Artikel Gesundheitssystem

Recht: Richter kippen Notfallstufenregelung

16.10.2025 Christina Bethke-Meltendorf 4 Min. Lesedauer

Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass die aktuelle Regelung zur Einstufung von Krankenhäusern in der Notfallversorgung teilweise nichtig ist. Für Kliniken und Krankenkassen bedeutet das Rechtsunsicherheit.

Symbolbild eines Paragraphenzeichen, das auf einem geöffneten Buch steht

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) muss die Kriterien für die Teilnahme von Krankenhäusern an der Notfallversorgung nachbessern, nachdem das BSG die bisherige Regelung teilweise für nichtig erklärt hat. Die Klägerin – die Trägerin eines als Belegkrankenhaus geführten Fachkrankenhauses für Augenheilkunde mit 47 Planbetten – wandte sich gegen die Wirksamkeit der Regelungen des GBA zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß Paragraf 136c Absatz 4 Sozialgesetzbuch V (SGB V).

Die GBA-Richtlinie gliedert die Notfallversorgung in drei Stufen: die Basisnotfallversorgung (Stufe 1), die erweiterte Notfallversorgung (Stufe 2) und die umfassende Notfallversorgung (Stufe 3). Diese Strukturen dienen als Grundlage für die Vereinbarung über Zu- und Abschläge für eine Teilnahme oder Nichtteilnahme von Krankenhäusern an der Notfallversorgung. Paragraf 3 Absatz 2 Satz 1 lautet: „Sofern ein Krankenhaus keiner der im Absatz 1 beschriebenen Stufen zuzuordnen ist und darüber hinaus keine der Voraussetzungen der Module nach Paragraf 4 erfüllt, nimmt es nicht an dem gestuften System von Notfallstrukturen, nach Maßgabe dieser Regelungen im entgeltrechtlichen Sinne, teil.“

Urteil vom 2. April 2025 (Bundessozialgericht)

– B 1 KR 25/23 R –

Hintergrund des BSG-Verfahrens war, dass die Klägerin nicht die Anforderungen an die Basisnotfallversorgung erfüllte und nach Paragraf 3 Absatz 2 Satz 1 der Notfallstufenregelung somit auch nicht an der strukturierten Notfallversorgung teilnahm. Entsprechend erfolgte nach der Notfallstufenvergütungsvereinbarung für jeden vollstationären Behandlungsfall ein Rechnungsabschlag in Höhe von 60 Euro.

Vorinstanzlich war die Klägerin vor dem Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg noch gescheitert. Das BSG hat mit seinem Urteil vom 02.04.2025 (B 1 KR 25/23 R) jedoch entschieden, dass die Notfallstufenregelung des GBA teilweise, nämlich bezogen auf Paragraf 3 Absatz 2 Satz 1 der Richtlinie, nichtig sei.

Foto: Zwei Personen in medizinischer Schutzkleidung im Flur eines Krankenhauses an einem Krankenbett.
Die Versorgung von Patienten im Notfall gehört zu den Kernaufgaben von Krankenhäusern.

Paragraf 136c Absatz 4 SGB V sei zwar von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes gedeckt. Der GBA sei auch zur verbindlichen Regelung eines Systems von Notfallstrukturen im Krankenhaus noch hinreichend demokratisch legitimiert. Paragraf 136c Absatz 4 SGB V sei zudem mit höherrangigem Recht vereinbar. Der Gesetzgeber habe den GBA im Sinne einer sachlich-inhaltlichen Legitimation auch hinreichend normdicht angeleitet. Der GBA habe den Normsetzungsauftrag jedoch nicht hinreichend umgesetzt. Dies wurde wie folgt begründet:

Im Grundsatz sind alle Krankenhäuser im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Versorgung von Notfällen verpflichtet und leisten diese tatsächlich. Nach Paragraf 17b Absatz 1a KHG zählt die Notfallversorgung zu den allgemeinen Krankenhausleistungen. Der Gesetzgeber unterscheidet somit zwischen der allgemeinen Notfallversorgung und den besonderen Vorhaltungen für die gestufte Notfallversorgung gemäß Paragraf 136c Absatz 4 SGB V. An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Begriff der „Basisnotfallversorgung“ der ersten Stufe nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass auch dort bereits relativ hohe Anforderungen gelten (etwa hinsichtlich der Art und Anzahl der Fachabteilungen, der Intensivkapazität, der medizinisch-technischen Ausstattung etc.), die gerade für Fachkliniken häufig nicht einzuhalten sind.

„Der GBA hat zwar einen weiten Gestaltungsspielraum, darf aber die Anforderungen für die Teilnahme an der allgemeinen Notfallversorgung nicht überspannen.“

Christina Bethke-Meltendorf

Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin) im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes

Mit der Festlegung der Notfallstufen sollte erreicht werden, dass Krankenhäuser mit einem umfassenderen Angebot an Notfallleistungen bessergestellt werden als jene mit einem geringeren Umfang. Die Stufe für die Nichtteilnahme soll den verminderten Aufwand für die Vorhaltungen zur Notfallversorgung abbilden. Das vom GBA festgelegte System bilde hingegen nur den erhöhten Aufwand für die Vorhaltung von Strukturen für eine umfassende Notfallversorgung ab. Der GBA bestimme mit der Nichtteilnahme als bloßem Gegensatz zur – im Sinne des Stufensystems schon qualifizierten – Basisnotfallversorgung bislang jedoch nicht, ab wann die Vorhaltungen eines Krankenhauses auch für eine allgemeine Notfallversorgung nicht mehr genügten.

Illustration für das Scrollytelling zur Krankenhausreform
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Finanzielle Risiken

Die vom GBA festzulegende Stufe der Nichtteilnahme erfordere daher, die Bedingungen positiv festzulegen, unter denen eine Klinik sich auch an der allgemeinen Notfallversorgung nicht beteiligt. Dem GBA sei dabei durch den Gesetzgeber zwar ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Anforderungen an die Teilnahme an der allgemeinen Notfallversorgung dürften jedoch nicht überspannt werden.

Das Urteil des BSG hat erhebliche Auswirkungen: Der GBA ist gehalten, die bisherige Notfallstufenregelung nachzubessern. Bis dahin besteht Rechtsunsicherheit, wie hinsichtlich der Festlegung der Notfallstufen und Vereinbarung von Abschlägen zu verfahren ist. Für die Vergangenheit besteht für die Krankenkassen das Risiko, dass Kliniken die Zahlung einbehaltender Abschläge geltend machen. Dem kann jedoch der Einwand der Bestandskraft der genehmigten Budgetvereinbarung beziehungsweise hilfsweise die Verjährung nach Paragraf 109 Absatz 5 SGB V als spezialrechtlicher Regelung im Bereich des Krankenhausrechts entgegenstehen.

Veranstaltungstipps

Deutsches Anwaltsinstitut e. V.: Beratung von Krankenhäusern – mit Krankenhausreform 2025, Prof. Dr. Michael Quaas, M.C.L., 22. Oktober 2025, online
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DeutscheAnwaltAkademie: Vergabe im Gesundheitsmarkt, Dr. Oliver Esch, 7. November 2025, online
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