Artikel Gesundheitssystem

Recht: Teure Lücke

17.12.2025 Christina Bethke-Meltendorf 4 Min. Lesedauer

Ein kleiner Griff zum Stempel mit großen Folgen: Ein Kardiologe muss wegen nicht persönlich unterzeichneter Sprechstundenbedarfsverordnungen einen hohen Regress zahlen. Eine eigenhändige Unterschrift ist keine Formalie, sondern schützt Patienten.

Symbolbild eines Paragraphenzeichen, das auf einem geöffneten Buch steht

Eine vermeintliche Arbeitserleichterung kommt einen Kardiologen teuer zu stehen. Der Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie stellte zwischen 2015 und 2018 Sprechstundenbedarfsverordnungen aus. Anstatt die Verordnungen persönlich zu unterzeichnen, ersetzte er die Signatur durch einen Unterschriftsstempel. 

Der Arzt wehrte sich gegen den festgesetzten Regress in Höhe von etwa 490.000 Euro vor dem Sozialgericht Marburg. Dort drang er mit seiner Argumentation nicht durch. Auch die Sprungrevision zum Bundesozialgericht (BSG) blieb ohne Erfolg. Das BSG bestätigte mit Urteil vom 27. August 2025 die Entscheidung des Sozialgerichts Marburg.

Urteil vom 27. August 2025 (Bundessozialgericht)

B 6 KA 9/24 R

 

Arztunterschrift soll Leben von Patienten schützen

Das BSG stellte klar, dass Paragraf 48 Absatz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte dem Vorbehalt des Gesetzes entspricht und in Verbindung mit Paragraf 15 der landesrechtlichen Prüfvereinbarung eine zutreffende Rechtsgrundlage für den Regress darstellt. Danach wird der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind, oder – wie hier – aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfungseinrichtungen festgestellt. Die Voraussetzungen lagen hier vor. Die Arztunterschrift auf einem Rezept sei kein bloßer formaler Vorgang, sondern soll Leben und körperliche Unversehrtheit der Patienten schützen. 

Daher sieht Paragraf 2 Absatz 1 Nummer 10 der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) zwingend die eigenhändige Unterschrift beziehungsweise die qualifizierte elektronische Signatur der verschreibenden Person vor. Hierbei handelt es sich nicht um eine reine Ordnungsvorschrift, sondern um wesentliche Pflichten eines Vertragsarztes, der mit seiner Unterschrift die Gewähr für die Richtigkeit der Verordnung übernimmt. Auch Paragraf 35 Bundesmantelvertrag – Ärzte BMV-Ä (BMV-Ä) über die Ausstellung von Bescheinigungen und Vordrucken regelt in Absatz 2 die Notwendigkeit einer persönliche Unterzeichnung. Eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten gemäß Paragraf 35 Absatz 2 der BMV-Ä liegt hier vor. Dem Kardiologen falle auch ein Verschulden zur Last, da er die Regularien einer persönlichen Unterzeichnung kennen muss. 

„Es handelt sich nicht um eine reine Ordnungsvorschrift, sondern um wesentliche Pflichten eines Vertragsarztes, der mit seiner Unterschrift die Gewähr für die Richtigkeit der Verordnung übernimmt.“

Christina Bethke-Meltendorf

Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes

Krankenkasse trägt kein Mitverschulden

Foto: Ein Arzt oder Apotheker im weißen Kittel übergibt einer Person eine Verordnung oder ein Rezept.
Streitfall Verordnung: Unterschrift oder elektronische Signatur des Arztes dienen der Patientensicherheit.

Darauf, dass die Verordnungen medizinisch indiziert gewesen seien und der Krankenkasse somit gar kein Schaden entstanden sei, da bei ordnungsgemäßer Unterschrift die gleichen Kosten entstanden wären, komme es im Sinne eines hypothetischen Geschehensablaufes nicht an. Der Schaden sei normativ festzusetzen – das heißt unabhängig vom tatsächlichen Eintritt eines Vermögensnachteils; entscheidend ist der Verstoß gegen die formalen Pflichten. Die Festsetzung des Regresses verstoße weder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben noch ist sie unverhältnismäßig. Ebenso wenig könne der Krankenkasse ein Mitverschulden angelastet werden. Die Fehlerhaftigkeit der Verordnungen ist nicht ohne weiteres erkennbar gewesen, so dass eine – die Schadenshöhe mindernde – frühere Antragstellung durch die Krankenkasse nicht auf der Hand läge. Infolgedessen blieb es bei der Verurteilung des Arztes zur Zahlung eines Regresses in Höhe von 490.000 Euro. 

Arzt kündigt Verfassungsbeschwerde an

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisierte die Entscheidung in ihrer Presseerklärung vom 28. August 2025 als „unverhältnismäßig und überzogen“ und forderte eine gesetzgeberische Klarstellung. Rechtsanwalt Jens Prütting von der Kanzlei Medlegal teilte mit, dass eine Verfassungsbeschwerde bereits vorbereitet werde. Die Verordnungen seien medizinisch indiziert, in der Apotheke eingelöst und von den Krankenkassen an die Apotheken erstattet worden. Sein Mandant zahle nunmehr einen existenzbedrohenden Betrag, obwohl die Krankenkassen diesen – bei korrekter Unterschrift – ohnehin hätte bezahlen müssen. 

Der weitere Fortgang des Verfahrens bleibt somit abzuwarten. Die Entscheidung hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung. Formale Anforderungen wie die Unterschrift oder qualifizierte elektronische Signatur sind wesentlicher Bestandteil der Gültigkeit einer Verordnung und – auch zum Schutz der Patientinnen und Patienten – zu beachten.

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