Digitalisierung  

Die Digitalisierung ist, neben weiteren Strukturreformen, einer der wichtigsten Bausteine für eine Modernisierung des Gesundheitswesens in Deutschland. Unser Gesundheitssystem hat in diesem Bereich im Vergleich zu vielen anderen Ländern großen Nachholbedarf.

Foto: Arzt mit einem Tablet und einem Laptop. Im Vordergrund liegen Bücher
Vier von fünf Befragten hält die Digitalisierung für richtig - und wünscht sich mehr Tempo.

Aktuell stufen Studien und Indizes Deutschland bei der Digitalisierung auf einen der drei letzten Ränge im politisch-strategischen Vorgehen, in der technischen Implementierung und im Reifegrad sowie in der tatsächlichen Datennutzung ein. Die bisherigen Schritte und politischen Initiativen zur Digitalisierung reichen nicht aus, um das stark regulierte und träge System technisch zukunftstauglich aufzustellen und die Vorteile der Digitalisierung für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die Leistungserbringer spürbar und nutzbar zu machen. Mit dem Beschluss der neuen Digitalgesetze hat die Politik zumindest die Weichen gestellt.

Das AOK-System treibt die Entwicklung der elektronischen Patientenakte (ePA) und anderer Digitalprojekte seit langem mit voran. AOK-Versicherte profitieren bereits von digitalen Anwendungen und Online-Services, die für uns kein Selbstzweck sind. Die Digitalisierung muss konkret und nachvollziehbar die Versorgung verbessern, unter anderem durch die überfällige Vernetzung von Forschenden und zur sachgerechten und sicheren Nutzung von Gesundheitsdaten. Nicht erst die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass wir Gesundheitsdaten systematisch erheben und auswerten können müssen. Das sieht die Bevölkerung zunehmend ähnlich, die ja in vielen anderen Lebensbereichen längst einen digitalen Alltag kennt – ob bei der Kommunikation, dem Online-Banking oder dem Einkaufen im Internet. 

Fakt ist: Die Instrumente und digitalen Anwendungen sind vorhanden, ihre Erprobung läuft. Doch unabhängig davon, ob wir von sicheren digitalen Kommunikationswegen, Gesundheitsanwendungen, E-Rezepten oder dem Kernelement der Digitalisierung, der elektronischen Patientenakte (ePA), sprechen: Alle Instrumente müssen zuverlässig und sicher funktionieren. Wir müssen auf Datenschutz achten, Patientenrechte schützen und allen Menschen Zugang zur Digitalisierung ermöglichen. Doch all dies darf uns nicht mehr von der notwendigen Transformation abhalten. Unsere Nachbarländer zeigen uns, dass sie gelingen kann.

Unser Gesundheitssystem ist gut, aber nicht für alle gleich gut. Digitalisierung kann dazu beitragen, einen leichteren Zugang zur Versorgung und vor allem mehr Effizienz zu schaffen.
Wir können Daten im Sinne der Versicherten nutzen und verknüpfen.
Wir können und wollen aktiv zum Gesundbleiben und Gesundwerden unserer Versicherten beitragen, ihre Lebensqualität erhöhen und damit letztlich auch das System entlasten. Die AOK Rheinland/Hamburg wird ihren Beitrag dazu leisten, aus der Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte zu machen.

Wichtige digitale Anwendungen

  • ePA – die elektronische Patientenakte
    aktueller Nutzungsgrad unter ein Prozent – ab 15.01.2025 für alle gesetzlich Versicherte, sofern nicht widersprochen
  • E-Rezept – das elektronische Rezept
    seit 01.07.2023 auch mit eGK einlösbar – ab 01.01.2024 Pflicht
     
  • eMP – der elektronische Medikationsplan
    informiert über aktuelle und historisierte  Medikation und deren Dosierung
    Allergien und Unverträglichkeiten im Blick
  • KIM/TIM – sichere Kommunikationswege
    KIM = E-Mail – Leistungserbringer à Krankenkassen
    TIM = Messenger – alle Beteiligte (Ärztinnen und Ärzte, Krankenkassen, Patientinnen und Patienten)
  • DiGA – die digitalen Gesundheitsanwendungen
    seit September 2020 verordnungsfähig
    sollen unterstützen, erkennen, überwachen, lindern

Interview mit Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg

Porträt von Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg
Günter Wältermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg

Drei Fragen zur Digitalisierung an Günter Wältermann:

Herr Wältermann, warum ist die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens bisher so schleppend verlaufen?

Wältermann: Das hat viele verschiedene Gründe – strukturelle, politische, ökonomische und technische. Der wichtigste Grund ist die Fragmentierung unseres Gesundheitswesens mit sehr vielen Akteuren in verschiedenen Versorgungsbereichen, unterschiedlichen Leistungserbringern und eben auch vielen unterschiedlichen Interessen. Dieser werden über einflussreiche Institutionen von Ärztinnen und Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken, Krankenkassen und anderen Beteiligten vertreten– und sind nicht immer deckungsgleich.

Was muss passieren?

Wältermann: Wir brauchen einen zügigen Wandel, insbesondere unserer Haltung zur Digitalisierung im Gesundheitswesens. Wir müssen über Prozesse, Instrumente und Anwendungen reden, die in vielen anderen Lebensbereichen längst Standard sind – bei unseren europäischen Nachbarn auch im Gesundheitsbereich. Durch die jüngste Gesetzgebung sind wir jetzt auf einem guten Weg, weil die politischen Weichen gestellt sind und sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können, weil es nicht im Interesse der Versicherten und unseres Landes ist. Jetzt geht es zum einen um vernünftige Lösungen, denn alle Beteiligten müssen die Digitalisierung als Mehrwert begreifen und im Alltag erleben. Wir müssen die Versorgung individualisieren, leistungsfähiger machen, die Früherkennung von Krankheiten unterstützen und die Verwaltung und Nutzung von persönlichen Daten verbessern. Das geht, auch unter Berücksichtigung des notwendigen Datenschutzes.

Wie stellen Sie sich die digitale Zukunft im Alltag vor?

Wältermann: Wir müssen alle zu smarten Patientinnen und Patienten werden, die ihre eigene Gesundheit im Blick haben. Das allgegenwärtige Smartphone wird ein entscheidender Schlüssel für die Gesundheitsversorgung und die Prävention werden. Wir müssen die Nutzung auf die wesentlichen Anwendungen lenken. Wir erleichtern uns mit Digitalisierung den Alltag und erhöhen unsere Lebensqualität – das muss auch für die Gesundheit gelten. Wir füttern viele Anwendungen längst mit einer Vielzahl persönlicher Daten. Aber bei der eigenen Gesundheit ist häufig Schluss. Dabei gibt es beispielsweise schon eine Vielzahl von Apps, deren Nutzung von den Krankenkassen erstattet wird. Diese Digitalen Gesundheitsanwendungen (Digas) bieten Informationen und Präventionsmaßnahmen, unterstützen bei Training und Ernährung.

Das Herz der Digitalisierung: die elektronische Patientenakte (ePA)

Zwei Drittel der Befragten einer Civey-Umfrage plädieren für die Einführung einer elektronischen Patientenakte.

Die elektronische Patientenakte (ePA) spielt eine Schlüsselrolle bei der Digitalisierung und soll sich zur zentralen Plattform für die Speicherung und den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten entwickeln. Das sogenannte „Digitalgesetz (DigiG)“ wird 2024 das elektronische Rezept (E-Rezept) und 2025 die elektronische Patientenakte (ePA) für Versicherte verbindlich machen. Das DigiG sieht vor, dass jeder gesetzlich Versicherte automatisch eine elektronische Akte erhält, sofern er nicht ausdrücklich widerspricht (Opt-out-Lösung) – eine gesetzliche Regelung, die bei fast zwei Drittel der Befragten einer aktuellen Umfrage des AOK-Bundesverbands aus November 2023 auf Zustimmung stößt.

Krankenkassen angelegt und von den Ärztinnen und Ärzten befüllt.  Die ePA ermöglicht den Versicherten via App jederzeit einen transparenten Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten. Patientinnen und Patienten sowie die an der Behandlung beteiligten Ärztinnen und Ärzte und andere Leistungserbringer können persönliche Gesundheits- und Krankheitsdaten sicher digital hochladen, speichern und teilen. Dazu gehören ein Medikationsplan, ein Notfalldatensatz, das Zahn-Bonusheft, das Untersuchungsheft für Kinder, der Mutterpass, die Impfdokumentation, Verordnungen sowie Krankenkassendaten über in Anspruch genommene Leistungen.

Insbesondere die gesetzlich verankerte Gesundheitsdatennutzung kann die Versorgung der Versicherten deutlich verbessern, da die Krankenkassen die Möglichkeit erhalten, auf Basis von Routinedaten Ansatzpunkte zu finden, um den Gesundheitsschutz und die Versorgung ihrer Versicherten zu optimieren. So könnten die Kassen ihre Versicherten zum Beispiel gezielt auf Impfungen hinweisen oder individuell auf Krebsfrüherkennungen aufmerksam machen. Die Menschen vertrauen ihren Krankenkassen.

Digitalisierung konkret: Aktuelle Modellprojekte

Das Vertrauen in die Krankenkassen beim Umgang mit persönlichen Daten ist groß - aber noch nicht groß genug.

TIMO in Hamburg und Umland

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens kann und wird nicht auf einen Schlag erfolgen. Es braucht Erfahrungen mit der Technik und den Anwendungen, wie sie seit September 2023 in der ersten Modellregion für digitale Gesundheit gesammelt werden: In Hamburg sowie in ländlichen Clustern nördlich und südlich der Elbe werden das E-Rezept, die elektronische Patientenakte sowie weitere digitale Anwendungen in der Versorgung erprobt. Es ist die erste Modellregion dieser Art der gematik, der nationalen Agentur für digitale Medizin, die den Auf- und Ausbau der Telematikinfrastruktur (TI) in Deutschland verantwortet. 

Das Modellprojekt TIMO (Telematikinfrastruktur Modellregion Hamburg & Umgebung) hat das Ziel, mit Beteiligten aus der Medizinbranche anwenderfreundliche und sichere Lösungen für digitale Anwendungen zu finden. Das geschieht innerhalb eines Netzwerks rund um das ÄrzteNetz Hamburg e.V., das neben Arztpraxen, Kliniken und vielen weiteren Einrichtungen des Gesundheitswesens auch Partner aus Industrie, von Verbänden und Versicherungen vereint. Bei der Erprobung der digitalen Gesundheitsanwendungen wird nicht nur die Technik geprüft. Im Mittelpunkt stehen die Kommunikation zwischen allen Beteiligten und die enge Begleitung von Patientinnen und Patienten, die gezielt darüber informiert werden, wie sie zum Beispiel ihre elektronische Patientenakte beantragen und anlegen oder ein E-Rezept mit App oder Gesundheitskarte einlösen. Außerdem soll KIM für den sicheren Datentransfer sektorenübergreifend gestärkt werden, also als Standard-Weg zum Beispiel für den Austausch von Arztbriefen zwischen Haus- und Fachärztinnen und Fachärzten, damit Faxe oder der Postversand der Vergangenheit angehören. Medizinische Informationen können in der Modellregion digital sicher ausgetauscht werden.

Weitere Informationen unter timo-hamburg-umland.de und www.gematik.de

VisitON: Televisite mit ärztlicher Delegationsleistung in stationären Pflegeeinrichtungen
Der Selektivvertrag VisitOn mit elf Pflegeeinrichtungen im Kreis Euskirchen und Kreis Heinsberg (Versorgungsstart 01.06.2023) zielt darauf, häufige Notrufe und unnötige Einweisungen älterer Pflegebedürftiger ins Krankenhaus zu vermeiden. Virtuelle Hausbesuche sollen die Versorgung verbessern und die Pflege zukunftsfähiger machen.

„mentalis“ – digitale Nachsorge für psychisch Kranke
Pilotprojekt vom 01.07.2022 bis 30.06.2024 mit zehn kooperierenden Kliniken zur App-Nutzung bei der Nachsorge bei (teil-) stationären Klinikaufenthalten in Fällen von Alkoholabhängigkeit/Depression/Essstörung/Borderline inklusive telefonischer Coachings durch Psychologinnen und Psychologen. Ziel ist eine Stabilisierung des Therapieerfolgs, der Erhalt des in der Klinik erlernten Wissens und eine strukturierte Unterstützung bei der Rückkehr in den Alltag.