Breite Kritik an Pflegereform-Absage Lauterbachs
Die Absage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an eine zügige Reform der finanziell angeschlagenen Pflegeversicherung stößt auf scharfe Kritik. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) drängte angesichts der prekären Lage der Pflegekassen zum Handeln. „Nur durch eine zukunftsfähige Pflegereform kann der Kollaps abgewendet werden“, sagte Verbandschefin Michaela Engelmeier der „Augsburger Allgemeinen“. Der Landesvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek) in Nordrhein-Westfalen, Dirk Ruiss, nannte Lauterbachs Absage „mehr als enttäuschend“. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte die „Verzögerung“. Gleichzeitig warnten die Pflegekassen vor neuen Beitragssatzsteigerungen Anfang 2025.
„Die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit des Gesamtsystems macht nach aktueller Datenlage
eine Beitragssatzanhebung voraussichtlich schon zu Beginn des Jahres 2025 erforderlich“, sagte Vdek-Landeschef Ruiss der „Rheinischen Post“. Er forderte, die privaten Versicherer in die Pflicht zu nehmen. Ein Finanzausgleich an die soziale Pflegeversicherung könnte zu einer Entlastung von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich führen. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel erklärte, die Lösung sei eine Pflegekasse für alle, die von allen gemeinsam finanziert werde. Lauterbach sieht nach eigenen Worten für eine Pflegefinanzreform kaum mehr eine Chance. Dazu seien die Positionen in der Ampel zu unterschiedlich und die Zeit bis zur Bundestagswahl sei zu knapp. Die Union sprach von einer „Bankrotterklärung“ der Regierung in der Pflegepolitik.
Auf Widerspruch stieß zudem Lauterbachs Aussage, die starke Zunahme der Zahl der Pflegebedürftigen im vergangenen Jahr sei „explosionsartig“ und „überraschend“ gekommen. „Die gegenwärtige Entwicklung bei der Zahl der Pflegebedürftigen weicht nicht deutlich von den zu erwartenden demografischen Effekten ab“, sagte der Bremer Pflegewissenschaftler Heinz Rothgang dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND). Sollte Lauterbach tatsächlich für 2023 nur mit einem Zuwachs von 50.000 Pflegebedürftigen gerechnet haben, dann habe der SPD-Politiker bisher mit einem „äußerst unwahrscheinlichen Szenario“ gearbeitet.
Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) trat Lauterbachs Darstellung entgegen. Seit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs 2017 steige die Anzahl der Pflegebedürftigen jedes Jahr im Durchschnitt um rund 326.000. Im vergangenen Jahr sei der Zuwachs mit 361.000 Pflegebedürftigen „überdurchschnittlich“ ausgefallen. „Vorsicht: Die Anzahl der Pflegebedürftigen hat sich nicht von 50.000 auf 360.000 plötzlich versiebenfacht“, schreibt auch der Mediziner Cihan Çelik auf „X“. Es gebe aktuell einen starken Anstieg, aber „keine Explosion“. (at)
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