Artikel Versorgung

Rechte zu betreuender Menschen gestärkt

18.04.2024 Anja Mertens 5 Min. Lesedauer

Wünscht ein erwachsener Mensch aus freien Stücken einen bestimmten Betreuer und lehnt einen anderen ab, ist dies zu respektieren.

Symbolbild eines Paragraphenzeichen, das auf einem geöffneten Buch steht

Beschluss vom 10. Januar 2024

– XII ZB 217/23 –
Bundesgerichtshof

Sind Erwachsene nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten eigenständig zu erledigen, legt das Betreuungsgericht den Umfang der Betreuung fest und bestellt einen Berufsbetreuer. Die Frage, inwieweit Betreute bei der Auswahl ihres Betreuers mitentscheiden können, beschäftigt immer wieder Gerichte – jüngst auch den Bundesgerichtshof.

In dem Fall geht es um eine 1985 geborene Frau, die am Asperger-Syndrom leidet. Dabei handelt es sich um eine autistische Störung, die unter anderem mit Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation einhergeht.

Berufsbetreuer eingesetzt

Illustration der Justitia mit Waage
Bei der Betreuerauswahl haben Betroffene ein Mitspracherecht.

Die Frau erhielt im Jahr 2014 einen rechtlichen Betreuer. Dessen Aufgabenkreis erstreckte sich auf die Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialversicherungsträgern, Wohnungsangelegenheiten sowie die Entgegennahme und das Öffnen der Post. Der Berufsbetreuer der Frau regte an, die Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge zu erweitern. Hintergrund war, dass die Frau in einem sozialgerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung ihrer Aufnahme in die Familienversicherung der gesetzlichen Krankenversicherung auf Anraten ihrer Mutter eine Entbindung ihrer behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht verweigert hatte. Deshalb kam das Verfahren zum Stillstand, und das Sozialamt stellte wegen fehlender Mitwirkung die bisher geleisteten Beitragszahlungen an die Krankenkasse ein.

Das Amtsgericht erweiterte die rechtliche Betreuung um den Aufgabenbereich Gesundheits­sorge und bestellte dafür den bisherigen Berufsbetreuer. Daraufhin legte die Mutter Beschwerde beim Landgericht ein. Doch das Gericht wies die Beschwerde zurück. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Frau damit überfordert, komplexe Sachverhalte zu verstehen. Sie sei nicht in der Lage, eigenständig sachge­rechte Entscheidungen über notwen­dige Maßnahmen im Hinblick auf die Krankenversicherung beziehungsweise in einem laufenden Gerichtsverfahren zu treffen. Zu Recht habe das Amtsgericht dafür den bisherigen Berufsbetreuer bestellt. Zwar habe sich die Frau für die Gesundheitssorge ihre Mutter als Betreuerin gewünscht. Diese sei jedoch nicht dafür geeignet. Deren bisheriges Verhalten habe gezeigt, dass durch sie eine interessengerechte Vertretung der kranken Frau gerade in dem laufenden sozialgerichtlichen Verfahren nicht gewährleistet sei.

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Beschwerde erfolgreich

Gegen die Erweiterung des Aufgabenbereichs um die Gesundheitssorge sowie gegen die Be­treuerauswahl legten die kranke Frau und ihre Mutter Rechts­beschwerde beim Bundesgerichtshof ein und hatten Erfolg damit. Die obersten Zivilrichter hoben die Entscheidung auf und wiesen den Fall an das Landgericht zurück.

Die Vorinstanz sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass ein Betreuer gegen den freien Willen eines erwachsenen Menschen nicht bestellt werden ­dürfe (Paragraf 1814 Absatz 2 Bürger­liches Gesetzbuch). Sie sei jedoch rechts­fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge dem Willen der kranken Frau entspreche. Diese habe zwar sowohl gegenüber dem Sachverständigen als auch bei ihrer Anhörung vor Gericht erklärt, ihre Angelegenheiten der Gesundheitssorge nicht in jeder Hinsicht ohne Unterstützung bewältigen zu können, und sich mit der Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge grundsätzlich einverstanden erklärt. Gleichzeitig habe sie jedoch zu verstehen gegeben, dass sie mit dem Berufsbetreuer unzufrieden und nicht mit dessen Bestellung für die Gesundheits­sorge einverstanden sei, sondern sich ihre Mutter als Betreuerin wünsche.

„Entscheidungen Betreuter bei der Betreuerwahl, die auf ihrer freien Willensbildung beruhen, dürfen zu Recht nicht übergangen werden.“

Anja Mertens

war bis zum Eintritt in den Ruhestand im März dieses Jahres Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.

Wunsch ausschlaggebend

Das Landgericht habe verkannt, dass in einem solchen Fall die Erweiterung der Betreuung mit einem anderen als dem gewünschten Betreuer dem freien Willen des Betroffenen widerspricht, urteilten die obersten Zivilrichter. Beruhe die Entscheidung eines Betroffenen gegen die Bestellung eines anderen als des von ihm gewünschten Betreuers auf einer freien Willensbildung, müsse dies auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. In einem solchen Fall sei trotz Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen und fortbestehendem Betreuungsbedarf die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen, so die obersten ­Zivilrichter.
 
Das Landgericht habe nun die Feststellungen zur Frage des freien Willens zu treffen. Die beiden entscheidenden Kriterien dafür seien zum einen die Einsichtsfähigkeit der Betroffenen und zum anderen deren Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen.

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