Alterszahnheilkunde: Gewinn für Gesundheit und Lebensqualität
In der zahnärztlichen Versorgung von pflegebedürftigen Menschen gibt es erheblichen Nachholbedarf, sagt Frank Hummel. Der Zahnarzt aus München betreut seit mehr als 30 Jahren mit seinem Praxisteam Menschen in Pflegeeinrichtungen und im häuslichen Umfeld. Kooperationsverträge mit den Krankenkassen ermöglichen die Finanzierung der Leistungen.


Wie wirkt sich die Zahngesundheit auf die allgemeine Gesundheit von pflegebedürftigen Menschen aus?
Dr. Frank Hummel: Die Mundhöhle ist Haupteintrittspforte für Keime in den Körper. Wenn jemand pflegebedürftig und bettlägerig ist, werden die Lungen schlecht belüftet. Bei unzureichender Mundhygiene atmet der Bettlägerige mit jedem Atemzug Keime ein. Dadurch erhöht sich das Risiko für Lungenentzündungen. Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden durch eine schlechte Mundgesundheit begünstigt. Wenn das Zahnfleisch entzündet ist, also eine Parodontitis vorliegt, ist das wie eine handtellergroße Wunde, über die Keime in den Körper gelangen und Lungenentzündungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen. Bei Menschen mit chronischer Parodontitis ist das Risiko für Diabetes Typ 2 erhöht. Parodontitis tritt bei Pflegebedürftigen relativ häufig auf, da sie ihre Zähne nicht mehr so gut selbst putzen können. In diesem Fall wäre die zahnmedizinische Prophylaxe wichtig. Darüber müssen die Pflegenden aufklärt sein. In München haben wir vor vielen Jahren ein Leuchtturmprojekt gestartet, indem wir das Pflegepersonal in allen Einrichtungen entsprechend geschult haben.
Welche besonderen Herausforderungen stellen sich in der zahnmedizinischen Versorgung von pflegebedürftigen Menschen?
Hummel: Da muss man zwischen den Zielgruppen unterscheiden. 80 Prozent der Pflegebedürftigen leben nicht in Pflegeeinrichtungen, sondern zu Hause. Ein Teil von ihnen kann noch eine Zahnarztpraxis aufsuchen. Bestehen kognitive Einschränkungen, wie beispielsweise bei einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung, ist die Behandlung, auch in der Zahnarztpraxis, deutlich erschwert. Diejenigen, die keine Zahnarztpraxis mehr aufsuchen können und zu Hause leben, sind zumindest im städtischen Bereich für uns Zahnärzte schwer zu erreichen. Das liegt an den langen Fahrzeiten und dem umfangreichen Equipment, das selbst für eine einfache zahnärztliche Behandlung notwendig ist. Umfangreiche zahnärztliche Behandlungen lassen sich im häuslichen Umfeld nicht fachgerecht ausführen. Wir können Prothesen anfertigen und reparieren, einfache Zahnextraktionen durchführen, aber keine Wurzelbehandlung vornehmen und keine Krone präparieren.
Welche Rolle spielt die Zahngesundheit für die Lebensqualität?
Hummel: Die Zahngesundheit spielt deshalb eine große Rolle für die Lebensqualität, weil die Menschen froh sind, wenn sie nicht nur passierte Kost zu sich nehmen, sondern auch etwas Härteres essen können. Funktionsfähige Zähne sind auch gesundheitlich bedeutsam, denn wenn Menschen halbgekaute Speisen schlucken, bekommen sie Verdauungsprobleme und die Nährstoffversorgung leidet. Zudem ist es doch herrlich, wenn man sich ein strahlendes Lächeln bewahren kann.
Wie gut ist die zahnärztliche Versorgung von pflegebedürftigen Menschen in Deutschland?
Hummel: Da gibt es erheblichen Nachholbedarf. In München haben wir uns darum gekümmert, dass zumindest nominell jede Pflegeeinrichtung von einem Zahnarzt betreut wird. Das ist aber in Bayern oder gar bundesweit nicht flächendeckend umgesetzt. Der städtische Bereich in München und der Landkreis sind gut versorgt. In den ländlichen Gebieten ist es deutlich schwieriger, Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen, die diese Aufgabe übernehmen.
Wie lässt sich die Lücke schließen?
Hummel: In Bayern sind wir in dieser Hinsicht sehr aktiv. Wir wollen die interessierten Kolleginnen und Kollegen über unsere Bezirksverbände ermutigen, diese soziale Aufgabe vermehrt wahrzunehmen. Wir werden im Herbst eine Veranstaltung in München anbieten, um einen Einblick in die ambulante Versorgung zu geben. Wir statten die Kollegenschaft mit Material für die Schulung der Pflegekräfte aus. Sie bekommen von der Landeszahnärztekammer entwickelte Powerpoint-Folien und einen Schulungskoffer. Um die Mundgesundheit der Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich zu verbessern, bieten wir den pflegenden Angehörigen über die Volkshochschulen Kurse zum Wissen über Zahnpflege und Ernährung in der häuslichen Pflege an.
„Die Alterszahnheilkunde muss schon im Studium eine Rolle spielen.“
Zahnarzt in München, Mitglied des Vorstandes und Pflegebeauftragter der Bayerischen Landeszahnärztekammer
Und wie binden Sie die ambulanten Pflegedienste ein?
Hummel: Da gibt es mehrere Organisationen, insbesondere die karitativen Anbieter, aber auch die Verbände der privaten Anbieter, die wir ins Boot holen wollen. Aber es ist immer wieder schwierig, die Mitarbeitenden zu motivieren, sich mit der zahnmedizinischen Prävention auseinanderzusetzen. Vielleicht wurde in der Pflegeausbildung auf Mundpflege zu wenig Wert gelegt.
Sollten sich auch mehr Zahnärztinnen und -ärzte auf diesem Gebiet engagieren?
Hummel: Ja, es wäre ganz wichtig, mehr Zahnärzte dafür zu gewinnen. Die Alterszahnheilkunde muss schon im Studium eine Rolle spielen. Die Zahnmedizin für Pflegebedürftige ist meist ein Stiefkind. Nur wenige Universitäten, beispielsweise in München, Berlin, Regensburg und Dresden, berücksichtigen das im Curriculum. Allerdings müssen die Studierenden inzwischen ein Praktikum machen. In diesen Praktika können wir sie für die Alterszahnheilkunde sensibilisieren.
Wie ließe sich die zahnmedizinische Versorgung von Pflegebedürftigen verbessern?
Hummel: Wenn es spezielle Kompetenzzentren zur zahnmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen gäbe, mit Kieferchirurgen, Anästhesisten, vielleicht mit einem Notfallmediziner, ließe sich dort auch telemedizinische Unterstützung verorten. Von einem solchen Zentrum aus könnte man Zahnarztbesuche besser koordinieren, wenn ein größeres Problem auftaucht.
Das Wichtigste aus meiner Sicht ist allerdings die Prävention, also die Bedeutung der Mundpflege in der Pflege, stärker im Bewusstsein der Bevölkerung und des Pflegepersonals zu verankern. Als weiteren Schritt werde ich versuchen, mit den Hausärzten und den Apotheken Kooperationen zu knüpfen, um den Präventionsgedanken in der Mundpflege der Pflegebedürftigen in die Fläche zu tragen.
Wie müssen die Rahmenbedingungen gestaltet sein, damit Menschen mit Pflegebedarf und Behinderung in einer Zahnarztpraxis behandelt werden können?
Hummel: Wir brauchen mehr barrierefreie Praxen, mehr Kolleginnen und Kollegen, die sich für diese vulnerable Bürgergruppe engagieren und wir brauchen eine angemessene Honorierung. Denkbar wäre auch, dass eine Angehörige oder Pflegekraft aus dem Haushalt des Pflegebedürftigen telefonisch das zahnmedizinische Problem schildert, sodass der Zahnarzt entscheiden kann, ob der Patient in die Praxis kommen muss oder nicht. Wenn beispielsweise ein Zahn entfernt werden muss, kann man vorher klären, ob der Patient Blutgerinnungshemmer einnimmt, die abgesetzt werden müssen. Wichtig wäre also die Einführung telemedizinischer Tools.
Inwiefern ist Ihr Engagement in der Alterszahnheilkunde auf andere Regionen übertragbar?
Hummel: Die Einbindung der ländlichen Regionen Bayerns ist für uns das erste Ziel. Wir versuchen durch Veranstaltungen in den Bezirksverbänden, durch die bayernweite Bereitstellung von Fortbildungstools für Vorträge von Kolleginnen und Kollegen zur Mundpflege in der Pflege durch die Kammer und durch Fortbildungsveranstaltungen für interessierte Zahnärzte den Präventionsgedanken in die Fläche zu tragen.
Mit anderen Bundesländern, wie zum Beispiel mit Baden-Württemberg, sind wir bestens vernetzt. Es erfolgt ein reger Austausch verschiedenster Aktivitäten auch mit den Fachgesellschaften, wie der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin. Wir alle lernen voneinander und sind zuversichtlich, dass sich die Mundgesundheit pflegebedürftiger Menschen in Zukunft deutlich verbessern könnte.
Zur Person
Dr. Frank Hummel ist Zahnarzt in München, Mitglied des Vorstandes und Pflegebeauftragter der Bayerischen Landeszahnärztekammer.Er ist seit 1990 in der aufsuchenden Betreuung von pflegebedürftigen Menschen tätig. Seine Praxis versorgt heute mehr als 20 Einrichtungen für Pflegebedürftige und schwerstbehinderte Kinder in München und Oberbayern. Vier Zahnärzte und mehrere Mitarbeiter der Praxis sind mehrmals pro Woche in der aufsuchenden Betreuung aktiv. Im Mai 2025 wurde seine Praxis für ihr Präventionskonzept in der aufsuchenden Betreuung mit dem Praktikerpreis 2025 der Deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin ausgezeichnet.
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