Anschlussfinanzierung dringend gesucht
Ende 2026 läuft der „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ (ÖGD) aus. Eine Anschlussfinanzierung steht bisher noch aus. Der Berufsverband der Ärztinnen und Ärzte im ÖGD sieht dadurch die erreichten Ziele in Gefahr.

Durch den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD zieht sich ein Dringlichkeitsdreiklang: Neben „Wir werden“-Vorhaben wimmelt es von „Wir wollen“-Anliegen und „Wir prüfen“-Versprechen. Die Zukunft des Paktes für den öffentlichen Gesundheitsdienst hängt an einem Versprechen zwischen den Vertragszeilen 3370 und 3372: „Wir prüfen, wie wir nach dem Ende des Paktes für den öffentlichen Gesundheitsdienst in gemeinsamer Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen den ÖGD weiterhin unterstützen können.“
Zu wenig Personal für neue Aufgaben

Mit diesem Schwebezustand ist Peter Schäfer nicht glücklich. Der Mediziner leitet das Gesundheits- und Jugendamt der Stadt Mannheim und ist seit Mitte April auch Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). „Wenn der Bund sich ab 2027 aus der Finanzierung zurückzieht, droht ein massiver Rückschritt“, warnt Schäfer. „Ohne eine verlässliche Anschlussfinanzierung werden zahlreiche neu geschaffene Stellen wieder wegfallen – und mit ihnen die Menschen, die heute dringend gebraucht werden.“ Es gehe dabei nicht nur um den Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze, sondern auch um zusätzliche personelle Kapazitäten für viele neue Aufgaben der Ämter: bei Hitzeschutz-Maßnahmen, beim Bevölkerungsschutz, bei Prävention und Kindergesundheit oder in der Gesundheitskommunikation. „Diese Aufgaben brauchen qualifiziertes Personal – auf Dauer. Nur so kann der ÖGD flächendeckend arbeitsfähig bleiben“, betont der BVÖGD-Vorsitzende.
Reaktion auf die Pandemie
Der Pakt für den ÖGD ist eine Konsequenz aus der Covid-19-Pandemie. Die Corona-Krise traf die Gesundheitsämter mit voller Wucht: zu wenig Personal und veraltete Kommunikationstechnik. In der ersten Viruswelle im Frühjahr 2020 klappte teilweise nicht einmal die Verbindung zwischen Gesundheitsämtern benachbarter Landkreise. Ausgerechnet das als Symbol des Gestern geschmähte Faxgerät sicherte in vielen Fällen die Kommunikation untereinander und mit Arztpraxen.
Bund und Länder einigten sich noch in der Krise auf ein vier Milliarden Euro schweres Modernisierungspaket für den Zeitraum von 2021 bis 2026: 3,1 Milliarden Euro für mehr Personal und attraktivere Arbeitsstellen und 800 Millionen für die Digitalisierung, davon 80 Prozent für Länder und Kommunen. Hinzu kamen aus anderen Töpfen 24 Millionen für den Auf- und Ausbau des durch das Robert-Koch-Institut (RKI) koordinierten deutschen elektronischen Infektionsschutz-Meldesystems (Demis) sowie 16 Millionen Euro für weitere Stellen bei beteiligten Bundesbehörden und zehn Millionen für Forschung und Evaluierung.
Beim Personalziel über Plansoll
Beim „Personalaufwuchs“ liegt der ÖGD-Pakt bereits über dem Plansoll von 5.000 neuen Stellen. Zwischen Februar 2020 und Ende Dezember 2024 wurden laut Antwort der Bundesregierung auf eine Bundestagsanfrage der Grünen „bundesweit circa 5.210 Vollzeitäquivalente (VZÄ) aus Paktmitteln geschaffen und besetzt und somit das Paktziel übertroffen“.
Rund 90 Prozent der Stellen seien unbefristet besetzt worden „und sollten daher nach Ende der Bundesförderung weiter bestehen“, heißt es in der Antwort von Anfang Juni im Konjunktiv. Wegen der Unklarheit über die Zukunft des Paktes würden in den Kommunen bereits wieder „kreativ Stellen abgewickelt“, sagte Schäfers Vorgängerin an der BVÖGD-Spitze, die Potsdamer Gesundheitsamtsleiterin Kristina Böhm, bereits Anfang dieses Jahres im G+G-Interview.
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes setzte sich das Personal der 380 deutschen Gesundheitsämter zuletzt zu 20 Prozent aus Ärztinnen und Ärzten (einschließlich Zahnärzte), zu 53 Prozent aus anderem Fachpersonal und zu 27 Prozent aus Verwaltungsbeschäftigten zusammen. „Mit den Paktmitteln wurden auch Stellen aufgewertet, damit die Ämter Fachkräfte so bezahlen konnten, dass diese nicht zu Kliniken oder anderen Einrichtungen abgewandert sind“, erläutert Peter Schäfer. „Ohne diese Mittel sind die Ämter als Arbeitgeber oftmals nicht konkurrenzfähig.“
Dauerbaustelle Digitalisierung
Auf der ÖGD-Baustelle Digitalisierung sind die Bundesmittel vor allem in lokale und regionale Modellprojekte geflossen – 488 insgesamt. Trotz deutlicher Fortschritte in den Ämtern habe sich bisher am Flickenteppich kleinteiliger Lösungen wenig geändert, sagte Matthias Herrling vom Gesundheitsamt des Kyffhäuser-Kreises in Thüringen Mitte Juli dem MDR. Seine Kritik: zu viel Projekt-Nebeneinander, kein koordiniertes Miteinander. So pessimistisch sieht es Schäfer nicht. Zwar bleibe „auch die digitale Transformation über das Ende der Paktlaufzeit 2026 eine zentrale Baustelle“. Die Ämter hätten aber „mit Paktmitteln deutliche Verbesserungen erzielt“. Bund und Länder sieht Schäfer auch in diesem Bereich weiter in der Pflicht: „Es ist wichtig, diesbezüglich nicht stehen zu bleiben, sondern die begonnene digitale Transformation mit Blick auf Zukunftstechnologien – zum Beispiel Künstliche Intelligenz – stetig voranzutreiben.“
„Ohne eine verlässliche Anschlussfinanzierung werden zahlreiche neu geschaffene Stellen wieder wegfallen.“
Leiter des Gesundheitsamts der Stadt Mannheim und Vorsitzender des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD)
Sein eigenes Bundesland sieht der Mediziner dabei auf einem guten Weg. Baden-Württemberg habe „von Beginn an einen breiten digitalen Transformationsprozess“ zur Entwicklung einer landesweit einheitlichen Fachanwendung „ÖGDigital“ für die 38 Gesundheitsämter des Landes gestartet. Koordiniert durch das Landesgesundheitsministerium und unter Beteiligung von Landkreis- und Städtetag sei aus 330 Digitalisierungsideen ein aufeinander abgestimmtes Gesamtprojekt mit sechs Bereichen entwickelt worden. „Die ersten Module von ÖGDigital wurden zwischenzeitlich pilotiert und werden in diesen Wochen flächendeckend ausgerollt. Der Rollout aller Module soll bis zum Jahresende 2025 abgeschlossen werden, mit Nacharbeiten im ersten Quartal 2026“, erläutert Schäfer.
Länderübergreifendes Vorgehen
Damit sieht der Amtsleiter den ÖGD in seinem Bundesland krisenresilienter aufgestellt: „In Belastungssituationen ist jederzeit eine gegenseitige Unterstützung möglich, weil die Prozesse zwischen den Gesundheitsämtern harmonisiert und allen Mitarbeitenden im ÖGD vertraut sind.“ An der Fachanwendung ÖGDigital seien inzwischen auch andere Bundesländer interessiert, „so dass diese cloudfähige und skalierbare Fachanwendung künftig bundeslandübergreifend eingesetzt und weiterentwickelt wird“.
Auch Thüringen und Hessen seien dabei, eine an das jeweilige Landesrecht angepasste Fachanwendungen zu entwickeln, berichtet Schäfer. Das Land Sachsen modernisiere derzeit seine vorhandene Fachanwendung. An landesweit einsetzbaren Digitalanwendungen für seine Gesundheitsämter arbeitet aktuell auch Nordrhein-Westfalen. Das stimmt den BVÖGD-Vorsitzenden vorsichtig optimistisch: „Vor diesem Hintergrund deutet die Entwicklung auf Bundesebene tatsächlich auf eine stärker harmonisierte Fachanwendungslandschaft hin.“
Als gelungenes Beispiel für länderübergreifende Zusammenarbeit nennt der Mannheimer Amtsleiter ein Projekt für einheitliche Trinkwasser-Daten (SHAPTH) unter Federführung Bayerns. Alle 16 Bundesländer haben sich darauf verständigt, die jeweiligen Untersuchungs-, Versorgungs- und Überwachungsdaten für alle auswertbar zu vereinheitlichen. Die Projektphase endete im März. Alle Beteiligten wollen weitermachen. Klingt selbstverständlich, ist aber angesichts der über Jahrzehnte gewachsenen und gehegten föderalen Strukturen immer noch nicht der Normalfall.
Mitwirkende des Beitrags

Autor
Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.