Schlaglicht auf die Baustellen im Gesundheitswesen – AOK-Medienpreis vergeben
Ein nächtlicher Gang durch das ehemalige Krankenhaus in Bad Saulgau: Die Flure sind leer, die Zimmer verlassen, das Labor verwaist, hinter dem Empfangstresen liegen verstreute Formulare. Mit dieser Szene zieht die Journalistin Martina Keller ihre Hörer in das Anfang 2024 für den WDR produzierte Radiofeature über die Krankenhausreform von Karl Lauterbach. Mit dem Beitrag belegte sie den ersten Platz beim Fritz-Schösser-Medienpreis der AOK, der am Donnerstagabend in Berlin zum dritten Mal vergeben wurde und ein Schlaglicht auf die aktuellen Baustellen im Gesundheits- und Pflegesektor warf.

Im oberschwäbischen Bad Saulgau mit seinen 18.000 Einwohnern ist schon 2022 passiert, was vielen anderen Städten bei der Umsetzung der im vergangenen Jahr beschlossenen Klinikreform wohl noch bevorsteht – die Schließung ihres Krankenhauses zugunsten einer stärkeren Spezialisierung. Lokalpolitiker, Ärzte, Pflegekräfte und Bewohner der kleinen Kurstadt gingen auf die Barrikaden.
Aufklären ohne Belehrungen
Keller hat sich mit den unterschiedlichen Argumenten zu der umstrittenen Klinikreform befasst, lässt Gesundheitsexperten, Politiker, Gegner und Befürworter aus ganz Deutschland zu Wort kommen. Dabei gebe sie sich nicht schnell mit einfachen Antworten zufrieden, hebt Deutschlandfunk-Redakteur Gerhard Schröder in seiner Laudatio hervor. „Martina Keller nimmt die Argumente der Gegner sehr ernst. Aber sie macht sie sich nicht vorschnell zu eigen.“ Das Feature sei daher „ein herausragendes Beispiel dafür, was guter Journalismus leisten kann. Nämlich aufzuklären, ohne zu belehren“, lobt der Hörfunkjournalist. Für ihren Audio-Beitrag „Lauterbachs Revolution? – Doku über den Kampf gegen die Krankenhausreform“ erhält Keller 8.000 Euro. Die Gewinnerin selbst hob hervor, beim Thema Krankenhaus gehe es um viel Geld, Macht und Einfluss, aber eben auch um die Qualität der Versorgung. „Das kommt dabei manchmal zu kurz.“
Dunkle Welt der Lieferketten
Licht in die dunkle Welt der Lieferketten bringt der mit 6.000 Euro ausgezeichnete Artikel „Ausgeliefert“ von der Wissenschaftsjournalistin Dr. Christina Berndt und ihrem Team, der im März 2024 in der „Süddeutschen Zeitung“ erschien. Immer wieder fehlen in Deutschland wichtige Medikamente – Antibiotika und Diabetes-Arzneien ebenso wie Präparate gegen Krebs. Die Journalisten folgen in dem Beitrag exemplarisch dem Weg eines Fiebersaftes für Kinder und zwar von der chinesischen Fabrik bis zur deutschen Apotheke. Unfälle, Explosionen, Kriege, Unwetter, Stromausfälle und nicht zuletzt unternehmerische Entscheidungen stellen Gefahren für die Arzneimittelversorgung hierzulande dar, wie der Beitrag aufzeigt.
Der Aufsichtsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes und Versichertenvertreter Knut Lambertin würdigte, dass der „spannende, aufwendig recherchierte und damit aufklärerische Artikel“ zugleich Lösungen für die riskanten Lieferketten aufzeige. Autorin Berndt bekannte, in dem Text stecke „viel Schweiß“. „Man hatte den Eindruck, man recherchiert bei der Rüstungsindustrie“, schilderte sie ihre Erfahrungen mit den Pharmaunternehmen.
Ausgebrannte junge Ärzte
„Ärzte mit Grenzen“ lautet der mit 4.000 Euro ausgezeichnete Beitrag von Dr. Vivian Pasquet aus dem „SZ Magazin“. Sie berichtet darin aus einem Kreis von sechs Freundinnen und Freunde, die sich viele Jahre nach ihrem Medizinstudium wiedertreffen und sich über ihre Erfahrungen austauschen. Sie stellen dabei fest, dass der „Traumberuf“ Arzt an vielen Ecken und Enden krankt und die immense Vermittlung von Wissen an der Uni keineswegs auf den stressigen Alltag in der Klinik vorbereitet. Elf Jahre nach Studienstart arbeiten nur noch drei der sechs Freunde als Ärzte, zwei davon halbtags, eine im Ausland. Auch die Autorin hat den Weg raus aus der medizinischen Versorgung gewählt. Ihre Beschreibungen seien „so wirkmächtig, dass die Systemkritik zwischen den Zeilen brüllt“, lobte Redakteurin Rebecca Beerheide vom Deutschen Ärzteblatt in ihrer Laudatio. Gewinnerin Pasquet versprach, sie werde ihre Freunde zum Essen einladen, denn sie hätten sich viel Zeit für den Austausch zu dem Artikel genommen.
YouTube-Kanal geehrt
Ein Sonderpreis in Höhe von 2.000 Euro wurde in der Rubrik „Junges Format“ vergeben. Die Aufsichtsratsvorsitzende für die Arbeitgeberseite, Susanne Wagenmann, ehrte damit den YouTube-Kanal „Doktor Whatson“. Diesem gelinge es in Zeiten von Fake-News und Desinformationen auf beeindruckende Weise, „wissenschaftlich fundierte Inhalte verständlich, unterhaltsam und relevant aufzubereiten“. Wissenschaftsnahe Informationen und gutes Entertainment müssten keine Widersprüche sein.
Der Fritz-Schösser-Medienpreis wird seit 2020 alle zwei Jahre für Qualitätsjournalismus vergeben. Die Beiträge sollen komplexe Sachverhalte der Gesundheitspolitik verständlich darstellen, die Meinungsbildung fördern und kritische Debatten in der Gesellschaft anstoßen. „Nie war Qualitätsjournalismus so wichtig wie heute“, sagte Wagenmann. Ebenso wie Lambertin, Beerheide, Schröder und Dr. Julia Emmrich aus der Funke-Zentralregion gehörte sie der Jury an. Der Preis ist nach dem 2019 verstorbenen ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Sozialpolitiker und Gewerkschafter Fritz Schösser benannt.
Berliner Journalisten analysieren Probleme
Ganz im Zeichen des gesundheitspolitischen Journalismus stand auch der Presseclub im Vorfeld der Preisverleihung. Dabei diskutierte Moderator Dr. Christian Geinitz (Frankfurter Allgemeine Zeitung) mit Dana Bethkenhagen (Tagesspiegel Background) und Jürgen Klöckner (Politico) über die Herausforderungen für die neue schwarz-rote Bundesregierung im Gesundheits- und Pflegesektor.
Als besonders dringlich stuften Bethkenhagen und Klöckner Reformen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ein, die seit Monaten durch ein Milliardendefizit und Beitragssteigerungen von sich reden macht. Die neue Gesundheitsministerin Nina Warken habe angekündigt, dass sie Beitragsstabilität anstrebe, so Geinitz und Bethkenhagen. „Jetzt aber erstmal alles auf eine Karte, nämlich Steuerzuschüsse, zu setzen, halte ich für sehr mutig“, so Bethkenhagen. Ihr Kollege Klöckner sieht es nach eigenen Worten allerdings noch längst nicht als ausgemacht an, dass die Beitragssätze unter Warkens Regie nicht weiter steigen werden. „Da muss sie erstmal sehr viel Geld bekommen vom Finanzminister.“
Blut, Schweiß und Tränen-Rede?
Positiv werteten die Journalisten von Tagesspiegel und Politico, dass Warken mit allen Akteuren sprechen wolle und Denkverbote ablehne. „Sie möchte kommunizieren“, hob Bethkenhagen hervor. Auch wenn sie fachfremd sei, könne Warken eine gute Mehrheitsbeschafferin sein. Die Medienvertreterin warnte wie Klöckner allerdings davor, mit Strukturreformen lange zu warten. „Die Lage ist dramatisch“, betonte Klöckner. Auch die Überschüsse der Kassen im ersten Quartal 2025 könnten darüber nicht hinwegtäuschen. Dass Warken überhaupt Steuermittel bekomme – 16 Milliarden Euro seien im Rahmen eines Sofortprogramms im Gespräch –, sei im Vergleich zur Situation von Ex-Minister Lauterbach in Ampel-Zeiten geradezu ein Luxus. Steuermittel auf die Probleme zu schütten, erinnere an die Politik anderer CDU-Politiker in dem Amt.
FAZ-Redakteur Geinitz verwies in der Diskussionsrunde auf Ulla Schmidt (SPD), die als letzte Ressortchefin den Mut zu Leistungskürzungen gehabt habe. Müsste die amtierende Ministerin sich dies als Vorbild nehmen und angesichts der defizitären Finanzlage eine „Blood, sweat and tears“-Rede halten? Den Bürgern also deutlich machen, dass es so nicht weitergeht? „Ich würde es mir wünschen“, antwortete Klöckner. Die Bevölkerung wisse, dass das System so nicht mehr funktioniere. Die Praxen seien voll, in Krankenhäusern würden sie teilweise schlecht operiert „und dann wird es auch noch teurer“. Er fügte jedoch hinzu: „Ich kann es mir nur schwer vorstellen, dass sie das tut.“
Die Zuhörer gingen an diesem Abend jedenfalls mit viel Input nach Hause. Und der ein oder andere dürfte neuen Lesestoff für sich entdeckt haben.
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