Ab ins Beet!
Wo kommt Gemüse her? Wie wird es angebaut? Diesen Fragen gehen die Kinder an derzeit 58 Schulen in Thüringen und Sachsen nach. Sie nehmen am Präventionsprojekt „GemüseAckerdemie“ teil und merken: Essen anbauen dauert, macht Arbeit – und Spaß. Ein Besuch im Garten des Evangelischen Schulzentrums in Bad Düben.

Pflanzen statt Zocken
Bevor die junge Tomatenpflanze in die Erde kommt, wird das frisch gegrabene Loch in dem kleinen Beet zuerst einmal gut gewässert. Schnell ist klar: Anton und seine Klassenkameraden machen das nicht zum ersten Mal. Die Pflanze stand wohl etwas zu lange in ihrem Topf herum, sie sieht schlapp aus. „Die wird wieder“, sagen die Jungs und drücken die Erde um das Stämmchen fest.
Vor einer halben Stunde war Anton noch mäßig motiviert im Schulfoyer eingetroffen und hatte verkündet, dass er eigentlich lieber zu Hause zocken würde, statt am „Pflanztag“ teilzunehmen. Jetzt hockt sich der Elfjährige auf den Rand eines Hochbeetes und grinst: „Wenn ich erst mal hier bin, ist das anders. Es ist schön, draußen zu sein.“
Kartoffeln wachsen nicht im Supermarkt
Um ihn herum wuseln zwei Dutzend weitere Schülerinnen und Schüler von Klasse fünf bis neun bei strahlendem Sonnenschein zwischen Beeten, Sträuchern und Wasserhahn herum, graben Löchern für noch mehr Tomaten, Salat und Kräuter, und gießen wie die Weltmeister. Es gibt viel zu tun: Hier liegen längst Kartoffeln in der Erde, da steht der Mangold, und direkt am Zaun machen sich der Salat und Kohlrabi prächtig. Die Erdbeeren nehmen langsam Farbe an, und die Zwiebeln gegenüber wachsen kräftig. Eine der nächsten Übungen wird sein, die dicht an dicht stehenden kleinen Möhren zu vereinzeln.
„Es ist absolut wichtig, dass Kinder eigenes Essen anbauen“, sagt Udo Reiss, Lehrer am Evangelischen Schulzentrum in Bad Düben. „Die Kartoffeln kommen nicht einfach aus dem Supermarkt.“ Fehlendes Wissen darüber, wo Lebensmittel herkommen und wie man sie anbaut, schlägt sich bei vielen Kindern in einer ungesunden Ernährung nieder. Auch deshalb leiden immer mehr von ihnen an Übergewicht und Diabetes Typ 2. Hinzu kommt, dass in Deutschland über 30 Prozent aller Lebensmittel im Müll landen.
Erfolgsprojekt seit sieben Jahren
Hier setzt das Präventionsprogramm der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… PLUS und des Vereins Acker e.V. an. Es sieht vor, dass die Schülerinnen und Schüler Ackerflächen bearbeiten und unter pädagogischer Anleitung während eines „Ackerjahres“ eigenständig verschiedene Gemüsearten pflanzen, säen, pflegen und schließlich ernten und verarbeiten. So soll nicht nur das Verständnis für eine gesunde Ernährung, sondern auch ein wertschätzender Umgang mit Lebensmitteln gefördert werden.
Seit 2018 machen die Gesundheitskasse und der bundesweit aktive Verein gemeinsame Sache. Mehr als 15.000 Kinder haben sie mit der „GemüseAckerdemie“ bereits erreicht. In diesem Jahr machen insgesamt 58 Schulen in Thüringen und Sachsen mit, 19 steigen neu in das Programm ein. Sie werden mit allem Notwendigen, darunter Saat- und Pflanzgut, Fachinformationen, Fortbildungen und begleitendem Unterrichtsmaterial, ausgestattet. Nach drei Jahren aktiver Betreuung durch die AOK PLUS und den Acker e.V. führen sie das Projekt eigenständig weiter.
Der Schrebergarten-Jackpot

Die Idee, neben der weiterführenden Schule am Rand der Dübener Heide einen Schulgarten einzurichten, hatten Udo Reiss und seine Kollegin Monique Kühl. Als sie auf die „GemüseAckerdemie“ aufmerksam wurden, fackelten sie deshalb nicht lange und bereiteten die Bewerbung vor. Noch mehr Unterstützung kam aus der unmittelbaren Umgebung: Der benachbarten Schrebergarten-Anlage. Dort standen mehrere Parzellen leer, die Sabine Haffke der Schule zur Pacht anbot.
Gerade steht die engagierte Gärtnerin am Zaun und erörtert mit dem Nachbar die Anordnung der Beerensträucher im noch jungen Schulgarten. Er findet, dass die nicht im optimalen Abstand zueinander eingepflanzt wurden. „Hier sind Kinder, und das ist keine Prüfung“, sagt Frau Haffke. Seit kurzem im Unruhestand, begleitet sie die Schülerinnen und Schüler des Schulzentrums häufig bei ihren Acker-Abenteuern.
Tatsächlich durchziehen den Garten Gelassenheit und eine Schreber-untypische Asymmetrie. Notfalls wird der Johannisbeerstrauch eben wieder versetzt. Die Kinder lernen durch praktisches Tun, viele Arbeiten sind Biologie-, Geografie-, Mathe- und Handwerksunterricht zugleich. „Fächer miteinander verbinden – das ist hier draußen einfacher als im Klassenzimmer“, sagt Udo Reiss. Demnächst soll das Dach der Laube erneuert werden – auch so eine Querschnittsaufgabe.
„GemüseAckerdemie“ zeigt nachweislich Wirkung
Das Bildungsprogramm „GemüseAckerdemie“ wurde erstmals im Jahr 2014 erprobt. Inzwischen setzt es der Acker e.V. in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein – mit der AOK PLUS auch verstärkt in Sachsen und Thüringen. Der Wirkungsbericht belegt: Durch die Teilnahme am Bildungsprogramm steigern Schulkinder ihren Gemüsekonsum, entwickeln mehr Wertschätzung für Lebensmittel und lernen natürliche Kreisläufe und Zusammenhänge verstehen. Außerdem übernehmen sie Verantwortung für ihren Acker und steigern durch den Gemüseanbau ihre Selbstwirksamkeit.
Auch in Bad Düben beginnt die Rechnung bereits aufzugehen: Die Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die sich am Schulgartenprojekt beteiligen, erfährt unaufhaltsam mehr Zulauf.