Artikel Prävention

Nach psychischer Krise zurück in den Job – Firmen kommt wichtige Rolle zu

13.10.2025 Thorsten Severin 3 Min. Lesedauer

Psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen sind weiter auf dem Vormarsch und verursachen oft lange Ausfallzeiten von Beschäftigten. Den Betroffenen fällt die Rückkehr nach der wochen- oder monatelangen Arbeitsunfähigkeit häufig schwer. Viele von ihnen sind verunsichert und wissen nicht, wie belastbar sie sind. Experten raten daher zu einem gut geplanten und vernetzten „Return-to-Work-Prozess“.

Um einer Überlastung nach langer Krankheit vorzubeugen, ist eine schrittweise Eingliederung sinnvoll.

Der Großteil derjenigen, die aufgrund einer psychischen Krise dem Arbeitsplatz lange fernbleiben musste, wolle wieder arbeiten, weiß Soziologie-Professorin Silvia Krumm, die an den Universitäten Leipzig und Ulm im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie tätig ist. Doch von ihrem Umfeld würden die Betroffenen häufig zu wenig bestärkt oder zur Rückkehr ermuntert. Auch Arbeitgeber haben oft Vorbehalte gegenüber Menschen mit psychischen Leiden, halten sie für labil und nicht genügend belastbar. Hier lägen oft falsche und verzerrte Vorstellungen zugrunde, sagt Krumm zu G+G. Viele Unternehmer machten sehr gute Erfahrungen mit der Einstellung oder Weiterbeschäftigung von Mitarbeitenden mit einer seelischen Erkrankung. „Sie sehen die Überwindung einer akuten psychischen Krise als eine besondere Fähigkeit, die Arbeitnehmer auch im Sinne des Betriebes einsetzen können“, so die Expertin für Sozialpsychiatrische Teilhabeforschung.

Angst vor Stigmatisierung

Eine Studie ihres Teams habe gezeigt, dass sich Menschen mit Psychiatrieerfahrung eine „nicht-stigmatisierende Haltung“ und eine prinzipielle Offenheit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit wünschten. Den Arbeitgebern komme bei der Wiedereingliederung eine Schlüsselrolle zu. Von Vorteil sei, wenn diese bei einer längeren Abwesenheit ihres Mitarbeitenden frühzeitig signalisierten: „Wir möchten Dich nicht verlieren und stehen bereit für ein gemeinsames Ausloten der Möglichkeiten für einen gelungenen Wiedereinstieg“, erläutert Krumm. Führungskräfte sähen es aber auch gern, wenn sich Arbeitnehmende aktiv um einen guten Umgang mit der Erkrankung bemühten und sich kümmerten.

BEM-Pflicht wird oft nicht erfüllt

Die Betriebe sind seit 2004 verpflichtet, Beschäftigten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten, wenn sie innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Die Erwerbstätigenbefragung 2024 des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat ergeben, dass die Verbreitung des BEM seit 2018 von 40 auf 52 Prozent zugenommen hat. „Dennoch erhält noch immer fast die Hälfte der berechtigten Beschäftigten kein BEM-Angebot“, moniert BAuA-Expertin Dr. Anika Schulz. Dabei nähmen zwei Drittel aller Beschäftigten, die ein BEM-Angebot bekämen, dieses auch an.

„Entscheidend ist, dass betriebliche Maßnahmen gemeinsam mit der betroffenen Person entwickelt (...) werden.“

Ute Schröder

Forscherin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)

Psychische Leiden erfordern einfühlsame Begleitung bei der Rückkehr

Unter den Krankheiten mit langen Ausfallzeiten nehmen psychische Krisen und Erkrankungen eine besondere Rolle ein. So komme es hierbei sehr stark auf eine „einfühlsame Begleitung vor und während der Rückkehr in den Betrieb“ an, weiß BAuA-Forscherin Ute Schröder. Wichtig sei auch der Abbau von Stigmatisierungen und die Bereitschaft des Unternehmens zur flexiblen Gestaltung des Arbeitsumfeldes und der Arbeitsaufgaben. Nicht zuletzt sei eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten vonnöten – von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten und Therapeuten über betriebliche Akteure bis hin zu den Krankenkassen und der Person selbst. „Entscheidend ist, dass betriebliche Maßnahmen gemeinsam mit der betroffenen Person entwickelt, regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst werden.“

Vier-Phasen-Modell der Wiedereingliederung

Für eine gelingende Rückkehr in die Firma nach langer Krankheit empfiehlt die BAuA-Gruppe „Evidenzbasierte Arbeitsmedizin, Betriebliches Gesundheitsmanagement“ ein „Vier-Phasen-Modell“: Phase eins besteht in einer Ko-Orientierung. Noch während der Arbeitsunfähigkeit findet ein erster Austausch zwischen Betrieb und Beschäftigten statt. Ziel ist es, Vertrauen aufzubauen, Sorgen aufzufangen und eine Perspektive für die Rückkehr zu entwickeln. Phase zwei ist die Zeit der Koordinierung. „Sie ist als gemeinsamer kreativer Prozess des Suchens und Einvernehmens zu verstehen“, beschreibt BAuA-Forscherin Schröder. Hier gehe es darum, die Wiedereingliederung vorausschauend zu planen. Im Idealfall stimmen sich die Beteiligten schon jetzt zu betrieblichen Maßnahmen ab. 

In der dritten Phase des BAuA-Modells kehren die Beschäftigten an den Arbeitsplatz zurück. Die erarbeiteten Maßnahmen werden jetzt gemeinsam umgesetzt. Ideal ist laut Wissenschaftlerin Schulz, wenn diese von einer stufenweisen Wiedereingliederung begleitet werden, bei der die berufliche Belastbarkeit peu à peu ausgetestet werden kann. In Phase 4 geht es schließlich darum, nach erfolgreicher Wiedereingliederung die Fortschritte zu festigen und Rückfälle zu vermeiden. Es gelte jetzt, die eigenen Belastungsgrenzen im Auge zu behalten, so Schulz. „Ein sensibler Blick auf herausfordernde Arbeitsbedingungen und Ressourcen sowie eine gesunde Balance zwischen Beruf und Privatleben sind dabei entscheidend.“ Die Teilnahme an Maßnahmen der betrieblichen Eingliederung ist für Betroffene freiwillig.

Stufenweise Wiedereingliederung bei psychischen Krisen sinnvoll

Ergänzend zum BEM wie auch als Einzelmaßnahme kann ein langsamer Einstieg nach langer Krankheit sinnvoll sein, um einem Rückfall durch Überlastung und Überforderung vorzubeugen. Bekannt ist diese stufenweise Wiedereingliederung (STWE) auch als „Hamburger Modell“. Optimal gelingt eine STWE dann, wenn die Anpassung von Arbeitszeiten und Arbeitsinhalten und deren schrittweise Steigerung Hand in Hand gehen. Die Arbeitszeit beträgt anfangs beispielsweise zwei Stunden am Tag und wird dann schrittweise auf vier, sechs und schließlich acht Stunden erhöht. Eine wichtige Erkenntnis der BAuA-Forschung ist, dass die STWE flexibel verstanden werden sollte. Während der Zeit beziehen die Rückkehrer in der Regel noch kein Gehalt, sondern weiter Krankengeld von ihrer Krankenkasse oder Übergangsgeld der gesetzlichen Rentenversicherung. Gerade bei psychischen Erkrankungen könne die freiwillige stufenweise Wiedereingliederung ein „sehr wertvoller Prozess“ sein, sagt Expertin Daniela Kirstein vom AOK-Bundesverband.

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Krankenkassen spielen wichtige Rolle

Beschrieben werden das Modell und seine Vorteile in einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Das Gremium betont darin zugleich den Wert einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der betroffenen Person, Vertragsärztin oder Vertragsarzt, dem Arbeitgeber, der Arbeitnehmervertretung, Betriebsarzt, Krankenkasse und eventuell dem Medizinischen Dienst und dem Rehabilitationsträger.

Die Krankenkasse könne für eine stufenweise Wiedereingliederung den Impuls geben, etwa wenn diese gutachterlich durch den Medizinischen Dienst empfohlen werde, erläutert AOK-Vertreterin Kirstein. „Am Ende kommt es aber immer auf das Zusammenspiel und die Einigung aller Beteiligten an“ – zumal die Teilnahme für die Versicherten freiwillig ist.

Die AOK unterstütze Beschäftigte beim Wiedereingliederungsprozess und arbeite dabei eng mit den Versicherten sowie deren Ärztin oder Arzt und den Arbeitgebern zusammen. Der jeweilige Mediziner leitet dann die stufenweise Wiedereingliederung auf einem vorgegebenen Formular ein und gibt dabei den Zeitraum und die mögliche Stundenzahl an. Dazu gehört auch, welche Belastungen vermieden werden sollen. Allerdings: Ist es dem Arbeitgeber nicht möglich, Versicherten eine stufenweise Rückkehr zu ermöglichen, fällt diese Form der Wiedereingliederung flach. Anders als beim BEM besteht hier keine Verpflichtung für den Arbeitgeber.

Für Menschen mit psychischer Krankheit, die in den Job zurückwollen, gibt es eine Reihe von Anlaufstellen. Die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter etwa geben Rat und leisten laut Krumm unter bestimmten Voraussetzungen konkrete Unterstützung. Weitere mögliche Ansprechpartner seien Sozialpsychiatrische Dienste oder Selbsthilfevereine.

Hilfe-Portal für Arbeitgeber

Krumm und ihr Team in Ulm setzen sich dafür ein, dass gerade auch Arbeitgeber bei dem Thema nicht im Regen stehen. Aus den Ergebnissen einer Studie im Rahmen des Projekts TAPE (Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt von Menschen mit psychischen Erkrankungen) ist ein praxisorientiertes Online-Hilfeportal hervorgegangen. Dort finden Unternehmen Anregungen, Hilfestellung und Ratschläge zur Wiedereingliederung von Mitarbeitenden und lernen zugleich die Sichtweise von psychisch Erkrankten kennen.

Nicht zuletzt Personal- und Betriebsräte spielen laut BAuA-Expertin Schulz eine wichtige Rolle bei der Unterstützung und Ausgestaltung von Rückkehrprozessen. Die Mitglieder könnten als Vertrauensperson für Beschäftigte fungieren, auf die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben wie das BEM achten und an der Entwicklung betrieblicher Regelungen zur Rückkehr mitwirken. Und natürlich könnten die Mitarbeitervertretungen für psychische Gesundheit in ihrem Unternehmen sensibilisieren.

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