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Klimaschutz durch Digitalisierung – Viel Potenzial auch im Gesundheitswesen

04.03.2024 Thorsten Severin 4 Min. Lesedauer

Der Klimawandel und die damit einhergehenden Wetterextreme können zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Klimaschutz wird daher immer stärker auch als Gesundheitsschutz verstanden. Die Digitalisierung kann laut Experten erheblich zur Einsparung von CO₂ beitragen.

Foto: Person sitzt vor Rechner und schaut eine CO₂-Bilanz an
Die Bitkom-Studie „Klimaeffekte der Digitalisierung“ untersucht, welchen CO₂-Effekt der Einsatz digitaler Lösungen in den Sektoren Energie, Gebäude, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft hat.

Eine Studie des Digitalverbands Bitkom zeigt auf, dass durch digitale Technologien der jährliche CO₂-Ausstoß in Deutschland im Jahr 2030 um rund 73 Millionen Tonnen reduziert werden kann, sofern die Digitalisierung beschleunigt wird. Dabei handelt es sich den Autoren zufolge um einen Netto-Effekt, bei dem die durch Endgeräte und Rechenzentren entstehenden CO₂-Emissionen berücksichtigt sind. „Die Digitalisierung kann fast ein Viertel zu Deutschlands selbstgesteckten Klimazielen im Jahr 2030 beitragen“, sagte Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab bei der Vorstellung der Studie. Schreite die Digitalisierung im bisherigen Tempo fort, ließen sich 2030 Einsparungen von rund 50 Millionen Tonnen CO₂ erzielen, was 16 Prozent der Zielvorgabe entspreche. 2022 lag Deutschlands CO₂-Ausstoß noch bei 746 Millionen Tonnen, 2023 laut Prognose bei 673 Millionen Tonnen. „Je ambitionierter der Einsatz digitaler Technologien vorangetrieben wird, desto größer sind die Einsparungen“, unterstrich Raab.

Die Bitkom-Studie „Klimaeffekte der Digitalisierung“ – erstellt von Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsexperten des Beratungsunternehmens Accenture – untersucht, welchen CO₂-Effekt der Einsatz digitaler Lösungen in den Sektoren Energie, Gebäude, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft hat. Wird eine Projektion mittlerer CO₂-Emissionen betrachtet, dann lassen sich im Energiesektor beispielsweise bis zu 26,4 Millionen Tonnen CO₂ bei einer beschleunigten und 24,5 Millionen Tonnen bei einer Standard-Digitalisierung im Jahr 2030 einsparen. Ausschlaggebend sind hier zum Beispiel intelligente Stromnetze, in denen Stromerzeugung und -verbrauch präzise gesteuert werden können. Im Gebäudebereich liegen die Einsparungen bei bis zu 18,3 Millionen Tonnen CO₂, wenn die Verbreitung smarter Technologien beschleunigt vorangetrieben wird. Der Hintergrund: Smart Homes und intelligente, vernetzte Gebäude können viel Energie sparen. Dazu gehören Wohnungen, die die Heizkörper automatisch herunterstellen, wenn ein Fenster geöffnet wird. Oder Büros, die die Klimaanlage je nach Wetter und Anzahl der anwesenden Personen regeln.

Den Klimazielen durch digitale Technologien näherkommen

Bei der industriellen Fertigung lassen sich den Experten zufolge bis zu 12,7 Millionen Tonnen CO₂ einsparen, indem etwa Anlagen und Maschinen, Werkstücke und ihre Bauteile stärker miteinander vernetzt werden und Prozesse selbstständig und unter möglichst geringem Energie- und Materialeinsatz ablaufen. Im Verkehrssektor liegen Einsparpotenziale vor allem in einem digitalen Verkehrsnetz und einer digitalen Verkehrsoptimierung (bis zu 9,3 Millionen Tonnen CO₂). In der Landwirtschaft erfordert bislang unter anderem die Herstellung von Düngemitteln große Mengen Energie. Und oft landet der Dünger auf unbepflanzten Stellen und belastet das Grundwasser. Bei einer beschleunigten Digitalisierung betrüge der Einspareffekt in diesem Bereich bis zu sechs Millionen Tonnen CO₂.

CO₂ im Gesundheitssektor sparen

Auch im Gesundheitswesen lässt sich nach Einschätzung von Digitalisierungs- und Gesundheitsexperten der CO₂-Verbrauch erheblich drosseln. „Die Digitalisierung bietet in vielen Bereichen große Potenziale, um CO₂ einzusparen – so auch im Gesundheitsbereich“, sagt Niklas Meyer-Breitkreuz, Bereichsleiter Digitalisierung und Nachhaltigkeit bei Bitkom, zu G+G. Im Bereich Telemedizin etwa fielen Autofahrten zu den Praxen weg, wenn der Termin als Video-Sprechstunde stattfinde. Digitale Gesundheitsanwendungen könnten ebenso einzelne Fahrten zu medizinischen Einrichtungen überflüssig machen. „Durch die elektronische Patientenakte werden perspektivisch Doppeluntersuchungen vermieden und durch das E-Rezept zusätzlich Papier gespart“, erläutert Meyer-Breitkreuz. „Das Gesundheitssystem wird durch Digitalisierung insgesamt effizienter.“ Und schließlich könnten auch Einrichtungen wie Krankenhäuser durch digitale Gebäudetechnologien wie smarte Heizungs- und Klimaanlagen viel Energie und damit CO₂ einsparen. „Auch vermeintlich kleine Maßnahmen können einen Beitrag leisten, um den CO₂-Fußabdruck des Gesundheitssystems zu verbessern“, ist der Experte überzeugt.

Dr. Matthias Fischer, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement im Gesundheitswesen an der Hochschule für Gesundheit in Bochum, empfiehlt zur Emissionsreduktion im Gesundheitssektor „eine Kombination aus kleinen Schritten und einer strategisch-langfristigen Perspektive“. Einerseits gehe es darum, die vielen noch offenen kleinen Einspar- und Effizienzpotenziale in Gesundheitseinrichtungen zu nutzen, etwa durch die Einführung und kontinuierliche Verbesserung effizienter Energie-, Abfall-, Emissions- und Umweltmanagementsysteme, wobei smarte Technologien helfen könnten. „Durch digitalisierte Versorgungsangebote und bessere Patientensteuerung, aber auch durch die Optimierung von Transportwegen im Einkauf und die Zusammenarbeit mit regionalen Versorgern können zudem unnötige Emissionen verringert werden“, sagt Fischer zu G+G.

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Im Gesundheitswesen in Kreisläufen denken

Andererseits bedarf es dem Wissenschaftler zufolge eines ganzheitlichen Blicks, der neben Einsparzielen auch den Potenzialen kreislauforientierter Ansätze gegenüber aufgeschlossen sei. „Dies umfasst auch die Perspektive auf den Aus- und Neubau von medizinischen Gebäuden.“ Hier entstünden erhebliche Emissionen. Durch ein Denken in Kreisläufen könnten Ressourcen gespart und sogar klimapositive Effekte angestrebt werden, beispielsweise durch die intelligente Bepflanzung der Gebäude, so Fischer.

Forderungen nach einer nationalen Strategie für eine klimafreundliche Gesundheitsversorgung gibt es seit langem. So sprach sich etwa der Deutsche Ärztetag 2021 in einem Beschluss dafür aus. Die Ärzteschaft weist seitdem immer wieder auf den dafür notwendigen Investitionsbedarf hin, auf den etwa mit Sonderfonds reagiert werden könne. Ziel müsse es sein, das Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral zu machen. Im Jahr 2022 beschloss die Bundesärztekammer zudem Handlungsempfehlungen zur Klimaneutralität für Arztpraxen wie auch für Krankenhäuser.

Mitwirkende des Beitrags

2 Kommentare

Lieber Herr Dr. Malzahn,

vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre Hinweise zum Beitrag „Klimaschutz durch Digitalisierung“.

Nach Zahlen zur CO2-Einsparung durch Digitalisierung im Gesundheitswesen hatte die G+G-Redaktion in der Vorbereitung auf den Artikel gesucht, aber leider nichts gefunden. Ohne natürlich komplett ausschließen zu können, dass nicht doch irgendwer mal irgendwann Berechnungen angestellt hat, scheint es da eine Forschungslücke zu geben.

Wir fanden das Thema und die Grundaussage aber interessant genug, um darüber zu berichten. Uns ist dabei klar, dass es sich bei Bitkom um einen Interessenverband handelt, finden eine Berichterstattung aber vertretbar, da deutlich gemacht wird, woher die Studie stammt. Bei Studien anderer Verbände wird ähnlich verfahren.

Und den Gesundheitssektor mit einzubringen und auf Klimaschutzmöglichkeiten dort hinzuweisen, haben wir zwei Experten angefragt. Sie konnten für den Gesundheitsbereich ergänzende Hinweise geben. Wir werden das Thema auf jeden Fall im Auge behalten und gerne erneut berichten, wenn es Zahlen für den Gesundheitssektor gibt.

Über Hinweise und Anregungen ist die Redaktion Ihnen auch künftig dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre G+G-Redaktion

Gibt es Berechnungen zur Wirkung von Digitalisierung im Gesundheitswesen, die nicht von Bitkom sind? Das würde meine spontane Wertschätzung der Informationen deutlich erhöhen, denn der Branchenverband hat ein gewisses Neutralitätsproblem auf diesem Feld. Beispielsweise geht es nicht nur um den CO2 Ausstoß der Computer, sondern auch um die Notwendigkeit neue Geräte anzuschaffen....

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