KI entlastet Ärzte bei der Gesprächsdokumentation
Weniger Tippen, mehr Zeit für den Patienten: Eine getestete KI-Lösung nimmt Arzt- und Patienten-Gespräche auf, erstellt strukturierte Aufzeichnungen und entlastet die ärztliche Dokumentationsarbeit.
Digitale Assistenzsysteme halten zunehmend Einzug in den Klinikalltag. Die Versprechen sind groß: Künstliche KI-Lösungen sollen Ärztinnen und Ärzte von Papierkram entlasten.
Die Charité – Universitätsmedizin Berlin hat gemeinsam mit vier weiteren Kliniken das KI-System „Dragon Copilot“ von Microsoft im Klinikalltag erprobt– mit positiver Bilanz. Die Pilotphase diente dazu, die Praxistauglichkeit des Systems zu bewerten. Das Tool erfasst per KI-Anwendung Patientengespräche und erstellt strukturierte Notizen, die Ärzte nur noch prüfen müssen. Ziel war es, den Dokumentationsaufwand zu reduzieren. Neben der Charité beteiligten sich das Universitätsklinikum Mannheim, die Kliniken Stuttgart und Region Hannover sowie das BG Klinikum Bergmannstrost Halle teil. Nach erfolgreicher Testphase ist die Anwendung seit Oktober in deutschen Kliniken und Praxen verfügbar.
Wie KI die Arzt- und Patientenkommunikation optimiert
Sechs Monate lang testeten etwa 70 Mediziner verschiedener Fachrichtungen das KI-Tool im Klinikalltag, prüften es auf Herz und Nieren und gaben Feedback für die Weiterentwicklung. Insgesamt wurden mehrere tausend Patientengespräche aufgezeichnet und bewertet. Eingesetzt wurde es in der Notaufnahme und in ambulanten Bereichen.
Jeder Arzt führt täglich viele Gespräche mit Patientinnen und Patienten oder ihren Angehörigen. Alle medizinisch relevanten Informationen müssen anschließend dokumentiert werden. Üblicherweise hat der gesprächsführende Arzt seinen Blick meist auf den Computerbildschirm gerichtet und schreibt mit. Patienten fühlen sich dann oft weniger wahrgenommen. Das erschwert einen zugewandten, vertrauensvollen Austausch.
„In der Ambulanz hat jeder Arzt ungefähr 15 Patienten am Tag mit etwa 15 bis 30 Minuten Gesprächszeit pro Patienten. Die Gesprächsdokumentationen können realistischerweise immer nur an dem Tag zwischen den medizinischen Einsätzen eingetippt werden oder von einer zweiten Person, wenn es eine im Dienst dafür gibt. Oftmals müssen die Arztbriefe abends verfasst werden“, sagte Alexander Meyer, Professor am Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM) an der Charité, anlässlich der Pressekonferenz im Oktober 2025.
„Unsere Auswertungen zeigen, dass sich der Dokumentationsaufwand mit dieser Technologie deutlich reduziert hat.“
„Dragon Copilot Ambiance“ ändert das: Es zeichnet per Raummikrofon oder Smartphone die Arzt-Patienten-Gespräche auf und erstellt in Echtzeit strukturierte Dokumentationen nach Anamnese, Diagnose und Therapie. In der Anwendung kommen die bewährte Spracherkennung und Diktierfunktion sowie sogenannte Ambient-Listening-Fähigkeiten zum Einsatz. Der Arzt prüft nach seinem Gespräch die KI-Dokumentation, ergänzt eventuell und überträgt sie in die Patientenakte. Erfasst werden Gespräche nur mit Einwilligung der Patienten. Die Anwendung erfüllt die Anforderungen der Deutschen Datenschutz Grundverordnung (DSGVO) und entspricht den EU-Vorgaben (AI Act).
Den Zuschlag für die Microsoft-Lösung hat es nach Auffassung von Meyer gegeben, weil die zuverlässige Unterstützung während der Testphase gesichert war. Bekannte KI-Probleme wie Halluzinationen oder etwa das fehlerhafte Erkennen von Konjunktivformen müssten von der KI erst einmal gelernt werden. Auch die Ärzte müssten lernen, die Gespräche für die KI etwas anders zu führen, damit die Aufzeichnungen verwertbar seien, erläuterte der Mediziner. Vor der Einführung seien die technischen Voraussetzungen wie stabiles WLAN und geeignete Mikrofone und Endgeräte entscheidend. Ebenso wichtig sei die Schulung und Akzeptanz des Personals, damit die Anwendung im Alltag genutzt werde.
„Unsere Auswertungen zeigen, dass sich der Dokumentationsaufwand mit dieser Technologie deutlich reduziert hat. Unsere Ärzte haben so nachweislich mehr Zeit für ein fokussiertes Gespräch mit ihren Patienten. Auch das Feedback der Patienten war durchweg positiv“, so Meyer. Die anderen teilnehmenden Kliniken bescheinigten dem Tool ebenso gute Zeugnisse.
Auswertungen aus den USA aus dem Jahr 2024 zum Einsatz von KI-Technologien wie Copilot im Klinikalltag kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie in Deutschland: Ärzte hatten im Schnitt fünf Minuten mehr Zeit pro Patient, 70 Prozent fühlten sich weniger ausgebrannt und 93 Prozent der Patienten bewerteten die Gespräche als „insgesamt besser“.
KI hilft beim Verstehen
Das Universitätsklinikum Dresden prüft derzeit ein Übersetzungssystem, das medizinische Befunde und Arztbriefe mit KI automatisch in leicht verständliche Alltagssprache übersetzt, ohne dabei Inhalte zu verfälschen. Ziel ist es, Patienten besser in ihre Behandlung einzubinden und Missverständnisse zu vermeiden. Entwickelt wurde die Lösung gemeinsam mit dem Start-up Simply Onno, das hierfür einen Webservice in zwei wissenschaftlichen Studien zu je 300 Teilnehmern testet. Während Elida Hasani in ihrer Studie AI-Infocare untersucht, wie sich die KI-gestützte Übersetzung in der ambulanten neurochirurgischen Sprechstunde auswirkt, prüft Dr. Sven Richter im Projekt AI-Meditalk den Effekt bei stationären Patienten nach der OP und vor der Entlassung.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) förderte von 2020 bis 2023 unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für offene Kommunikationssysteme (Fokus) mit dem Projekt „Hykist“ eine hybride KI-gestützte Übersetzungs- und Dolmetscher-Anwendung für die Arzt-Patienten-Kommunikation in der Notaufnahme. Ziel war es, die Verständigung zwischen dem Arzt und den Patienten mit Migrationshintergrund zu verbessern. Denn Sprachbarrieren erschweren die medizinische Behandlung, erhöhen das Behandlungsrisiko und können auch zu Aggressionen gegen medizinisches Personal führen. Entwickelt wurde ein Prototyp, der per Smartphone den Dolmetscher in der Übersetzung vor allem medizinischer Fachinhalte während des Gespräches unterstützt. Folgeanträge zur weiteren Ausreifung von Hykist wurden bislang nicht bewilligt – Gespräche mit potenziellen Anwendern dauern an.
Neben kliniknahen KI-Einsetzen zur Erleichterung der Dokumentationslast und zu einer besseren Verständigung werden in der Versorgungspraxis weitere digitale oder KI-Ansätze getestet und genutzt, in der Pflege etwa „Voize“, eine Sprachassistenz per Smartphone zur Pflegedokumentation. Vorrangiges Ziel: die Dokumentation direkt am Bett mit nachweisbarer Zeitersparnis pro Schicht. Diese Anwendung wird von der „Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin“ wissenschaftlich begleitet. In Arztpraxen sind zum Beispiel „Noah Notes“ als KI-Assistenz für Gesprächsnotizen oder „Idana“ mit einer vom Patienten vor dem Termin vorgelagerten digitalen Anamnese im Einsatz. Diese Tools dienen vor allem der Dokumentations- und Ablaufentlastung.
Der OECD Report „Health at a Glance“ aus dem Jahr 2024 unterstreicht den gesundheitspolitischen Handlungsbedarf: Ein sich verschärfender Personalmangel, sei es aus Gründen des demografischen Wandels, belastenden Arbeitsbedingungen oder hoher Personalfluktuation, drängt zum Handeln.
Der Markt für KI-gestützte Dokumentation und Assistenzsysteme in der Gesundheitsversorgung wächst derzeit rasant und ist stark fragmentiert. Zwar existieren zahlreiche Start-ups und Pilotprojekte, doch eine flächendeckend Ende Integration in die Routineversorgung steht bislang noch aus. Für KI-Experte Meyer ist klar: „Nach unseren Erfahrungen haben solche Tools das Potenzial, ein Game-Changer für diesen Bereich zu werden. Richtig eingesetzt, können sie den Zeitaufwand bei der ärztlichen Dokumentation erheblich verringern.“
Mitwirkende des Beitrags

Autorin


Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.