Artikel Prävention

Parkinson durch Pestizide als Berufskrankheit – Viele Risikofaktoren für das Leiden

23.04.2024 Thorsten Severin 5 Min. Lesedauer

Parkinson, das durch Pestizide ausgelöst wurde, wird jetzt als Berufskrankheit anerkannt. Mediziner und Gewerkschaften begrüßen den Schritt. Insgesamt gibt es viele Risikofaktoren für das neurodegenerative Leiden, bei denen sich präventiv ansetzen lässt.

Foto: Ein Mann ohne Schutzkleidung versprüht Pestizide auf einer Wiese.
Wenn Menschen Pestiziden dauerhaft ausgesetzt sind, kann das zu Parkinson führen.

Die Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesarbeitsministerium wirkte wie eine Art Befreiungsschlag. Denn die Aufnahme des „Parkinson-Syndroms durch Pestizide“ in die Berufskrankheitenverordnung ist eine langjährige Forderung der Gewerkschaften und anderer Fachverbände. Der Expertenempfehlung ging ein intensiver Beratungsprozess voraus, in dessen Verlauf internationale wissenschaftliche Studien ausgewertet wurden.

Die Empfehlung wurde unlängst im Ministerialblatt veröffentlicht. Auch wenn die konkrete Aufnahme in die Berufskrankheitenverordnung damit noch nicht erfolgt sei, könne die Erkrankung bereits als sogenannte „Wie-Berufskrankheit“ anerkannt werden, betont eine Ministeriums-Sprecherin. Der Leistungsumfang sei derselbe wie bei einer Berufskrankheit.

Betroffene brauchen medizinische, psychische und finanzielle Hilfe

Eine Anerkennung als Berufsleiden kommt bei Personen in Betracht, die Herbizide, Fungizide oder Insektizide „langjährig und häufig im beruflichen Kontext selbst angewendet haben“. Betroffen sind vor allem Beschäftigte landwirtschaftlicher Betriebe. Laut der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt gibt es sehr viele Betroffene, „denen man unbedingt medizinisch, psychisch und auch finanziell helfen muss“. Mit der Empfehlung der Sachverständigen verfügen Unfallversicherungsträger und Gutachter ab sofort über eine einheitliche und aktuelle wissenschaftliche Grundlage für die Prüfung entsprechender Fälle.

„Diese Empfehlung ist sinnvoll und sogar überfällig, da wir schon lange von einem Zusammenhang zwischen der Anwendung von Pestiziden und der Entstehung von Parkinson wissen“, sagt die Kieler Professorin Daniela Berg, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), zu G+G. Für eine Reihe von Pestiziden sei eine direkte toxische Wirkung auf Nervenzellen bekannt. Darüber hinaus würden aber auch Stoffwechselvorgänge verändert und Mechanismen induziert, die über die direkte giftige Wirkung hinaus zur Krankheitsentstehung beitrügen, beschreibt die Direktorin der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Dazu gehörten etwa die Störung des Energieapparates der Zellen oder die Bildung „freier Radikale“.

Viele Fachfragen noch ungeklärt

Die bisherigen Erkenntnisse dürfen nach Ansicht Bergs allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vieles noch unbekannt sei. So sei etwa noch nicht geklärt, aufgrund welcher genetischer Konstellationen manche Menschen prädisponierter seien als andere, nach dem Umgang mit Pestiziden Parkinson zu entwickeln. Ebenso gibt es laut Berg eine Reihe erster Hinweise, dass nicht nur die direkte Einwirkung von Pestiziden auf Nervenzellen und deren Stoffwechsel eine Rolle spielten, sondern auch indirekte Wirkungen, beispielsweise über die Besiedlung des Magen-Darm-Traktes durch Mikroorganismen.

Als Pestizide werden viele unterschiedliche Stoffe und Stoffkombinationen bezeichnet. Sie sind giftig für Pflanzen (Herbizide), Insekten (Insektizide) oder Pilze (Fungizide). Unter anderem in Frankreich und Italien ist das durch Pestizide erworbene Parkinson-Syndrom schon seit längerem als Berufsleiden anerkannt.

Allen, die mit Pestiziden hantieren, raten Berg und die IG Bauen-Agrar-Umwelt, Schutzkleidung zu tragen. Dazu gehörten Handschuhe und festes Schuhwerk, aber auch Ganzkörper-Schutzanzüge. Es sollten zudem hinreichend schützende Kabinenfahrzeuge und auch Atemmasken verwendet werden. „Am besten wäre natürlich, die Nutzung von Pestiziden würde massiv reduziert beziehungsweise gar nicht mehr erfolgen“, gibt Neurologin Berg zu bedenken. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG), Professor Joseph Claßen, betont: „Der Zusammenhang zwischen individueller hoher Pestizidbelastung und der Entstehung von Parkinson legt nahe, sich beim Einsatz von Pestiziden insgesamt ihrer Gefahren viel stärker bewusst zu werden, ihren Einsatz auch unter dem Aspekt des Schutzes vor neurodegenerativen Erkrankungen auf das Notwendigste zu beschränken, und nach für Mensch und Natur unschädlichen Ersatzstoffen verstärkt zu suchen.“

Alter ist größter Risikofaktor für Parkinson

Schätzungen zufolge sind in Deutschland rund 400.000 Menschen an Parkinson erkrankt. „Das Alter ist der stärkste Risikofaktor für eine Parkinsonerkrankung“, erläutert Berg. Dazu könne ein erhöhtes genetisches Risiko treten. „Hinzu kommen dann Umweltfaktoren und Lebensstilfaktoren in Interaktion mit dem individuellen menschlichen Körper.“ Einen Schutz vor neurodegenerativen Erkrankungen biete beispielsweise eine Ernährung, die reich an Vitaminen, Polyphenolen, Antioxidantien und Ballaststoffen sei mit viel Gemüse, Beeren, Hülsenfrüchten, Vollkorn und Fisch. Stark bearbeitete Nahrungsmittel, die oft auch noch sehr zuckerreich seien, sollten ebenso vermieden werden wie eine fleischlastige Ernährung, empfiehlt die Professorin. Es sei außerdem erwiesen, dass ausreichend sportliche Aktivität im mittleren Erwachsenenalter das Parkinsonrisiko um bis zu 40 Prozent senken könne. Und nicht zuletzt werde bei vielen Umweltbelastungen – zum Beispiel Feinstaub – ein Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen vermutet.

Experten fordern Handeln der Politik

Zu erwarten sei eine deutliche Zunahme von Parkinsonkranken weltweit. „Wir müssen daher alles tun, die Risikofaktoren, die wir beeinflussen können, anzugehen.“ Hier sieht Berg nicht zuletzt eine Aufgabe der Politik. „Es ist sehr bedenklich, dass Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte teurer sind als hochprozessierte Lebensmittel inklusive Softdrinks.“ Viele Menschen könnten sich dadurch eine gesunde Ernährung weniger oder gar nicht leisten. „Für Bildungsmaßnahmen bezüglich eines gesunden Lebensstils und die Umsetzbarkeit dessen für die ganze Bevölkerung sollte die Politik klare Rahmenbedingungen setzen“, fordert Berg.

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