Krank zur Arbeit birgt Gefahren – Firmenkultur spielt wichtige Rolle
Viele Deutsche schleppen sich krank zur Arbeit, wie Umfragen zeigen. Das Phänomen nennt sich Präsentismus. Die Gründe, warum Menschen ihrem Job nachgehen, obwohl sie ins Bett oder aufs Sofa gehören, sind vielfältig. Durch das Homeoffice nimmt der Druck auf die Beschäftigten zu.

In einer im Frühjahr veröffentlichten Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) für das Jahr 2024 gaben 63 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an, auch gearbeitet zu haben, obwohl sie sich „richtig krank“ fühlten. 44 Prozent arbeiteten länger als eine Woche trotz Erkrankung. Bei rund einem Fünftel war es weniger als eine Woche. Frauen neigen häufiger zu Präsentismus als Männer. 67 Prozent der weiblichen Beschäftigten waren im vergangenen Jahr gesundheitlich angeschlagen im Job, von den Männern 59 Prozent.
Schon vor der Corona-Pandemie hätten regelmäßig zwei Drittel der Befragten angegeben, auch krank zu arbeiten, berichtet Rolf Schmucker, der beim DGB-Bundesvorstand das Institut für den DGB-Index Gute Arbeit leitet. Während der Pandemie seien in den Jahren 2020 und 2021 die Zahlen deutlich zurückgegangen. Jetzt sind sie wieder auf dem Vorkrisenniveau angekommen. „Während der Pandemie gab es eine ganz andere Aufmerksamkeit für das Thema. Das hat sich leider nicht gehalten“, bedauert Schmucker.
Negative Folgen
Präsentismus kann negative Folgen haben. „Eine akute Infektion oder eine andere Erkrankung nicht auszukurieren, birgt immer die Gefahr einer Verschleppung oder sogar Verschlimmerung der Krankheitssymptome bis hin zu einer Chronifizierung“, warnt Psychologin Patricia Lück vom AOK-Bundesverband. Die Ausfallzeiten könnten dann noch länger werden. Außerdem bestehe die Gefahr, Kolleginnen und Kollegen anzustecken.
Eine Schrift der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) verweist zudem darauf, dass Präsentismus für die Unternehmen betriebswirtschaftliche Nachteile hat. Denn bei einer beeinträchtigten physischen oder psychischen Gesundheit, sind Beschäftigte weniger leistungsfähig, machen mehr Fehler und erleiden oder verursachen unter Umständen mehr Unfälle. Zudem sind sie eher emotional labil, was zu Teamkonflikten führen kann.
Gründe sind vielfältig und individuell
Die Gründe für das Arbeiten trotz Krankheit sind laut Lück „so vielfältig wie individuell“. Oft gebe es dringende Terminvorgaben oder es müssten wichtige Aufgaben erledigt werden. Außerdem existierten in vielen Unternehmen keine oder unzureichende Stellvertretungsregelungen. Viele wollen Kolleginnen und Kollegen nicht durch ihren Ausfall belasten, da diese nicht selten ihre Tätigkeiten übernehmen müssen. „Aber auch Angst vor Arbeitsplatzverlust kann ein Grund sein, krank zur Arbeit zu gehen.“ Studien haben gezeigt, dass ein niedriger allgemeiner Krankenstand mit einer hohen Arbeitslosenquote korreliert.
Schmucker zufolge gibt es starke Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastung und Präsentismus. „Je größer die Belastung, desto eher wird krank gearbeitet.“ Das geschehe aus dem Druck heraus „Es ist schon so viel Arbeit, wenn ich ausfalle, wird der Stapel noch höher“.
Die Bereitschaft zum Weiterarbeiten bei Krankheit steigt Untersuchungen zufolge zudem mit dem beruflichen Status. Ein hohes Engagement für die eigenen Aufgaben spielt ebenfalls eine Rolle. Eine WIdO-Befragung 2018 hat darüber hinaus gezeigt, dass Menschen, die ihre Arbeit als sinnstiftend empfinden, seltener krank zur Arbeit gehen.
„Je größer die Belastung, desto eher wird krank gearbeitet.“
Leiter des Instituts für den DGB-Index Gute Arbeit beim DGB-Bundesvorstand
Krank im Homeoffice
Immer häufiger wird bei Krankheit die Arbeit ins Homeoffice verlegt. Das reduziert zumindest die Gefahr der Ansteckung anderer Personen. „Trotzdem ist die Leistungsfähigkeit eingeschränkt und dem Ruhe- und Erholungsbedarf bei Krankheit wird nicht Rechnung getragen“, warnt Lück. Die Beschäftigten sparten sich dann meist auch den Gang zum Arzt. Durch die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten, steigt laut Lück der Druck, sich zusammenzuraufen und krank dem Job nachzugehen. Der Rechtfertigungsdruck, nicht wenigstens von zu Hause tätig zu sein, nehme offenkundig zu. Allerdings sei dieser Aspekt bislang noch nicht gut erforscht. Regelungen, für eine Zeit eingeschränkt zu arbeiten, gebe es in den seltensten Fällen. „Meist heißt es: ganz oder gar nicht. Da quälen sich dann viele trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit lieber durch den Arbeitsalltag.“
Gesundheitsgerechte Firmenkultur
Entscheidend ist laut der Expertin, die jeweilige Führungskraft als Vorbild und wie auf die Erkrankung reagiert wird. „Wird Rücksicht genommen, werden die dringenden Aufgaben verteilt und Verständnis geäußert, dass man nur gesund ausreichend leistungsfähig ist?“ Nach Ansicht der Psychologin sollten Chefs die negativen Auswirkungen von Präsentismus kennen und darauf hinweisen. Hilfreich sei eine respektierende, wertschätzende Unternehmenskultur. „Präsentismus sinkt, wenn Beschäftigte keine negativen Konsequenzen fürchten müssen, unter gesunden Rahmenbedingungen arbeiten können und in ihrem gesunden Verhalten unterstützt werden.“ Beim Aufbau einer solchen gesundheitsgerechten Unternehmenskultur sollten Beschäftigte sowie Personal- und Betriebsräte beteiligt werden. Fachkräfte für Betriebliche Gesundheitsförderung der AOK unterstützen Firmen dabei.
Der DGB sieht durch die jüngsten Zahlen seines Index „Gute Arbeit“ Stimmen aus der Politik entkräftet, die behaupten, die Deutschen arbeiteten nicht genug oder meldeten sich zu häufig krank. Das Gegenteil sei der Fall, so Schmucker. Der Gewerkschafter warnt zugleich vor einer Fortführung der Debatte über die Einführung von Karenztagen, bei denen der Lohn zu Beginn einer krankheitsbedingten Ausfallzeit nicht gezahlt wird. „Hier handelt es sich um keine gute Idee, wenn man an einer Reduzierung von Präsentismus interessiert ist.“
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