Rundruf Prävention

Kommunen zur Suchthilfe verpflichten?

17.12.2025 Tina Stähler 3 Min. Lesedauer

Rund zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer Abhängigkeitserkrankung – quer durch alle Altersgruppen und Schichten. Sollten Kommunen und Gemeinden Süchtige verpflichtend beraten und betreuen? G+G hat vier Expertinnen und Experten gefragt.

Foto: Zwei Frauenhände greifen nach Zigaretten und Medikamentenpackungen.
Suchterkrankungen nehmen wieder deutlich zu, und Suchtberatungen
sind oft die ersten Anlaufstellen für Betroffene und ihr soziales Umfeld.

Suchtberatungsstellen seit Jahren chronisch unterfinanziert

Foto: Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS).

Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS):

Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen brauchen gut erreichbare, niedrigschwellige Hilfen. Suchtberatungsstellen bieten Beratung, Begleitung und Behandlung, stabilisieren in Krisen und unterstützen Betroffene wie Angehörige. Sie sind damit zentrale Anlaufstellen vor Ort. Trotz ihrer Bedeutung sind sie seit Jahren chronisch unterfinanziert: Drei Viertel der Einrichtungen können ihre Aufgaben nicht kostendeckend erfüllen. Die Folgen sind Leistungsabbau und Schließungen, obwohl anonyme und kostenfreie Beratung ein wichtiger Baustein der Versorgung ist. Ihr Wegfall verschärft Probleme und erhöht gesellschaftliche Folgekosten – dabei spart jeder in die Suchtberatung investierte Euro 17 Euro ein. Daher braucht es eine verlässliche Sicherung der Suchtberatung und den Ausbau niedrigschwelliger Angebote. Die DHS fordert dafür eine sozialrechtliche Grundlage: Suchtberatung ist kein „Nice-to-have“, Suchtberatung muss Pflichtaufgabe sein.

Effiziente Hilfestrukturen zur Vermeidung von Todesfällen aufbauen

Foto: Marc Elxnat, Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.

Marc Elxnat, Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes:

Die Zahl der verstorbenen Drogenkonsumierenden liegt weiter auf einem viel zu hohen Niveau. Wir brauchen effiziente Hilfestrukturen, damit alle Betroffenen unterstützt, Todesfälle vermieden und Gesundheitsschäden verringert werden. Dies stellt die Kommunen vor besondere Herausforderungen. Wirkungsvolle Suchtprävention wird vor Ort insbesondere dann erreicht, wenn die Akteure aus den Kommunen sowie die verschiedenen externen Akteure, wie Polizei, Sportvereine, Jugendclubs und Schule, an einem Strang ziehen. Für eine starke und wirksame Suchtprävention müssen Präventionsangebote schlüssig aufeinander aufbauen und gebündelt werden können. Das beinhaltet, auf Kinder und Jugendliche zuzugehen und sie bezüglich Drogen aufzuklären. Zur Wahrheit gehört, dass Suchtbehandlungs- und -beratungsstellen heute unter Personal- und Finanznot leiden. Eine kommunale Pflichtaufgabe macht dann Sinn und kann zur Lösung beitragen, wenn diese durch die Länder auch komplett ausfinanziert wird.

Sucht- und Präventionsfonds einrichten

Foto: Dr. Jochim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes.

Dr. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes:

Drei Viertel der öffentlich finanzierten Suchtberatungsstellen können ihre Kosten nicht mehr decken. Erste Einrichtungen mussten bereits schließen, weitere Schließungen drohen. Für die mehr als acht Millionen Menschen mit Suchterkrankungen in Deutschland bedeutet das weniger Anlaufstellen, längere Wartezeiten, weniger Hilfe. Das zentrale Problem: Suchtberatung ist eine freiwillige kommunale Leistung und damit von der jeweiligen Haushaltslage abhängig. Eine gesetzliche Verankerung als Pflichtleistung könnte ein wichtiger Schritt zu mehr Verlässlichkeit sein. Entscheidend ist aber, dass damit auch eine auskömmliche Finanzierung einhergeht. Dafür braucht es eine angemessene finanzielle Ausstattung der Beratungsinfrastruktur vor Ort. Ein Sucht- und Präventionsfonds aus zweckgebundenen Abgaben auf legale Suchtmittel könnte dabei helfen. Ohne eine solide finanzielle Basis bleibt auch eine Pflichtaufgabe nur Makulatur.

Suchtberatung muss zur Pflichtleistung werden

Foto: Prof. Dr. Rita Hansjürgens, Professorin für Handlungstheorien und Methoden Sozialer Arbeit und Allgemeiner Pädagogik, Alice Salomon Hochschule Berlin.

Prof. Dr. Rita Hansjürgens, Professorin für Handlungstheorien und Methoden Sozialer Arbeit und Allgemeiner Pädagogik, Alice Salomon Hochschule Berlin:

Suchterkrankungen nehmen wieder deutlich zu, und Suchtberatungen sind oft die ersten Anlaufstellen für Betroffene und ihr soziales Umfeld. Sie bieten unverzichtbare, passgenaue Unterstützung und übernehmen Aufgaben, die kein anderer Dienst ersetzen kann. Dennoch sind sie in ihrer Existenz bedroht, da sie eine freiwillige Leistung der Kommunen darstellen, die bei finanziellen Engpässen gekürzt werden müssen. Um ihre wichtige Arbeit zu sichern, muss Suchtberatung bundesweit gesetzlich verankert und zur Pflichtleistung werden. Krankenkassen und Sozialhilfeträger sollten sich an der Finanzierung beteiligen, da sie es sind, die aufgrund einer frühzeitigen, effizienten und passgenauen Bearbeitung bei suchtbedingten Problemen, Geld einsparen. Am allermeisten aber profitieren die Menschen mit Suchterfahrungen und ihr soziales Umfeld, wenn sie frühzeitig und unbürokratisch nachhaltige Unterstützung in ihrer schwierigen Situation erhalten.

Foto: Junger Mann mit E-Zigarette in der Hand – sein Gesicht ist von Rauch verdeckt.
Jeder siebte Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren konsumiert E-Zigaretten. Wolfram Windisch, Chefarzt der Lungenklinik Köln und Professor für Pneumologie an der Universität Wittten/Herdecke, weist auf das hohe Suchtpotenzial von Nikotinprodukten hin und fordert einen wirksamen Jugendschutz.
24.07.2025Wolfram Windisch2 Min

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