Selbstmedikation: Grenzen der Behandlung auf eigene Faust

Bei Alltagsbeschwerden ist es oft nicht nötig, sofort eine Arztpraxis aufzusuchen. Ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament aus der Apotheke kann manchmal schnell Abhilfe schaffen. Doch eine Selbstmedikation ist nicht immer harmlos. Welche Neben- und Wechselwirkungen können auftreten und wann ist ein Arztbesuch angesagt?

Foto: Eine junge Frau zählt die Tropfen eines Medikaments.
Auf die richtige Menge kommt es an. Eine junge Frau zählt die Tropfen eines Medikaments.

Hilfe bei leichten Symptomen

Ein klassischer Schnupfen, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen, Regel- oder Rückenschmerzen: Gegen viele leichtere Symptome helfen oft Hausmittel oder rezeptfreie Medikamente aus der Apotheke. Immer öfter kaufen Menschen Arzneimittel, die eine Ärztin oder ein Arzt nicht verschreiben muss. Inzwischen sind etwa 45 Prozent der Arzneimittel, die in Apotheken abgegeben werden, nicht verschreibungspflichtig. „Rezeptfreie Arzneimittel haben zwar in der Regel weniger und schwächere Nebenwirkungen, dennoch hat die Selbstmedikation ihre Grenzen“, sagt Tobias Lindner, Apotheker im AOK-Bundesverband. Allgemein gilt: Patienten und Patientinnen sollten dann einen Arzt, eine Ärztin aufsuchen, wenn die Beschwerden länger andauern, stärker werden oder sich verändern. „Auch bis dahin nie aufgetretene Symptome, hohes Fieber oder starke Schmerzen sind ein Alarmzeichen“, so Lindner.

Vorsicht, Wechselwirkungen

Dass eine Selbstmedikation nicht immer harmlos ist, zeigt unter anderem eine Studie der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Bei fast jeder fünften Abgabe eines rezeptfreien Medikaments tauchten arzneimittelbezogene Probleme auf. Eine Behandlung auf eigene Faust kann beispielsweise dann schiefgehen, wenn Betroffene an chronischen Erkrankungen, etwa an Bluthochdruck, an einer Herz-,

Nieren-, Lebererkrankung, an Asthma oder Diabetes, leiden. „Die Selbstmedikation sollten chronisch kranke Patientinnen und Patienten immer ärztlich abklären lassen, denn die Gefahr von Wechselwirkungen mit den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist groß“, weiß Lindner. So steigt zum Beispiel das Risiko von Unterzuckerungen bei Menschen mit Diabetes, wenn das beliebte Schmerzmittel Ass (Acetylsalicylsäure) gleichzeitig mit Medikamenten zur Diabetesbehandlung eingenommen wird. Auch pflanzliche Präparate sind nicht immer ungefährlich.

 

O-Töne von Tobias Lindner, Apotheker im AOK-Bundesverband

Alkohol im Hustensaft

Viele pflanzliche Hustentropfen und -säfte beispielsweise enthalten Alkohol – darauf sollten Menschen mit einer Lebererkrankung, einer Epilepsie oder Alkoholabhängigkeit achten. Alkohol kann zudem die Wirkung von einigen Bluthochdruckmitteln verstärken.

Vorsicht ist auch dann angesagt, wenn Frauen schwanger sind oder stillen. Das Baby könnte über Nabelschnur oder Muttermilch etwas von dem Wirkstoff „abbekommen“. Bei kleinen Kindern ist es besser, einen Kinderarzt oder eine Kinderärztin zu Rate zu ziehen: Der kindliche Organismus reagiert empfindlicher auf Medikamente und nicht jedes Erwachsenen-Medikament ist für die Kleinen geeignet oder zugelassen.

Vorsicht bei Schmerzmitteln

Besonders Schmerzmittel können gefährliche Folgen haben. Bekannte, auch rezeptfrei erhältliche Substanzen wie ASS, Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen oder Paracetamol sind zwar in der Regel gut verträglich und lindern leichte bis mittlere Schmerzen zuverlässig. „Doch werden die Präparate über längere Zeit oder hoch dosiert eingenommen, können sie Nieren, Magen, Darm oder Leber schädigen“, warnt AOK-Experte Lindner. Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann sich erhöhen. Zudem hat ASS besonders ausgeprägte Auswirkungen auf die Blutgerinnung: Blutungen bei einer eventuell erforderlichen Zahnbehandlung im Falle von Zahnschmerzen oder bei anderen Eingriffen können sich verstärken. Das gilt auch für die Regelblutung. Damit nicht genug: Paradoxerweise können Schmerzmittel gegen Kopfschmerzen bei längerem Gebrauch wiederum zu Kopfschmerzen führen – eine Abhängigkeit ist entstanden. „Wegen all dieser Gefahren gilt: Schmerzmittel nicht länger als vier Tage hintereinander und höchstens an zehn Tagen im Monat einnehmen“, betont Apotheker Lindner.

„Nasentropfen-Nase“ vermeiden

Gerade bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit greifen die Deutschen oft zu rezeptfreien Präparaten. Aber viele Nasensprays und -tropfen, die die Nasenschleimhaut abschwellen lassen und die Atemwege wieder frei machen, können zu einer körperlichen Abhängigkeit führen. Länger als eine Woche hintereinander angewendet, kann ein medikamentenbedingter Schnupfen entstehen, der immer mehr Nasenspray erfordert. Die Nasenschleimhaut trocknet aus und wird wiederum anfälliger für Viren und Bakterien. Um diese „Nasentropfen-Nase“ zu vermeiden, sollten abschwellende Nasensprays und -tropfen maximal fünf bis sieben Tage hintereinander gebraucht werden.

Wenn man erkältet ist, ist ein Arztbesuch grundsätzlich dann angesagt, wenn Fieber über 39 Grad auftritt, bei eitrigem oder blutigem Auswurf, bei mühsamer Atmung sowie bei rasselnden oder pfeifenden Geräuschen beim Atmen.

Beipackzettel lesen

Bei den geringsten Beschwerden gleich zu einem Medikament greifen? Das sollte nicht zur Gewohnheit werden. Es gilt, den Ursachen auf den Grund zu gehen. So stecken hinter Kopf- oder Rückenschmerzen oft Anspannung, Stress oder Fehlhaltungen. Eine Arbeitspause, ein Spaziergang an der frischen Luft, Rücken- oder Entspannungsübungen können oft Abhilfe schaffen. Bei Erkältungen ist meist Ruhe das Wichtigste. Mal zu Hause bleiben, sich eventuell ins Bett legen kann Wunder bewirken. Wenn Patientinnen und Patienten sich mit einem Arzneimittel selbst behandeln, sollten sie auf Nummer sicher gehen. „Das heißt: Den Beipackzettel genau studieren und sich bei Unsicherheiten in der Apotheke beraten lassen“, sagt Lindner. Sicherste Anlaufstelle ist und bleibt die Hausarztpraxis. Die Ärztin, der Arzt kann ein sogenanntes Grünes Rezept ausstellen. Das ist zwar keine „richtige“ Verschreibung, aber beinhaltet eine ärztliche Empfehlung.