Aufklärung beugt Gewalt vor

Überforderung und Unwissen sind die häufigsten Ursachen für Gewalt und Konflikte in der Pflege. Aufklärung darüber, wie Konflikte entstehen, hilft, Gewaltereignissen vorzubeugen. Eine Plakataktion der AOK rückt das Thema in die Öffentlichkeit. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern immer um Unterstützung.

Von oben fotografiert sieht man ein Team aus Pflegekräften und Ärztinnen und Ärzten, die sich beratschlagen.

Wertschätzender Umgang mit Demenzkranken

Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben hierzulande derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Allein im Laufe des Jahres 2021 sind etwa 440.000 Menschen neu daran erkrankt. Die Alzheimer Gesellschaft schätzt, dass sich die Zahl der Menschen mit dieser Diagnose bis zum Jahr 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen erhöhen wird.

Eine Analyse des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) zeigt, dass Demenz zu den häufigsten Gründen für den Einzug in ein Pflegeheim gehört. So leiden zirka zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen in Deutschland daran. Wer an Demenz erkrankt, hat meistens Gedächtnis-, Orientierungs- und Sprachstörungen. Auch das Denk- und Urteilsvermögen sind betroffen, und die Persönlichkeit der Menschen verändert sich. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung wird es für Betroffene somit immer schwieriger, sich verständlich zu machen. 

„Daraus resultieren viele problematische Verhaltensweisen, die Pflegende vor Herausforderungen stellen und ein erhöhtes Risiko für Eskalationen bergen“, sagt Werner Winter, AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Experte für Betriebliche Gesundheitsförderung Seit dem Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes zum 1. April 2007 sind die bisherigen… (BGF). So könne die Orientierungslosigkeit Menschen ängstlich und anhänglich machen. Fühlten sich Demenzkranke frustriert oder überfordert, reagierten sie häufig aggressiv. „Fördert man sie nicht genug, ziehen sie sich zurück und wirken apathisch“, so Winter.  

Nach Meinung von Winter benötigen sie deshalb eine besonders einfühlsame und geduldige Betreuung und Pflege Kann die häusliche Pflege nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden, besteht Anspruch auf… . Empfehlungen dazu haben die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) in der S3-Leitlinie "Demenzen" formuliert. Ziel ist es, die Qualität ist ein zentrales Versorgungsziel der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Im Rahmen der… der Versorgung und Betreuung von Demenzkranken zu verbessern. Als erstes Mittel der Wahl gelten danach nicht-medikamentöse Behandlungsformen. Dazu zählen beispielsweise Gedächtnistraining, Musik- und Kunsttherapie, Gespräche über frühere Erfahrungen und Erlebnisse oder die Umgestaltung der Räumlichkeiten, sodass sich Menschen mit Demenz dort gut orientieren und sicher bewegen können. Diese Behandlungsformen tragen dazu bei, die kognitiven Fähigkeiten von Demenzkranken zu trainieren, ihre Alltagsfähigkeiten zu verbessern und ihr seelisches Wohlbefinden zu fördern. Ebenso können sie schwierige Verhaltensweisen wie Unruhe oder Reizbarkeit eindämmen. 

„Je mehr Pflegende über die Krankheit wird in der Medizin als Abweichung von Gesundheit oder Wohlbefinden verstanden. Allerdings stößt die… wissen, desto besser können sie damit umgehen. Entsprechende Schulungen können ihnen dabei helfen, Verhaltenssymptome und ihre Auslöser zu erkennen und richtig einzuordnen“, so Winter. Auch Konzepte wie „Verstehende Diagnostik“ zeigten, wie es gelingen kann, Menschen mit Demenz zu fördern und problematischen Verhaltensweisen vorzubeugen. „Im Rahmen der ‚verstehenden Diagnostik‘ versucht man, die Sichtweise des Menschen mit Demenz einzunehmen und so seine Verhaltensweisen nachzuvollziehen“, erläutert der BGF-Experte. Die Pflegepersonen recherchierten dabei fast detektivisch die persönliche Umgebung und Biografie, die Vorlieben und sozialen Beziehungen der pflegbedürftigen Person. Auf diese Weise entstehe ein tiefes Verständnis ihrer speziellen Bedürfnisse. Dieses ermögliche das Einleiten passender Maßnahmen und einen wertschätzenden Umgang mit Demenzkranken.

Ein Tabu: Gewalt in der häuslichen Pflege

Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen pflegebedürftig wie heute: 4,1 Millionen sind es laut Statistischem Bundesamt. Acht von zehn Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt, jede zweite Person allein durch die Angehörigen. Gerade in der häuslichen Pflege können Abhängigkeiten und Belastungen, die oft über Jahre bestehen, zu Konflikten führen. Untersuchungen belegen, dass pflegebedürftige alte Menschen nicht selten zu Hause Opfer von Vernachlässigung oder gar Misshandlung werden. Oft handelt es sich bei den Tätern um Angehörige. Aber auch Pflegende können Aggressionen seitens der Pflegebedürftigen ausgesetzt sein. So gaben in einer Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege von 2018 47 Prozent der rund 1.000 befragten pflegenden Angehörigen an, psychische oder körperliche Gewalt durch Personen, die sie pflegen, erlebt zu haben. Das können Handlungen sein wie Kratzen, Spucken, Anschreien, Drohen oder Beschimpfen. 40 Prozent der Befragten berichteten, auch selbst schon einmal gewalttätig geworden zu sein. In den meisten Fällen handelt es sich um psychische Gewalt. Dazu zählen Einschüchterungen oder Beleidigungen. Fast immer verbergen sich dahinter schwierige familiäre Beziehungen, Überlastung, eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten, zum Beispiel bei voranschreitender Demenz, oder zu hohe Erwartungen aneinander. Auch Gefühle wie, nicht wahrgenommen, nicht verstanden oder nicht ernst genommen zu werden, sich nicht richtig verständlich machen zu können, erzeugen Spannungen, die sich in Aggressionen Bahn brechen. 

Pflegende können den Umgang mit Aggressionen lernen. Zudem ist es wichtig, für Entlastung zu sorgen. Umfassende Unterstützungsangebote für pflegende Familien haben deshalb eine besondere Bedeutung. Das reicht von Aufklärung und Information über Beratung und Begleitung bis hin zur Vermittlung von professioneller pflegerischer Unterstützung. 

Viele Menschen, die pflegebedürftig sind, fühlen sich oft einsam – ob im Pflegeheim oder zu Hause ­ Sie bekommen selten Besuch und haben nur noch wenige persönliche Kontakte. Hinzukommt, dass Betroffene durch geistige und körperliche Einschränkungen sich mit ihrem Gefühl der Hilflosigkeit erst einmal auseinandersetzen und lernen müssen, sich auf die neue Situation einzustellen. Deshalb benötigen sie Ansprache und Austausch. Wenn das Pflegepersonal zugewandt zuhören und sich auf den zu Pflegenden einstellen kann, wird die Pflegearbeit leichter und kann Frust und Ärger auf beiden Seiten vermeiden. Pflegepersonen bewältigen täglich ein großes Arbeitspensum, tragen viel Verantwortung und müssen ihre seelischen Belastungen aus dem Pflegealltag kompensieren. Das führt sie oft an das Limit ihrer psychischen und physischen Kräfte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dies zu Ärger und Aggression führen kann, meistens als Folge von Stress und Überforderung durch chronischen Zeitdruck. 

„Für eine gute Pflege ist ein wertschätzender Umgang im Team von großer Bedeutung. Ferner müssen Pflegepersonen angemessen mit den Gefühlen ihrer Anvertrauten umgehen können, damit sie selbst gesund bleiben. Führungskräfte spielen hier eine große Rolle. Sie sollten Vorbilder in wertschätzender Kommunikation sein und für ausreichende Qualifizierungsangebote zum empathischen Umgang mit Belastungssituationen sorgen“, sagt Werner Winter, Experte für Betriebliche Gesundheitsförderung ist ein fortlaufender Prozess mit dem Ziel, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über… in der Pflege im AOK-Bundesverband.

 

Empathie und mitfühlende Zuwendung

Empathie ist die Fähigkeit, sich in die andere Person einzufühlen. Im professionellen Pflegekontext ist empathische Kompetenz die Fähigkeit, die Perspektive und Gefühlswelt der zu pflegenden Person nachzuvollziehen und dann mitfühlend und nach den Bedürfnissen des zu Pflegenden zu reagieren. Empathie ist damit Teil einer professionellen Berufsauffassung und eine wesentliche Voraussetzung für eine pflegerische Beziehung, stellte Claudia Maria Bischoff-Wanner, Professorin für Pflegewissenschaft und Pflegepädagogik bereits 2002 fest. Auch die Neurobiologin Tania Singer erklärte in ihrem Vortrag auf der 10. EMPA 2020, dass empathisches Verstehen in der Pflege wünschenswert ist. Unreflektiert praktiziert kann es aber zu emotionaler Überlastung führen, dem sogenannten Empathischen Stress.

Wie groß die Belastungen durch Stress und andere Faktoren sind, spiegelt sich in den Erkrankungs- und Fehlzeiten wider: So traten zum Beispiel psychische Erkrankungen (mit Burnout) 2021 in der Pflege fast doppelt so häufig auf wie in allen anderen Berufsgruppen. Im Zusammenhang mit der Diagnose Burnout waren Pflegepersonen 2021 durchschnittlich 28 Arbeitstage je 100 AOK-Mitglieder krankgemeldet, deutlich mehr als in anderen Berufen mit rund 14 Tagen. Das zeigen Analysen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Reflektierte Empathie erlernen

Einen reflektierten Umgang mit Empathie können Pflegepersonen erlernen. Davon profitieren die eigene und die Gesundheit der zu Pflegenden. Das zeigt das wissenschaftlich begleitete Verbundprojekt empCARE. Dabei handelt es sich um ein fundiertes Konzept zur Entlastung für Pflegekräfte und zur Reduktion emotionaler Belastungsfolgen. Pflegepersonen lernen, wie sie aus dem Verhalten ihrer Gegenüber deren Gefühle  und Bedürfnisse herauslesen und abklären können, bevor sie antworten. Sie reflektieren ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse in schwierigen Interaktionen und entwickeln Möglichkeiten, diesen Ausdruck zu geben. Die Evaluation zeigt: empCARE wirkt! Knapp 90 Prozent der Teilnehmenden bewerteten das Training positiv, 84 Prozent waren auch nach einem Jahr Anwendung noch dieser Meinung. Die Teilnehmenden konnten ihr Wissen über reflektiert-empathische Interaktionen dauerhaft steigern sowie ihre Selbstwahrnehmung verbessern – Beschwerden und Störungen, wie Burnout und Depressivität nahmen ab. 

Bewusstsein für eine würdevolle Pflege schaffen

Menschen, die gepflegt werden oder Hilfe benötigen, wünschen sich von den Pflegepersonen Akzeptanz, Respekt, Selbstbestimmung, Mitgefühl und Wertschätzung - und sie haben auch ein Recht darauf. Die  Deutsche Pflege-Charta stärkt die Rechte der zu Pflegenden und erklärt die Qualitätsmerkmale einer guten Versorgung für hilfe- und pflegebedürftige Menschen. Die sechs Artikel sind von Vertreterinnen und Vertretern aus allen Bereichen der Pflege und der Selbsthilfe erarbeitet worden. In zweien der Artikel  wird etwa erklärt, dass jeder hilfebedürftige Mensch ein Recht auf individuelle und zugewandte Pflege sowie wertschätzenden und respektvollen Umgang hat. 

Doch die Arbeitsbedingungen lassen dies oft nicht ausreichend zu. Ipsos CARE befragte für seinen 5. CARE Klima-Index 2022 dazu 1.006 Personen, davon 316 Personen aus der professionellen Pflege. 55 Prozent der befragten Pflegepersonen empfanden ihre Arbeitsbedingungen weiterhin als schlecht, im Vergleich zu den Vorjahren seit 2017 ist diese Negativwahrnehmung ungefähr konstant. Die Fragen entwickelt das Marktforschungsinstitut jährlich gemeinsam mit einem Expertenbeirat. Ihm gehören Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Pflegerats und der Zielgruppen an, die befragt werden.

Pflegepersonal wünscht sich eine wertschätzende Arbeitskultur 

Um zu erfahren, wie Pflegepersonen gesund in ihrem Beruf bleiben oder aus dem „Pflexit“ wieder zurückkehren, wurden 2021 rund 12.700 Berufsaussteigende und Teilzeitkräfte von der Hans-Böckler-Stiftung befragt. Von fünf Kernforderungen für eine Rückkehr in den Beruf oder eine Stundenerhöhung wünschen sich die Interviewten mehr Zeit für eine qualitativ hochwertige Pflege durch eine bedarfsgerechte Personalbemessung, einen wertschätzenden und respektvollen Umgang von Vorgesetzten sowie Kollegialität. 

Auch wenn die die Arbeitsbedingungen nicht immer nach Wunsch angepasst werden können, so können Führungskräfte dafür sorgen, dass in ihren Teams eine wertschätzende Unternehmens- und Kommunikationskultur Einzug hält. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie selbst offen kommunizieren, Informationen zeitnah weitergeben, Beschäftigte beteiligen und Verantwortung übertragen (Vertrauen statt Misstrauen). 

Schulungen mit der Pflege-Mediathek der AOK

Das Bild zeigt das Logo der AOK Pflege-Mediathek und zwei Hauptthemen
AOK Pflege-Mediathek

Die Pflege-Mediathek der AOK bietet in ihren Modulen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung eine E-Learning-Einheit zu Empathie in der Pflege und zeigt ein Best Practice Beispiel zum „empCARE“-Training. Weitere Schulungen zu gesunder Führung und kollegialer Beratung ergänzen die Weiterbildungen. 

Die Pflege-Mediathek ist eine digitale Lernplattform für professionell Pflegende in Krankenhäusern, ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Dort sind komplett vorbereitete Mitarbeiterschulungen und E-Learnings zu den Themen Pflegestandards, Bewohnerprävention und Betrieblicher Gesundheitsförderung zu finden. Die Nutzung der AOK Pflege-Mediathek wird von der ortsansässigen AOK begleitet, sie trägt auch die Kosten für die Schulungen.