Gesundheitsunion unter ferner liefen
Während der Pandemie machte Ursula von der Leyen den Aufbau der Gesundheitsunion zur Chefsache. Zum Start in ihre zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin scheint die Euphorie verflogen. EU-Gesundheitspolitiker befürchten eine Herabstufung des Themas.
Knappe zwei Sätze gönnte die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihrem designierten Gesundheitskommissar bei der Vorstellung ihres neuen Teams Mitte September: „Olivér Várhelyi wird Kommissar für Gesundheit und Tierschutz. Er wird für den Aufbau der Europäischen Gesundheitsunion zuständig sein, den Kampf gegen Krebs fortsetzen und die Gesundheitsvorsorge stärken.“ Der Ungar war bisher Kommissar für die EU-Erweiterung. Seine Nominierung für das Gesundheitsressort wurde als „Downgrading“ gewertet. Gesundheitspolitik ist in der EU überwiegend Sache der Mitgliedstaaten – kein Verantwortungsbereich, um den sich die EU-Staaten in der Kommission reißen.
Nominierung kritisiert
Auf die Berufung des Ungarn reagierten die deutschen EU-Gesundheitspolitiker Tiemo Wölken (Sozialdemokraten) und Peter Liese (Europäische Volkspartei) scharf. „Várhelyi hat nicht nur den Makel, dass er von Viktor Orbán vorgeschlagen wurde, er hat sich als strittiger Kommissar für Erweiterung auch sehr viele Fehler geleistet“, sagte Liese. Die Personalie sei „zutiefst bedauerlich“, kritisierte Wölken. Von der Leyen betrachte das Thema Gesundheitsunion inzwischen offenbar als „belanglos“. Die beiden Politiker fungieren auch in der neuen Parlamentsperiode als gesundheitspolitische Sprecher der beiden stärksten Fraktionen.
Die Leiterin der Kommissionsvertretung in Berlin, Barbara Gessler, bemühte sich um Schadensbegrenzung. Von der Leyen wolle die Gesundheitsunion durchaus weiter vorantreiben, sie verstehe Gesundheitspolitik als Querschnittsthema. In ihrem Arbeitsauftrag für den neuen Gesundheitskommissar hebt die Präsidentin den „One-Health“-Ansatz hervor. So soll Várhelyi zusammen mit der Kommissarin für Techniksouveränität schon in seinen ersten 100 Amtstagen Vorschläge für mehr Cybersicherheit für Gesundheitseinrichtungen in der EU entwickeln.
Doch noch ist ihr Kandidat nicht im Amt. Voraussichtlich ab dem 4. November müssen sich alle 26 designierten Kommissionsmitglieder Einzelanhörungen in den Parlamentsausschüssen stellen. Anschließend stimmt das Plenum über das Personaltableau ab. Für den Ungarn dürfte es im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ungemütlich werden. Er könne sich kaum vorstellen, dass Várhelyi das Hearing überstehen werde, so Liese.
Warten auf Arzneireform
Das gesundheitspolitische Programm der Kommission für die nächsten fünf Jahre sieht vor, die Reform der EU-Arzneimittelgesetzgebung umzusetzen. Von der Leyen will mit einem „Critical Medicines Act“ die Arzneimittelversorgung sichern und mit einem „Biotech-Act“ Innovationen ankurbeln. Das ist in der Form neu, im Kern aber bereits Teil der Debatte über die neue Pharmastrategie. Das Parlament hat dazu bereits Stellung bezogen, die Mitgliedstaaten konnten sich noch nicht auf eine Position einigen.
Darüber hinaus enthält der „Mission Letter“ viel Bekanntes, darunter den Aufbau eines europäischen Gesundheitsdatenraums, den Kampf gegen Krebs und Antibiotika-Resistenzen oder das Überarbeiten der Medizinprodukte-Verordnung. Analog zum Krebsplan will die Kommission Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Blick nehmen und mehr für mentale Gesundheit tun. Noch von der scheidenden Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides veröffentlichte Vorschläge für mehr Nichtraucherschutz zielen darauf ab, Konsumprodukte wie Tabakverdampfer und E-Zigaretten in die Tabakgesetzgebung einzubeziehen und rauchfreie Bereiche auszuweiten.
Etat eingedampft
Doch für all dies steht 2025 weniger Geld zur Verfügung. Das für die Jahre 2021 bis 2027 mit rund 5,1 Milliarden Euro ausgestattete Programm EU4Health wurde Anfang des Jahres vom Rat um eine Milliarde zugunsten der Ukraine-Hilfen gekürzt. Das Europaparlament fordert eine Wiederaufstockung des Etats. Sonst seien wichtige gemeinsame EU-Forschungsprojekte in Gefahr.
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