anzunehmen, dass dies für den künstlerischen und den nicht-künstlerischen Bereich gleichermaßen gilt. Physische wie psychische Fehlbelastungen wurden im Rahmen der Analysephase des Projektes gleichermaßen erfasst. Im Projekt wurden die Arbeitsbelastungen der nicht-künstlerisch Beschäftigten im Bereich der Bühnentechnik, der Kostümabteilung, der Maskenbildnerei und in den Produktionswerkstätten untersucht und mit beteiligungsorientierten Methoden Veränderungsvorschläge erarbeitet. Ein gezielt eingerichteter Arbeitskreis Gesundheit steuerte den Prozess.

Methoden

In der Analysephase wurde eine Arbeitsunfähigkeitsdatenanalyse eine Mitarbeiterbefragung, Begehungen mit Interviews, bewegungsergonomische Analysen an Arbeitsplätzen des nicht-künstlerischen Bereiches sowie drei bereichsbezogene Gesundheitszirkel eingesetzt. Die Analysen wurden dokumentiert, dem Arbeitskreis Gesundheit vorgelegt und erörtert. Im Anschluss an die Maßnahmenphase erfolgte eine Evaluation.

Ergebnisse der Analyse

Die AU-Datenanalyse diente zunächst dem Einstieg in die Analyse. Hierbei konnten Erkrankungsschwerpunkte im Vergleich zur Branche festgestellt werden.

An einer Mitarbeiterbefragung beteiligten sich 50 % aller Beschäftigen: „Rückenschmerzen, Verspannungen / Verkrampfungen, Müdigkeit, Mattigkeit oder Erschöpfung, Nervosität, Unruhe, Reizbarkeit und Lustlosigkeit / ausgebrannt sein“  wurden von den Beschäftigen sehr häufig (ca. 49 %) im Zusammenhang mit der Tätigkeit bzw. dem Arbeitsplatz gesehen.

Die Belastungsarten divergierten je nach Tätigkeitsbereich. Eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation am Arbeitsplatz wurde vor allem in dem verstärkten Einsatz der Vorgesetzten für die Beschäftigten, in vermehrten Informationen über den Arbeitsablauf, in Maßnahmen zur Verbesserung des Betriebsklimas und in einer anderen Arbeitsorganisation gesehen.

Die am häufigsten genannten physischen Belastungsfaktoren waren Staub, Schmutz, eine schlechte Belüftung/die Klimaanlage, Wärme, Hitze, das Heben und Tragen schwerer Gegenstände, ständiges Sitzen, ständiges Stehen und körperlich schwere Arbeit. Zu den Spitzenreitern der psychischen Belastungen gehörten Termin- oder Leistungsdruck, zu große Arbeitsmengen, ständige Aufmerksamkeit/Konzentration, die erforderliche Genauigkeit, mangelnde Information sowie eine hohe Verantwortung.

Begehungen der Einzelbereiche mit Interviews

Die Begehungen der nicht-künstlerischen Bereiche bestätigen die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung größtenteils. Im Focus standen die Arbeitsumgebungsbedingungen sowie physische und psychische Belastungen.

Arbeitsumgebungsbedingungen: In vielen Arbeitsbereichen wurden die klimatischen Bedingungen als Belastungsfaktor benannt. Die Lichtverhältnisse wurden von den bühnennahen Tätigkeitsbereichen als belastend erlebt. In einigen Werkstattbereichen wurden unzureichende Beleuchtungsbedingungen festgestellt. Lärm wurde in bühnenbezogenen Arbeitsbereichen sowie in der Schreinerei und der Schlosserei als Belastung wahrgenommen. Insbesondere der Bühnenstaub wurde von bühnenbezogenen Arbeitsbereichen problematisiert. Stoffe im Bereich der Kostüm- und Dekoabteilung sowie Holz in der Schreinerei verursachen Stäube, die als belastend empfunden wurden. Der Umgang mit chemischen Stoffen wurde in der Maskenbildnerei, der Schuhmacherei, von der Ankleide und in der Requisite problematisiert.

Die physischen und psychischen Belastungen aus der Beschäftigtenbefragung wurden bestätigt. Hierbei schien den Beschäftigten im Bereich der bühnenbezogenen Arbeiten die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze nur begrenzt veränderbar. Diese Tatsache wurde von einem Befragten folgendermaßen beschrieben: „Das jeweilige Bühnenbild bestimmt die Arbeitsbedingungen. Eine „normale“ Arbeitshöhe kommt selten vor.“ Positiv betrachtet handelt es sich (im Vergleich zu anderen Produktionsarbeitsplätzen) um häufig wechselnde und damit (aus arbeitswissenschaftlicher Sicht) weniger einseitig belastende und monotone Tätigkeiten. Psychische Belastungen: Die Arbeitsmenge wurde in vielen Arbeitsbereichen als Belastung empfunden. In Interviews wurde deutlich, dass auch die nicht-künstlerischen Bereiche in den letzten Jahren eine erhebliche Arbeitsverdichtung bei gleichzeitigem Personalabbau erfahren haben. Zeitdruck, mangelnde Planung und Informationsdefizite wurden als größerer bzw. sehr großer Belastungsfaktor wahrgenommen. Die Beschäftigten wünschten sich eine bessere Koordination. Eine verbesserte Kommunikation von oben nach unten könnte hier Abhilfe schaffen.

Bewegungsergonomische Analysen

An verschiedenen Arbeitplätzen des nicht-künstlerischen Bereiches wurden bewegungsergonomische Analysen durchgeführt. Die Bereiche wurden anhand von spezifisch ausgearbeiteten Checklisten begutachtet. Die Tätigkeiten wurden per Video und Foto dokumentiert. Zusätzlich wurden die betroffenen Mitarbeiter befragt. Als Beurteilungskriterien wurden in die Dokumentation einbezogen: der Bewegungsraum, die Bodenbeschaffenheit, die Lichtverhältnisse mit Auswirkungen auf die Ergonomie, Einschränkungen durch die Temperatur, arbeitsplatzspezifische Gegebenheiten sowie gesundheitliche Auswirkungen. Kurzfristig  wurden bereichsbezogene ergonomische Schulungen in einem 3-stufigen Verfahren umgesetzt. Dabei ging es um die Vermittlung von Basiswissen, die Anwendung des erworbenen Wissens an ausgewählten Arbeitsplätzen einschließlich Beratung und das Aufzeigen von Entlastungs- und Kompensationsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurde kurzfristig ein physiotherapeutisches Massageangebot für alle Beschäftigten installiert.

Eine Gesamtliste  mit annährend 100 Maßnahmenvorschlägen zu ergonomischen, sicherheitstechnischen und verhaltenspräventiven Vorschlägen wurde erstellt. Einzelne Mitglieder des Arbeitsschutzausschusses wurden mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen beauftragt.

Bereichsbezogene Gesundheitszirkel

Im Mittelpunkt der Arbeit stand die Analyse belastender Arbeitsbedingungen und des betrieblichen Entstehungszusammenhangs (Schwachstellenanalyse) sowie die Entwicklung von Verbesserungsvorschlägen. Es wurden drei Zirkel in den Bereichen Kostüm + Maske, Produktion und Bühnentechnik durchgeführt. Die Zirkelteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden repräsentativ für ihre jeweiligen Tätigkeitsfelder ausgewählt. Durch eine offene Belastungsabfrage wurde dazu aufgefordert,  Arbeitsbelastungen zu benennen. Die Belastungssammlung wurde Arbeitsgrundlage für den jeweiligen Gesundheitszirkel. Zentrale Belastungsthemen in den Zirkeln waren: Betriebsklima, Vorgesetzte, Theaterleitung, Arbeitsmittel, Arbeitsabläufe/Planung, Kommunikation, Gruppenklima und Ergonomie bzw.  körperl. Belastungen. Bereichsspezifisch hatten die Themen unterschiedliche Prioritäten. Mit Abschluss der Zirkelarbeit lagen drei Gesamtaktionspläne mit zahlreichen Verbesserungsvorschlägen zu 65 genannten Belastungsfaktoren  vor. Der Arbeitskreis diskutierte die jeweiligen Aktionspläne und entschied über den weiteren Umgang mit den Vorschlägen.

Nach Abschluss wurden die Gesundheitszirkelteilnehmer in Feedbackrunden über den Umgang mit den Vorschlägen informiert. So genannte „Kümmerer“ waren künftig für die Abarbeitung zuständig.

Ergebnisse, Projektbewertung und Perspektiven

Physische und psychische Belastungen entstehen aus einem Zusammenspiel von Arbeitsbedingungen. Es wurde eine Vielzahl an Vorschlägen zur Arbeitsorganisation, zur Personalplanung, zur Kommunikation, zum Führungsstil, zum Betriebs- und Gruppenklima, zu Arbeitsschutz und -sicherheit und zur Ergonomie erarbeitet. Die Umsetzung der ergonomischen, sicherheitstechnischen und verhaltenspräventiven Vorschläge erfolgte relativ kurzfristig. Die Umsetzung von Maßnahmen im Bereich der psychischen Arbeitsbelastungen (z.B. Arbeitsabläufe, Betriebs- und Gruppenklima, Kommunikation oder Vorgesetztenverhalten) gestaltete sich naturgemäß schwieriger. Hier geht es um das Verändern von Abläufen, Strukturen und Verhaltensweisen. Diese komplexen Veränderungsprozesse brauchen Zeit, insbesondere auch um Bewusstseinsveränderungen auf betrieblicher Ebenen in Gang zu setzen.

Die Projektevaluation zeigte, dass überwiegend die definierten Projektziele erreicht werden konnten. Die Theaterleitung hat hier eine wesentliche Rolle übernommen. Eine personalpolitische Herausforderung lag in dem hohen Altersdurchschnitt der nicht-künstlerischen Beschäftigten (ca. 45 Jahre). Alle gewonnenen Erkenntnisse müssen in den nächsten Jahren von der Leitungsebene, der Personalentwicklung, den Vorgesetzten, der Arbeitssicherheit und -medizin, dem Beschaffungswesen, dem Betriebsrat und nicht zuletzt den Mitarbeitern gestaltend aufgegriffen werden. Ein nachhaltiges Gesundheitsmanagement soll den beschriebenen Herausforderungen begegnen.

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