Artikel Prävention

Herausforderung Digitalisierung: Neue EU-Kampagne für gesunde Arbeitsplätze

07.02.2024 Irja Most 5 Min. Lesedauer

Der technologische Fortschritt stellt die Arbeitswelt und ihre Beschäftigten vor immer neue Herausforderungen. Mit der aktuellen mehrjährigen Kampagne „Sicher und gesund arbeiten in Zeiten der Digitalisierung“ will die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz darauf aufmerksam machen. In diesem Monat startet der erste von insgesamt fünf Schwerpunkten.

Eine Frau sitzt am Schreibtisch und arbeitet an einem Laptop.
Digitale Plattformarbeit hat sehr unterschiedliche Ausprägungen. Fehlende Regeln können sich negativ auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken.

Ob Pflegekraft, Lieferdienst oder Grafik-Designerin: Die Arbeit auf digitalen Plattformen stellt den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vor neuen Herausforderungen. Mit der aktuellen mehrjährigen Kampagne „Sicher und gesund arbeiten in Zeiten der Digitalisierung“ will die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) darauf aufmerksam machen. Ziel sei es, das Bewusstsein für die Auswirkungen neuer digitaler Technologien auf Arbeit und Arbeitsplätze zu schärfen und die damit verbundenen Risiken und Chancen im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu thematisieren.

Politik, Plattformen und Gewerkschaften gemeinsam gefragt

Die Arbeit auf digitalen Plattformen mit Start im Februar ist der erste von fünf Schwerpunkten der bis 2025 währenden Aktion. Hintergrund für den gewählten Fokus ist, dass Arbeit auf digitalen Plattformen rasant in der EU wächst und neue Möglichkeiten schafft für Arbeitnehmende und Unternehmen. Für einige Arbeitnehmergruppen könne diese Form eine zusätzliche oder alternative Einkommensquelle sowie eine Chance für den Einstieg in den Arbeitsmarkt darstellen: Beispielsweise für Menschen, die möglicherweise größere Schwierigkeiten beim Zugang zum traditionellen Arbeitsmarkt haben.

Die neuen Potenziale seien jedoch mit Problemen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz verbunden, deren Vermeidung und Bewältigung eine komplexe Aufgabe sein könne. „Um diese Herausforderung zu bewältigen, müssen sich politische Entscheidungsträger, Plattformen, Gewerkschaften und Arbeitnehmer gemeinsam für eine Einführung und Verbesserung von Initiativen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit einsetzen“, unterstreicht die EU-OSHA.

EU-Richtlinie zur Regulierung geplant

Um die Arbeit auf digitalen Plattformen zu regulieren, ist auf EU-Ebene eine Richtlinie geplant. „Die Europäische Kommission begrüßt die am 13. Dezember 2023 zwischen dem Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten erzielte politische Einigung über die von der Kommission im Dezember 2021 vorgeschlagene Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“, heißt es aus der Pressestelle in Brüssel auf G+G-Nachfrage.

Doch noch steht die förmliche Genehmigung durch die beiden gesetzgebenden Organe aus. Denn bisher konnten sich laut Medienberichten die Mitgliedsstaaten nicht einigen. Am 8. Februar soll demnach in einer weiteren Trilogsitzung eine überarbeitete Version der Richtlinie Thema sein, so dass am Tag danach eine endgültige Abstimmung erfolgen könnte. Die EU-Kommission sei weiterhin grundsätzlich von den Vorteilen der Richtlinie für Betroffene und Wirtschaft überzeugt. „Nun sind weitere Schritte erforderlich, um den Anliegen aller beteiligten Akteure Rechnung zu tragen“, teilt die Pressestelle weiter mit.

„Schwammige“ Definition und unterschiedliche Arbeitsbedingungen

Die grundsätzlichen Schwierigkeiten, der digitalen Plattformarbeit mit strukturellen Lösungen zu begegnen, ergeben sich bereits aus einer fehlenden singulären Definition in der Forschungsliteratur, wirft Experte Michael Niehaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus deutscher Perspektive einen Blick auf die Problematik. Denn es gebe eine Vielzahl unterschiedlicher Formen von Plattformarbeit, denen „allen gemeinsam ist, dass Arbeit über Plattformen vermittelt wird. Wie diese Arbeit im Einzelnen aussieht und wie die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten sind, kann vollkommen unterschiedlich sein“, erläutert Niehaus.

Allgemein betrachtet, sei digitale Plattformarbeit jede bezahlte Arbeit, die über, auf oder durch Vermittlung einer Online-Plattform erbracht wird; ein digitaler Marktplatz ermöglicht den Abgleich von Angebot und Nachfrage für die Ausführung von Tätigkeiten. Dieses Konzept umfasse Arbeiten, die vollständig online oder vor Ort ausgeübt werden können. Aufgrund einer solch „schwammigen“ und offenen Definition „gibt es auch keine verlässlichen Zahlen zur Verbreitung von Plattformarbeit“ für Deutschland, so Niehaus. Der EU-Rat gibt für den europäischen Raum mehr als 28 Millionen an mit einer Wachstumsperspektive auf 43 Millionen bis 2025 ohne auf eine genaue Verteilung einzugehen.

Beschäftigungsstatus von zentraler Bedeutung

So unterschiedlich die Modelle seien, „so unterschiedlich sind auch die Arbeitsbedingungen und damit die möglichen Risiken für die Gesundheit der Beschäftigten“, führt der Experte weiter aus. Wichtig sei dabei vor allem der Status der Betroffenen: angestellt oder selbstständig. Denn für Angestellte gelten die gleichen hohen Arbeitsschutzstandards wie für jede andere Arbeit auch. Hier sei der Arbeitgeber für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen in der Pflicht. Ein Großteil der Beschäftigten arbeite hingegen selbstständig. „Wobei bei vielen Fällen von einer Scheinselbständigkeit ausgegangen werden muss“, sagt Niehaus. Da Selbstständige für ihre Gesundheit selbst verantwortlich sind, bestehe hier ein Risiko, dass beispielsweise Ruhezeiten bei Auslieferungsfahrern nicht eingehalten würden. Zentral bei den gesundheitlichen Risiken sei somit der Beschäftigungsstatus.

Digitale Plattformarbeit kann mit Arbeitsplatz- und Einkommensunsicherheit verbunden sein, da die Beschäftigten oft nur wenig oder gar keine Kontrolle oder Verhandlungsmacht darüber haben, wie viel sie arbeiten und pro Aufgabe verdienen können. Bei Arbeitsplatz- und Einkommensunsicherheit handelt es sich um anerkannte psychosoziale Risikofaktoren im Zusammenhang mit Arbeit, erklärt der Experte. Ein weiteres besonderes Risiko liege im Phänomen des sogenannten Gig-Working. Hierbei werden Dienstleistungen für einen Kunden oftmals nur einmalig erbracht – so könnten sich keine Routinen ausbilden und es bestehe ein erhöhtes Unfallrisiko.

Die fünf Schwerpunktbereiche im Überblick

Ab Februar 2024:
Arbeit auf digitalen Plattformen

"Bietet Beschäftigten Möglichkeiten, sofern die Herausforderungen durch die Förderung der Transparenz von Algorithmen und einer korrekten Einstufung der Beschäftigten bewältigt werden."

Ab Juni 2024:
Automatisierung von Aufgaben

"Wo KI-basierte Systeme zur Automatisierung von Aufgaben, kollaborative Roboter und damit verbundene Technologien eingesetzt werden, sollte der Mensch die Kontrolle haben."

Ab Oktober 2024:
Mobiles und hybrides Arbeiten

"Klare Strategien, Gefährdungsbeurteilung und Präventivmaßnahmen können außerhalb der Räumlichkeiten des Arbeitgebers ein gesundes und sicheres Arbeitsumfeld schaffen."

Ab Februar 2025:
Management von Beschäftigten mithilfe künstlicher Intelligenz (KI)

"Unterstützung eines auf den Menschen ausgerichteten, transparenten, gesunden und sicheren Ansatzes, der auf der Beteiligung, der Konsultation und dem Vertrauen der Beschäftigten beruht."

Ab Juni 2025:
Intelligente digitale Systeme

"Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, wenn sie auf transparente, vertrauenswürdige, befähigende und verständliche Weise erfolgt."

Quelle: EU-OSHA

Mitwirkende des Beitrags

Irja Most

Autorin