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EU-Rat legt Standpunkt für Gesundheitsdaten fest

11.12.2023 Irja Most 7 Min. Lesedauer

Für eine bessere Versorgung und Forschung stecken die EU und ihre Mitgliedstaaten derzeit die genauen Rahmenbedingungen für den Umgang mit Gesundheitsdaten ab. Sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland will die Politik hierfür diese Woche entscheidende Weichen stellen. Am Mittwoch soll ein nächster Schritt im EU-Parlament erfolgen und am Donnerstag will der Bundestag über die hiesigen Digitalgesetze abstimmen.

Auf einem Tablet sind Gesundheitsdaten zu sehen, eine Hand tippt mit einem Stift auf das Display.
In Deutschland soll die elektronische Patientenakte – das Herzstück der Gesundheitsdatennutzung - im Januar 2025 an den Start gehen.

Um den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) weiter zu konkretisieren und in geordnete Bahnen zu lenken, hat der Rat der EU jetzt seinen Standpunkt festgelegt. Die Botschafterinnen und Botschafter der EU-Mitgliedstaaten haben sich vergangene Woche auf das Mandat des Rates für einen neuen Rechtsakt geeinigt, mit dem der Austausch von und der Zugang zu Gesundheitsdaten auf EU-Ebene erleichtert werden soll. Voraussichtlich am kommenden Mittwoch will das Europäische Parlament seine Stellungnahme abgeben, heißt es in einer Mitteilung.

Ziel der vorgeschlagenen Verordnung für den EHDS ist es, den Zugang von EU-Bürgerinnen- und Bürgern zu ihren eigenen digitalen Gesundheitsdaten zu verbessern sowie ihre Kontrolle darüber. Gleichzeitig wird angestrebt, die Forschung mit pseudonymisierten und sicheren Gesundheitsdaten zu erleichtern und das „enorme Potenzial“ auszuschöpfen. Zudem sei im Vorschlag eine gesundheitsspezifische Datenumgebung vorgesehen, die dazu beitragen soll, einen Binnenmarkt für digitale Gesundheitsdienste und -produkte zu fördern. „Das heute vereinbarte Mandat betrifft einen EU-weiten Raum für Daten, mit dem ein sicherer und effizienter Austausch von und Zugriff auf Gesundheitsdaten ermöglicht wird“, kommentierte dazu die spanische Gesundheitsministerin Mónica García Gómez.

Ausbau der Infrastruktur für grenzüberschreitenden Austausch

Aktuell problematisch ist noch der unterschiedliche Stand der Digitalisierung in den EU-Mitgliedstaaten und damit ein Austausch von Gesundheitsdaten über die Ländergrenzen hinweg. Deshalb sollen nach der vorgeschlagenen Verordnung alle Systeme für elektronische Patientenakten (European Health Record Systems, kurz: EHR-Systeme) den Spezifikationen des europäischen Austauschformats für elektronische Patientenakten entsprechen, um ihre sogenannte Interoperabilität auf EU-Ebene zu gewährleisten. 

Zur Umsetzung der Primärnutzung von Gesundheitsdaten ist geplant, die bereits bestehende Infrastruktur „MyHealth@EU“ auszubauen. Dadurch soll beispielsweise eine Ärztin in Deutschland die Daten zur Behandlung eines spanischen Patienten abrufen können. Die EU-Länder werden verpflichtet, eine digitale Gesundheitsbehörde zur Umsetzung der neuen Bestimmungen einzurichten. Daneben ist geplant, die Plattform „HealthData@EU“ zu etablieren, um den grenzüberschreitenden Zugang zu Gesundheitsdaten für die Sekundärnutzung zu unterstützen. Dies soll der Forschung und Entwicklung sowie der politischen Entscheidungsfindung dienen.

Fünf Schlüsselbereiche – Recht auf Nichtbeteiligung möglich

Mit dem Mandat soll der Vorschlag der Kommission in wichtigen Punkten weiterentwickelt werden: Es gelte Klarheit zu schaffen, unter anderem bei den Kriterien für die Gewährung des Zugangs zu elektronischen Gesundheitsdaten. Für die Verwaltung von „MyHealth@EU“ und „HealthData@EU“ sollen zwei Lenkungsgruppen bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedsstaaten zum Einsatz kommen. Die neuen nationalen digitalen Gesundheitsbehörden sollen alle zwei Jahre einen Tätigkeitsbericht veröffentlichen. 

Bei der elektronischen Patientenakte sollen getrennte nationale und grenzüberschreitende Profile möglich sein. Und die Länder sollen selbst entscheiden können, wie sie sehr sie ihre Versicherten in die Pflicht nehmen: „Es liegt im Ermessen der Mitgliedstaaten, den Patientinnen und Patienten die Möglichkeit zu geben, sich nicht an dem neuen Datenaustauschsystem zu beteiligen“, heißt es in Punkt fünf. Das Mandat des Rates für ein neues Gesetz sieht vor, dass die Verordnung laut Mitteilung zwei Jahre nach ihrer Verabschiedung in Kraft treten soll.

Abstimmung über Digitalgesetze im Bundestag

Hierzulande stehen in dieser Woche ebenfalls wichtige Entscheidungen für die Gesetzgebung zur Digitalisierung im Gesundheitswesen an. Einen Tag nach der erwarteten Abstimmung im EU-Plenum will der Bundestag am Donnerstag in zweiter und dritter Lesung über die beiden geplanten deutschen Digitalgesetze abstimmen: dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digig) und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Tags zuvor sind die Digitalgesetze abschließend Thema im Gesundheitsausschuss. Mit den Digitalgesetzen sollen auch die Ziele des Europäischen Gesundheitsdatenraums Einzug im deutschen Gesundheitssystem finden. 

Herzstück der Gesetzespläne ist die Neuregelung der elektronischen Patientenakte (Epa), die bislang keinen praktischen Nutzen im Gesundheitswesen hatte. Mit der Umstellung auf ein Opt-Out-Verfahren soll sich dies ändern. Versicherte müssen dann aktiv widersprechen, wenn sie keine Epa wollen. Die Opt-Out-Möglichkeit bekräftigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Kurznachrichtendienst X am vergangenen Donnerstag. Auch brauche es nicht zwingend ein Endgerät wie Tablet oder Smartphone zur Nutzung für eine Behandlung, die Akte „läuft dann im Hintergrund“, so der Minister. Es sei höchste Zeit für die Epa, unterstrich Susanne Ozegowski, Leiterin der Abteilung „Digitalisierung und Innovation“ im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) jüngst auf der diesjährigen „Digital Health Conference“. „Wir brauchen endlich eine vernünftige Datenbasis für die Versorgung und für die Forschung. Und dafür ist ganz zentral, dass wir endlich eine funktionierende elektronische Patientenakte haben.“ 

Kampagne zur Einführung der Epa geplant

Stichtag für den Start der Epa sei nach wie vor der 15. Januar 2025, wie im Gesetz festgehalten. Um die Betroffenen mitzunehmen, sei eine Informationskampagne auch zum Widerspruchsrecht geplant, führte Ozegowski weiter aus. Außerdem gehe es darum, überhaupt das Verständnis dafür zu schaffen, welchen Nutzen die elektronische Patientenakte für jeden Einzelnen habe. Wünschenswert seien zum Start möglichst viele strukturierte Daten in der Epa. Doch dafür müssten die Systeme, über die die Daten reinkommen, in der Lage sein, diese so einpflegen zu können. „Das dauert ein bisschen“, räumte Ozegowski ein. Deshalb werde es am Anfang auch unstrukturierte Daten geben, doch das habe allein schon einen Mehrwert, weil es die vielen Telefonate und Faxe im Gesundheitswesen reduziere. Und es bestehe im weiterem laut Ozegowski die Chance, mithilfe von Künstlicher Intelligenz aus diesen unstrukturierten Daten in der weiteren Perspektive strukturierte Daten zu machen.

Mit dem GDNG sollen in Deutschland auch die Standortbedingungen für die Pharmaindustrie verbessert werden. Das jüngst vorgestellte Medizinforschungsgesetz ist daher hier angedockt für die Nutzung von Gesundheitsdaten. Um den Datenschutz zu wahren, aber bei weniger Bürokratie werde Im GDNG eine Regelung getroffen, „dass es zukünftig einen federführenden Landesdatenschützer gibt bei einem multizentrischen Projekt“, der die Koordination übernehme, statt 16 Datenschützer nebeneinander zu haben, erläuterte Ozegowski. Essenziell sei zudem das geplante Forschungsdatenzentrum. Ein „wirklicher Schatz“ entstehe, wenn die Daten aus den verschiedenen Töpfen wie Abrechnungsdaten der Krankenkassen, Epa mit Einverständnis des Patienten, Implantateregister, Krebsregister, Daten aus der Medizininformatik-Initiative oder auch Genom-Daten, miteinander für Forschungszwecke verknüpft werden können.

„Unfassbarer Datenschatz“ bei den Krankenkassen

Besonders bei den Krankassen „liegt ein unfassbarer Datenschatz“, hob die BMG-Abteilungsleiterin hervor. Jedes Jahr landeten mehrere 10.000 Menschen in einer Notaufnahme, weil sie Arzneimittel miteinander kombinierten, die man besser nicht kombinieren sollte. Im Bereich Prävention bestünde die Möglichkeit auf fehlende Impfungen oder Untersuchungen zur Früherkennung hinzuweisen. Jeder könne dann selbst entscheiden, oder er das wahrnehmen möchte oder eben nicht. Wichtig sei es, „die Menschen zu empowerern“.

Die verbesserte Versorgung von Versicherten mithilfe der Digitalisierung begrüßen auch die Krankenkassen. Aber: „Ein Punkt, der uns jetzt als Organisation noch fehlt, ist die Möglichkeit für den Spitzenverband die Daten zu nutzen“, sagte Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands (GKV-SV) auf der „Digital Health Conference“. Auch sei der Zeitplan für die Epa sehr ambitioniert. Denn es sei nicht so, „dass man auf Knopfdruck sagen kann, wir haben jetzt eine neue Software und dann fangen wir an, sondern es gilt auch das Drumherum zu organisieren“, so Pfeiffer. An dieser Stelle wünsche sich der GKV-SV etwas mehr Luft. Hinsichtlich der Nutzung von Gesundheitsdaten für Forschung, Innovation und Politikgestaltung auf EU-Ebene, fordert der GKV-SV darüber hinaus auf der Plattform X: „Die Krankenkassen müssen dabei von Anfang an als zentrale Akteure in die Ausgestaltung des Europäischen Gesundheitsdatenraums einbezogen werden.“

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Irja Most

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