Artikel Versorgung

Sind Frauen die besseren Ärzte?

12.01.2024 Ulrike Serbent 4 Min. Lesedauer

Das Geschlecht hat offenbar Einfluss auf Qualität von Behandlungen und Operationsergebnissen, wie ein Forscherteam aus Kanada herausgefunden hat. Demnach kommt es bei der Behandlung und Nachsorge durch Frauen zu weniger Komplikationen als durch ihre männlichen Kollegen. Dennoch sind Frauen in Führungspositionen von ambulanten und stationären Einrichtungen noch immer in der Unterzahl.

Foto: Eine Frau bindet sich eine Maske um, sie trägt OP-Kleidung.
Etwas mehr als zwei Drittel aller Medizinstudierenden in Deutschland sind Frauen. Damit ist auch die Zahl der Frauen im Arztberuf gestiegen.

Ein Forscherteam aus Kanada hat festgestellt, dass es nach Eingriffen von Chirurginnen weniger Komplikationen gab, als bei männlichen Operateuren. Dafür wurden über vier Prozent aller chirurgischen Operationen, die in der kanadischen Provinz Ontario innerhalb von 13 Jahren ausgeführt wurden, untersucht. Insgesamt wurden die Behandlungen von 1.165.711 Patienten und Patienten analysiert. Berechnet wurde, wie oft ein sogenanntes „negatives postoperatives Ereignis" nach 90 Tagen sowie ein Jahr nach der OP bei den Operierten auftrat. Zu den „negativen postoperativen Ereignissen zählen unter anderem eine spontane Neuaufnahme in ein Krankenhaus, Komplikationen oder sogar ein Versterben von Patienten. Dann wurde nach einer möglichen wechselseitigen Beziehung der Ereignisse zum Geschlecht der operierenden Ärzte gesucht.

Zwei Drittel aller Medizinstudierenden in Deutschland sind Frauen

Bei 14,3 Prozent aller Patienten gab es 90 Tage nach der Operation mindestens ein negatives postoperatives Ereignis und bei 25 Prozent im Zeitraum bis zu einem Jahr nach der OP. Innerhalb von 90 Tagen waren zwei Prozent der Operierten verstorben und 4,3 Prozent innerhalb eines Jahres. Bei Chirurginnen traten sowohl 90 Tage als auch ein Jahr nach der Operation signifikant weniger negative postoperative Ereignisse auf. Auch die Sterberate der Patienten war bei ihnen geringer als bei den männlichen Kollegen. Nach Angaben der Studienautorinnen und -autoren sind nun weitere Forschungen nötig, um die Gründe für diese Unterschiede zu verstehen. 

Diese Studie legt nahe, dass die Patientenversorgung durch Ärztinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zumindest gleichwertig und in bestimmten Fällen sogar besser ist. Etwas mehr als zwei Drittel aller Medizinstudierenden in Deutschland sind Frauen. Damit ist auch die Zahl der Frauen im Arztberuf gestiegen. Vertreter von Ärzteverbänden stehen dieser Entwicklung zum Teil skeptisch gegenüber und sehen negative Effekte für die Patientenversorgung. Als Grund dafür wird angeführt, dass Ärztinnen beispielsweise weniger flexibel sind. So fallen sie während der Schwangerschaft aufgrund von Beschäftigungsverboten, nach der Geburt und in Elternzeit aus. Steigen sie wieder ein, sind Medizinerinnen oft in Teilzeit tätig.

„Ärztinnen unterschätzen eher ihre Fähigkeiten beziehungsweise ihr Können, als dass sie diese überschätzen.“

PD Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser

Fachärztin für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Freiburg

„In der Kritik wird nicht berücksichtigt, dass die Ursachen insbesondere in den nicht familienfreundlichen Arbeitsbedingungen zu finden sind. Mit der Behandlungsqualität hat dies aber nichts zu tun“, sagt Barbara Puhan-Schmeiser, Neurochirurgin am Uniklinikum Freiburg im Versorgungsreport des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Zum Thema Behandlungsqualität betont Puhan-Schmeiser: „Es gibt einige Studien, die verdeutlichen, dass Ärztinnen oftmals gewissenhafter behandeln und auf andere Schwerpunkte als ihre männlichen Kollegen setzen. Danach halten sie sich strenger an Leitlinien und bevorzugen einen präventiven Fokus. Aber ich denke die Qualität ist sehr individuell und gerade in operativen Fächern abhängig von der Erfahrung des Operateurs. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Ärztinnen tendenziell gewissenhafter und fürsorglicher sind und die Nachsorge für wichtig erachten. Dabei unterschätzen Ärztinnen eher ihre Fähigkeiten beziehungsweise ihr Können, als dass sie diese überschätzen“.

Ungleichgewicht bei Männern und Frauen in Führungspositionen erkannt

Bereits 2016 zeigte eine kanadische Cross-Sectional-Analyse mit mehr als 4.000 teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzten, dass Patientinnen und Patienten, die primär von Ärztinnen behandelt wurden, weniger häufig in der Notaufnahme oder im Krankenhaus waren als bei Behandlung durch einen männlichen Kollegen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin in Deutschland waren 2022 mehr Ärztinnen als Ärzte in der ambulanten Patientenversorgung tätig: Die Frauenquote liegt jetzt bei 50,3 Prozent. 2018 lag diese noch bei 46 Prozent. Dies belegt eine Analyse der Stiftung Gesundheit zur ambulanten Versorgung in Deutschland. In Führungspositionen an medizinischen Fakultäten und in Krankenhäusern sind Ärztinnen nach wie vor deutlich zu selten zu finden.

An einigen Universitätsfakultäten werden inzwischen zeitgemäße Karriereangebote wie das „Top-Sharing“ angeboten, bei dem sich zwei Personen eine Führungsaufgabe teilen. In der freien Wirtschaft gibt es diese Möglichkeit schon häufiger. Auch der Verein „Spitzenfrauen Gesundheit“ setzt sich seit einigen Jahren dafür ein, die Karrierechancen für Frauen im Gesundheitswesen gezielt zu fördern. Einige Krankenhäuser haben das Ungleichgewicht bei Männern und Frauen in Führungspositionen erkannt und Lösungsmöglichkeiten entwickelt.  Ein Beispiel ist die München Klinik (MüK). Dort wurde die Stabsstelle „Betriebliche Gleichbehandlung” eingerichtet. Sie entwickelt Strategien, mit denen sich mehr Ärztinnen für eine Führungsposition gewinnen lassen. Im Mentoring-Programm des MüK engagieren sich Chefärztinnen und-ärzte, um Frauen gezielt zu unterstützen und in Führungspositionen zu bringen. 

Die im MüK definierten Rahmenbedingungen decken sich mit den Forderungen von Neurochirurgin Puhan-Schmeiser, die auch Mitglied des Vorstandes der Spitzenfrauen Gesundheit e. V. ist. „Wir brauchen flexible Arbeitszeitmodelle, damit Ärztinnen Familie und Beruf im Klinikalltag besser vereinbaren zu können. Auch nach einer familiären Auszeit sollen Frauen leichter wieder in den Beruf einsteigen können. Und auch Job-Sharing ist eine gute Möglichkeit, dass sich zwei Oberärztinnen eine Stelle teilen."

Zahlen und Daten:

Zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin in Deutschland sind – Stand 2023 – mehr Ärztinnen als Ärzte in der ambulanten Patientenversorgung tätig: Die Frauenquote liegt jetzt bei 50,3 Prozent. 2018 lag diese noch bei 46 Prozent.

Die höchsten Frauenquoten gibt es im psychotherapeutischen Bereich:

  1. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen - 79,4 Prozent
  2. Psychologische Psychotherapeutinnen - 75 Prozent
  3.  Fachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe - 73,2 Prozent

Die niedrigsten Frauenanteile finden sich in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (13,8 Prozent), in der Orthopädie beziehungsweise Orthopädie und Unfallchirurgie (14,1 Prozent) sowie in der Neurochirurgie (14,5 Prozent).

Quelle: Analyse der Stiftung Gesundheit zur ambulanten Versorgung in Deutschland

Mitwirkende des Beitrags

Beitrag kommentieren

Alle Felder sind Pflichtfelder.

Datenschutzhinweis

Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.

Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.