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Arm durch Krebs – Krankheit trifft Betroffene auch finanziell

28.03.2024 Thorsten Severin 4 Min. Lesedauer

Eine Krebserkrankung ist ein tiefer Einschnitt im Leben eines Menschen – und das nicht nur gesundheitlich, sondern in vielen Fällen auch finanziell. Daten von Darmkrebszentren zeigen, dass ein großer Teil der Betroffenen ein Jahr nach der Erkrankung über Geldsorgen klagt. Die Gründe sind vielfältig.

Foto: Eine Frau, die durch eine Chemotherapie sehr kurze Haare hat, schaut aus dem Fenster.
Trotz abgeschlossener Therapie können viele Betroffene nach ihrer Krebserkrankung nicht mehr in ihren alten Beruf zurückkehren. Das kann zu finanziellen Belastungen führen.

Jährlich erhalten rund eine halbe Million Menschen in Deutschland die Diagnose Krebs. Wissenschaftliche Arbeiten zu den finanziellen Auswirkungen dieser Erkrankung sind bislang jedoch rar gesät. Um so wertvoller sind daher die Ergebnisse einer von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) im Rahmen der EDIUM-Studie durchgeführten Erhebung. In 119 zertifizierten Darmkrebszentren wurden mehr als 5.400 Erkrankte zu ihren finanziellen Belastungen vor der Therapie sowie zwölf Monate danach befragt. Von den mehr als 4.500 Patientinnen und Patienten, die vor Beginn ihrer Krebsbehandlung keine finanziellen Schwierigkeiten hatten, berichteten ein Jahr später etwa 25 Prozent von Finanzproblemen aufgrund der Erkrankung.

Krankheitsstadium und Bildungsabschluss spielen Rolle

Die Forschungsgruppe hat sich die klinischen und soziodemografischen Eigenschaften dieser 4.500 Befragten genauer angeschaut. So gaben von den Krebspatientinnen und -patienten mit fortgeschrittener Erkrankung 33 Prozent an, zwölf Monate nach der Therapie finanzielle Probleme zu haben. Bei Betroffenen mit niedrigeren Tumorstadien waren es 20 Prozent. Auch der Bildungsgrad spielt eine Rolle: 27 Prozent der Kranken ohne Hochschulreife berichteten ein Jahr nach der Behandlung von Finanzschwierigkeiten, bei denjenigen mit Hochschulreife waren es 22 Prozent.

„Der Großteil finanzieller Einbußen bei Krebs entsteht durch die Minderung des Erwerbseinkommens während und nach der Therapie“, sagt DKG-Experte Dr. Christoph Kowalski. Denn 35 Prozent der Krebsbetroffenen seien bei der Diagnose im erwerbsfähigen Alter. Und bei einer Krebserkrankung sind Beschäftigte meist lange krankgeschrieben. Die Lohnfortzahlung gilt für sechs Wochen, danach erhalten die Betroffenen Krankengeld. Dieses beträgt 70 Prozent des Bruttogehalts. Davon müssen noch die Beiträge zur Sozialversicherung abgezogen werden.

Oft kann der alte Job nicht mehr ausgeübt werden

Trotz abgeschlossener Therapie können viele Betroffene nicht mehr in ihren alten Beruf zurück, weil sie an körperlichen und psychischen Einschränkungen leiden, wie Kowalski erläutert. „Das schlägt sich dann häufig langfristig in finanziellen Problemen nieder.“ 40 Prozent der Studienteilnehmer in den Darmkrebszentren etwa berichteten ein Jahr nach ihrer Behandlung von chronischer Erschöpfung (Fatigue). Auch Polyneuropathien, die zu Taubheitsgefühlen in den Gliedern führen können, sowie Einschränkungen des Gedächtnisses können auftreten. Die Folge: Viele Betroffene rutschen vom Krankengeld ins Arbeitslosengeld I oder II oder beziehen eine Erwerbsminderungsrente mit ergänzender Grundsicherung.

Neben sinkenden Einnahmen bringt Krebs Zusatzkosten mit sich

Neben sinkenden Einnahmen bringt eine Krebsbehandlung auch zusätzliche finanzielle Lasten mit sich. Diese fallen an durch Eigenbeteiligungen und Zuzahlungen für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel, Transporte, Diäten, Kinderbetreuung, Haushaltshilfen oder ergänzende Therapieverfahren. In einer Heidelberger Erhebung aus dem Jahr 2020 berichteten 80 Prozent der Teilnehmer von selbst getragenen Kosten der Krebstherapie. Bei vier Fünftel der Betroffenen waren dies zum damaligen Zeitpunkt weniger als 200 Euro im Monat. „Wenn Krebsbetroffene über keine Rücklagen verfügen, kann das ein hoher Betrag sein“, unterstreicht DKG-Forscher Kowalski.

Besonders wahrscheinlich und zudem besonders stark ausgeprägt sind Finanzprobleme laut Caroline Mohr vom Bundesverband „Frauenselbsthilfe Krebs“, wenn der Alleinverdiener einer Familie an Krebs erkrankt ist oder wenn die erkrankte Person alleinstehend ist. Ein Risikofaktor sei auch, wenn das Einkommen schon vor dem Krebsleiden nicht hoch war oder der Betroffene selbstständig ist – ohne die Möglichkeit, Arbeits- und Verdienstausfall zu kompensieren. Und oft führten die Krebsfolgen dazu, dass der alte Job dauerhaft nicht mehr ausgeübt werden könne, so Mohr. Allzu oft würden Betroffene dann „zu schnell“ in die Erwerbsminderungsrente „abgeschoben“. Gerade für junge Menschen, die noch keine Gelegenheit zum Vermögensaufbau hatten und kaum über Rentenansprüche verfügen, wäre es verheerend, wenn sie nicht zurück in ihren erlernten Beruf könnten.

Zum Umfang der Belastungen und Einbußen insgesamt gibt es laut Kowalski zu wenig detaillierte Erkenntnisse. Vorhandene Daten stammen entweder aus Studien mit einer kleinen Zahl von Betroffenen oder es handele sich um Erhebungen, in denen allgemein nach finanziellen Belastungen gefragt wurde. „Hier ist definitiv noch mehr Forschung notwendig.“

Foto: Ein Wegweisersystem mit roten Steinen, dazwischen liegt ein Stein.
Nach einer überstandenen Krebserkrankung wollen die Betroffenen in der Regel neu durchstarten – im Job, im Studium oder in der Ausbildung und privat. Junge Menschen etwa möchten sich eine Existenz aufbauen, vielleicht eine Familie gründen. Doch die zurückliegende Krankheit ist wie ein Stigma und legt ihnen teils lebenslang Steine in den Weg.
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Frühzeitiges Screening auf drohende Finanzprobleme

Die Fachgesellschaften machen seit Jahren auf die unzähligen Einzelschicksale und die Existenzängste der Betroffenen aufmerksam. In einem Positionspapier beschäftigten sie sich bereits im Jahr 2020 mit Wegen, wie Armut durch Krebs ein Riegel vorgeschoben werden kann. Als neuen Ansatz, um die Not der Betroffenen zu lindern, macht sich die Deutsche Krebsgesellschaft für ein frühzeitiges Screening stark. Laut Generalsekretär Dr. Johannes Bruns soll damit schon bei Therapiebeginn erkannt werden, welche Krebspatientinnen und -patienten besonders von finanziellen Problemen betroffen sein könnten. „So können diese Personen frühzeitig auf Unterstützungsangebote hingewiesen werden, wie etwa auf den Härtefonds der Krebshilfe, der vielen Betroffenen schnelle Entlastung bringt, auf die Beratungsangebote der Landeskrebsgesellschaften oder auf den Sozialdienst in den zertifizierten Zentren.“ An die Politik adressiert Bruns den Wunsch, das Thema stärker in den Blick zu nehmen und den Dialog mit den Fachgesellschaften und der Selbsthilfe zu suchen. Ergebnis eines solchen Prozesses könnten unter anderem „flexiblere Widereinstiegsmodelle oder Arbeitszeiten“ sein.

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