Foto eines Kochs in einer Kantine, der Gewürze über bunten Gemüsereis streut
Das Auge isst mit: Alle Gerichte kommen appetitlich aussehend daher wie der bunte Gemüsereis zu den spanischen Hackfleischbällchen.
Reportage Versorgung

Revolution in der Klinikküche

18.04.2024 Irja Most 8 Min. Lesedauer

Ein Berliner Krankenhaus zeigt, wie sich trotz begrenztem Budget gesundes und leckeres Essen auf Teller zaubern lässt. Hier gehört zum Standard, worauf die Ernährungsstrategie der Bundesregierung zielt.

Gemüse und Hülsenfrüchte haben Biss, die liebevoll schräg zurechtgeschnittenen orangefarbenen Karottenstücke bringen Farbe in die appetitlich gekochten braunen Linsen. Helle Selleriestücke verstärken den Geschmack mit einem Hauch von Schärfe. Knacken sanft beim Draufbeißen und vermischen sich fruchtig-aromatisch auf dem Gaumen mit den anderen Zutaten. Eine helle leichte Creme, garniert mit grünem Lauch, rundet das Gericht ab, das auch auf der Speisekarte eines Restaurants mit vegetarischem Anspruch seinen Platz finden könnte. Doch serviert wird die sattmachende Portion an diesem Dienstag in der gut besuchten Kantine einer Klinik: der Cafeteria des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe in Berlin-Kladow. Und wem zum Wochenauftakt der Sinn nach Fleisch steht, hat an diesem Tag Glück. Denn alternativ finden sich Hackfleischbällchen in pikanter Tomatensauce und Gemüsereis in leuchtendem Gelb auf dem Plan. Fleisch gibt es hier nur zweimal wöchentlich, dafür in Bio-Qualität vom Bauern um die Ecke.
 
„2017 haben wir begonnen, das Essensangebot in unserem Krankenhaus umzustellen. Die Idee: gesunde Ernährung für alle“, erzählt Heike Breidenich, ge­lernte Restaurantfachfrau und Mitglied der Klinikleitung, zuständig für den Bereich „Unterstützende Dienste“. Es war seinerzeit ihr Vorschlag, weniger Fleisch, mehr Bioprodukte, mehr regionale sowie saisonale Kost für Mitarbeitende sowie für Patientinnen und Patienten auf den Tisch zu bringen.

Voraussetzung war: „Dass alle die Idee mittragen, von der Führungsebene bis hin zur Pflegekraft, sonst wäre das Konzept nicht umsetzbar gewesen“, betont Breidenich im Gespräch beim Mittagessen am großen Tisch auf der Empore, umgeben von üppigen Grünpflanzen. In der lichten Krankenhauskantine mit den großen Fenstern und der mehrere Meter hohen Decke lassen es sich die Mitarbeitenden in der Mittagszeit werktäglich schmecken. Den Auftakt für Breidenichs Vision, Gemeinschaftsverpflegung neu zu denken, machte ein gemeinsamer Workshop mit dem gesamten Küchenteam. Sieben Unterprojekte ergaben sich daraus, um die Details von der Organisation über Einkauf bis zur Finanzierung und Menüplanung zu erarbeiten.

Günstig in der Erntezeit

Mit dem hausgemachten Ernährungsrezept stieg der Anteil an Bio-Lebensmitteln in der Küche auf 40 Prozent. Doch Küche und Krankenhausleitung wollten mehr: mindestens 60 Prozent ökologisch produzierte Lebens­mittel. Dafür lieferte 2022 das Projekt „Kantine Zukunft“ der Berliner Ernährungsstrategie, die auf gesundes, nachhaltiges und bezahlbares Essen in öffentlichen Einrichtungen zielt, weiteren Feinschliff. „Die ersten 40 Prozent Bio sind einfach“, sagt Einkaufsleiter Olaf Budig. „Alles, was darüber hinaus geht, da wird es knifflig.“ Hier kamen die Zutaten der „Kantine Zukunft“ ins Spiel. Einkauf, Speiseplan und Rezepturen galt es noch einmal unter die Lupe zu nehmen. „Getreide, Reis und Nudeln hatten wir schon in Bioqualität“, berichtet Chefkoch Sebastian Kiesewetter. Nachdem er und sein Team auch Obst und Molkereierzeugnisse wie Quark von konventionelle auf nachhaltige Angebote umgestellt hatten, habe der Sprung auf das 60-Prozent-Ziel geklappt.

Auf die Frage nach höheren Kosten für Bioprodukte antwortet Kiesewetter: „Wenn du Kürbis, Zucchini oder Fenchel in der jeweiligen Erntezeit kaufst, ist Bio nicht teuer.“ Im Gegenteil, erläutert Einkaufsleiter Budig: „In den vergangenen zwei Jahren sind die Preise im konventionellen Bereich inflationsbedingt explodiert, der Biobereich hatte gerade mal eine Preissteigerung von etwa fünf Prozent. Heißt: Bioprodukte sind preisstabil und damit von der Kalkulationssicherheit viel interessanter.“ Und auch für die andere Seite der Ladentheke gibt es Vorteile. „Wir bieten den Erzeugern Planungssicherheit durch regelmäßige Abnahme bestimmter Mengen“, so Budig. Dadurch könnten diese dem Krankenhaus in Kladow preislich entgegenkommen.

Gesundes Essverhalten für einige Herausforderung

Um auf Mangelernährung und Probleme wie Diabetes, Adipositas oder auch Suchterkrankungen mit passenden Rezepten zu reagieren, gibt es im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe Sonderkost. Für die „Hafertage“, um beispielsweise den Blutzuckerspiegel zu senken, hat die Küche eine eigene Maschine angeschafft. „Herkules“ zaubert aus Bio-Körnern von der Mühle in der Nachbarschaft ganz frische Haferflocken von fein bis grob.

Bei den Essensvorlieben der Patientinnen und Patienten zeigen sich im Klinikalltag Unterschiede, berichten der Leiter des Serviceteams Thomas Röllig und seine Mitarbeiterin Ramona Prieß. Sie kümmern sich täglich um die Menüwünsche der zu Behandelnden auf den Stationen. „Manche Patienten tun sich schwer, ihr gewohntes Essverhalten zu ändern, auch wenn sie wissen, dass es gesundheitsschädlich ist“, sagt Prieß.

Dabei kann sich die Auswahl auf den Tellern sehen lassen in Anbetracht des begrenzten Budgets: Neben den drei Gerichten am Mittag aus den Kategorien „Landpartie“, „Leichte Vollkost“ und „Aus der Region“ plus Dessert, die es in der Kantine sowie auf den Stationen gibt, stehen für die Patientinnen und Patienten Frühstück und Abendessen auf dem Programm. Morgens haben sie die Wahl zwischen gesundem Brot mit Aufschnitt oder Getreide zum Beispiel in Form von Müsli. Und am Abend serviert die Klinik Salate zum Brot.

Fertigprodukte? Fehlanzeige

Von insgesamt elf Erzeugern aus der Umgebung bezieht die Krankenhausküche ihre Lebens­mittel und Backwaren. „Alles was geht, gibt’s frisch“, sagt ­Kiesewetter. Das sei ihm wichtig. Fertigprodukte? Fehlanzeige. Fleisch auf der Gabel ist weiterhin begehrt. Diese Woche können sich 150 bis 180 hungrige Mitarbeitende, die im Schnitt werktags die Cafeteria aufsuchen, neben spanischen Hackbällchen am Dienstag auf Berliner Bratwurst am Freitag freuen. In der Woche gibt es für alle Kantinengäste inklu­sive 30 bis 40 Tagesklinikpatienten sowie für die stationär Aufgenom­menen das gleiche Essen. Für die letztere Gruppe stehen mit 540 Gramm Fleisch, inbegriffen Wurstaufschnitt, etwas mehr an sieben Tagen die Woche auf dem Speiseplan. Auch Fisch spielt eine wichtige Rolle, hier legt die Küchencrew ebenfalls Wert auf Nähe: lieber Müritz als Atlantik. Für die Finanzierung muss die Klinik mit knappem Budget planen. Pro Patient stehen täglich 5,40 Euro für den Lebensmitteleinsatz zur Verfügung.

Vorteilhafte Auswirkungen hat die gesunde Ernährung auf Erkrankte und Mitarbeitende. Für Patienten heißt das: „Kür­zere Liege­zeiten, bessere Wundheilung, weniger Komplikation bei Eingriffen. Wir haben insgesamt eine kürzere Rekonvaleszenz“, erzählt Dr. Markus Wispler, leitender Arzt für Gastroenterologie, Diabetologie und Ernährungsmedizin. Und das alles habe zugleich einen positiven Effekt auf das Krankenhausmanagement und die Kosten. Der Veränderungsprozess seit 2017 habe sich bei ihm selbst bemerkbar gemacht. „Ich habe zwei, drei Jahre gebraucht, meinen Gaumen umzustellen, obwohl ich vom ersten Tag völlig überzeugt war“, räumt der Ernährungsmediziner ein. Es brauche Zeit, den vermeintlichen Verzicht als Gewinn zu erkennen, resümiert Wispler. Dass dieser Prozess nachhaltig Spuren bei den Mitarbeitenden hinterlässt, begeistert Initiatorin Breidenich besonders: „Einer unserer Köche hat für sich entschieden, weniger Fleisch zu essen, dafür in guter Qualität. Das freut mich, dass es solche Auswirkungen hat.“

Bei Patientinnen und Patienten zeigt sich ebenfalls eine zunehmende Akzeptanz. „Die Rezepte sind die gleichen wie vor fünf Jahren. Doch damals waren die Rückmeldungen negativer als heute“, berichtet der Ernährungsmediziner. Als Grund hierfür sieht Breidenich die Transformation insgesamt in der Gesellschaft zu mehr Ernährungsbewusstsein. Sie begrüßt deshalb die Ernährungsstrategie der Bundesregierung und hofft, dass noch mehr die Chance ergreifen, den damit gesetzten Rahmen mit konkreten Konzepten zu füllen. In Havelhöhe heißt das nächste Ziel: 100 Prozent Bio.

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Irja Most

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