Artikel Gesundheitssystem

Zentrale Herausforderungen für die Bundesgesundheitsminister

21.09.2023 Thorsten Severin 8 Min. Lesedauer

Seit 1998 begleitete die Redaktion die Arbeit von acht Bundesgesundheitsministerinnen und -ministern. Sechs von ihnen äußern sich zur Rolle der Medien in der Gesundheitspolitik und zu den zentralen Herausforderungen ihrer Amtszeit.

Foto: Illustration von sechs Personen, zwei Frauen und vier Männern, die hinter Rednerpulten vor einem Ausschnitt des Reichstags stehen. Vor ihnen liegt ein Stethoskop.
Jede Bundesgesundheitsministerin und jeder Bundesgesundheitsminister hat in den vergangenen 25 Jahren ganz eigene Akzente gesetzt.
Foto: Porträtbild von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD)
Prof. Karl Lauterbach (60): Der Gesundheitsökonom und SPD-Abgeordnete ist seit Ende 2021 Bundesgesundheitsminister

Welche Rolle spielen die Medien für die Gesundheitspolitik?

Gerade Gesundheitspolitik braucht Übersetzung. Dafür sind Medien unabdingbar. Soziale Medien sind aber kein Ersatz. Es geht nicht nur um Reichweite, sondern um die Qualität der Berichte. Medien müssen kritisieren, mäkeln, gerne auch mal loben, das tut insbesondere den Mitarbeitern in Ministerien und Selbstverwaltung gut. Medien sind manchmal nervig, aber sie sind elementar in der freien Demokratie.

Was waren die größten Herausforderungen in Ihrer bisherigen Amtszeit?

Ich muss die Versäumnisse vorangegangener Regierungen aufholen. Oder sagen wir es positiv: Meine Vorgänger haben mir viel Gestaltungsspielraum gelassen. Da sind Dinge, die seit 2009 an großen Reformen liegen geblieben sind. Viele Krankenhäuser stehen vor einem Scherbenhaufen. In der Digitalisierung sind wir immer noch nicht in der Moderne angekommen, sind international abgeschlagen. Arzneimittel fehlen immer öfter. Das bedarf grundsätzlicher Reformen. Die gehen wir jetzt endlich an.

 „Gesundheitsminister zu sein, bedeutet ..."

… Ehre und Verantwortung. Den Wert der Gesundheit erkennt man oft erst bei ernster Erkrankung. Alle haben Anspruch auf eine bestmögliche Versorgung. Egal ob jung, ob alt, ob reich, ob arm, ob in der Stadt oder auf dem Land. Entscheidungen eines Gesundheitsministers können die Gesellschaft auf Jahre prägen. Daher muss man sehr gewissenhaft agieren.

Foto: Porträtbild von Andrea Fischer, Grünen-Politikerin und ehemalige Bundesgesundheitsministerin von 1998 bis 2001
Andrea Fischer (63): Die studierte Volkswirtin und Grünen-Politikerin hatte das Ministeramt von 1998 bis 2001 inne.

Welche Rolle spielen die Medien für die Gesundheitspolitik?

Informationen über Gesundheitsthemen werden massenhaft gesucht und gefunden, selbstverständlich werden dafür auch moderne Wege gewählt. Das Interesse an Gesundheitspolitik ist demgegenüber geringer ausgeprägt. Umso wichtiger ist es, einen Ton und einen Stil zu finden, der Menschen anspricht. Entsprechend ist es erforderlich, zeitgemäße Wege zu wählen. Es steht zu erwarten, dass Papier in Zukunft ein weniger wichtiger Informationsträger sein wird. 

Was waren die größten Herausforderungen in Ihrer Amtszeit?

Verglichen mit der Corona-Krise erscheinen mir die Herausforderungen rückblickend eher gering gewesen zu sein. Das vorausgeschickt nenne ich meine – an manchen Stellen gescheiterten – Bemühungen um eine Krankenhausreform. Bis heute ungelöst ist hier die Finanzierung von Investitionen in Kliniken und die Entscheidung über deren Standorte. Nicht zu vergessen die BSE-Krise, an die sich kaum noch jemand erinnert und in der es 
zum Glück keine Opfer gab.

„Gesundheitsministerin zu sein, bedeutet ...“

…wenig Freude, wenig Ehre, aber viel Ärger.

Foto: Porträtbild von Ulla Schmidt, SPD-Politikerin und  ehemalige Bundesgesundheitsministerin von 2001 bis 2009
Ulla Schmidt (74): Niemand war länger an der Spitze des Ministeriums als die SPD-Politikerin und studierte Sonderpädagogin (2001 bis 2009).

Welche Rolle spielen die Medien für die Gesundheitspolitik?

Die Medien sind in diesem Sektor sehr wichtig. Sie werden gebraucht, um zu transportieren, was es an Änderungsbedarf gibt und was die Politik an Reformen auf den Weg bringt. Aber auch, um darzustellen, was die Menschen bei Gesundheit und Pflege für Ansprüche und Rechte haben und an wen sie sich wenden können. Die Mehrheit der Medien berichtet gut und informativ und übt Kritik, wenn etwas nicht gut läuft. Die Rolle mancher sozialer Medien mit Shitstorms und Hetze sehe ich allerdings kritisch. 

Was waren die größten Herausforderungen in Ihrer Amtszeit?

Die große Kunst in dem Amt ist es, die Balance zwischen wirtschaftlicher Stabilität und Bezahlbarkeit des Systems sowie dem Anspruch der Menschen herzustellen, unabhängig von ihrem Einkommen Behandlungen auf Höhe des medizinischen Fortschritts zu erhalten. Die Krankenkassen waren in meiner Zeit hoch verschuldet. Die vielen Reformen glichen einem Ölwechsel bei einem fahrenden Auto.

„Gesundheitsministerin zu sein, bedeutet ...“

… verantwortlich zu sein für das gesamte Gesundheitssystem und dabei den Ausgleich der Interessen zwischen Beitragszahlern, Kranken und den anderen Akteuren im Gesundheitswesen zu bewahren, weil nur so auf Dauer eine gute Gesundheitsversorgung möglich ist.

Stationen der Gesundheitspolitik

Jede Legislaturperiode hat ihre eigenen Schwerpunkte. Mal sind sie von äußeren Faktoren bestimmt – so Anfang der 1990er-Jahre durch die Einheit –, mal geben neue Herausforderungen in der Versorgung der Versicherten den Anstoß – wie in der Pflege.

Eine Übersicht aus 25 Jahren G+G:

1998 bis 2002
Der Risikostrukturausgleich wird reformiert: Versicherte mit Behandlungskosten von mehr als 40.000 Euro im Jahr werden mit einem Risikopool berücksichtigt. Es gibt erstmals Disease-Management-Programme (DMP) für chronische Erkrankungen. 2002 bis 2005
Mit dem Fallpauschalengesetz werden die Kranken­häuser auf Basis der Diagnosis Related Groups (DRG) vergütet. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) umfasst weitreichende Änderungen für Versicherte und Leistungserbringer.

2005 bis 2009
Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz stellt die Finanzierung der GKV auf eine neue Grundlage – mit einheitlichem Beitragssatz und Gründung des Gesundheitsfonds.

2009 bis 2013
Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) führt erstmals in Deutschland Preisverhandlungen zwischen Pharmaunternehmen und dem GKV-Spitzenverband ein.

2013 bis 2017
Drei Pflegestärkungsgesetze erweitern die Leistungen der Pflegeversicherung und führen einen neuen Pflege­bedürftigkeitsbegriff ein. 2017 bis 2021
Corona, Pflege, Digitalisierung.

2021 bis heute
Corona, Pflege, Krankenhaus.

Foto: Porträtbild von Philipp Rösler, Unternehmer in der Schweiz und ehemaliger Gesundheitsminister von 2009 bis 2011
Philipp Rösler (50): Der einstige FDP-Chef, Wirtschaftsminister und heutige Unternehmer in der Schweiz war Gesundheitsminister von 2009 bis 2011.

Welche Rolle spielen die Medien für die Gesundheitspolitik?

In der Politik spielen Medien eine große Rolle als Meinungsbildner – manchmal auch als Stimmungsmacher. Gesundheitspolitik ist sehr emotional. Sachargumente haben es da oft schwer, gehört zu werden. Medien in der Gesundheitspolitik sind daher mächtig. Sie können Meinungen und Entscheidungen maßgeblich beeinflussen – im Guten wie im Schlechten. 

Was waren die größten Herausforderungen in Ihrer Amtszeit?

Das Gesundheitsressort gilt als sehr politisches Ministerium. Es war eine Herausforderung, Ideologien gleich welcher Art und Richtung zu überwinden und Sachentscheidungen für eine gute und nachhaltige Versorgung zu treffen. Zu meiner Zeit gab es die konkrete Herausfor­derung durch die Schweinegrippe. Es stellten sich hier Fragen wie etwa nach den Bund-Länder-Beziehungen, ähnlich den folgenden Pandemien wie EHEC oder Corona. Allerdings viel kleiner. Generell war auch damals die Frage der nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitswesens dringend.

„Gesundheitsminister zu sein, bedeutet ...“

… eine enorme Verantwortung für das Gesundheitssystem für mehr als 70 Millionen gesetzlich Versicherte zu tragen. Es ist aber auch eine sehr erfüllende Aufgabe, denn anders als in anderen Ressorts hat man hier viel Gestaltungsmöglichkeiten und kann konkrete Beiträge für die Gesundheit und Pflege der Menschen in Deutschland leisten.

Foto: Porträtbild von Daniel Bahr, Volkswirt, Allianz-Krankenversicherungsvorstand und ehemaliger Bundesgesundheitsminister von 2011 bis 2013
Daniel Bahr (46): Der ehemalige FDP-Politiker, Volkswirt und heutige Allianz-Krankenversicherungsvorstand war von 2011 bis 2013 Minister.

Welche Rolle spielen die Medien für die Gesundheitspolitik?

Bei der Gesundheitspolitik kann wie in der Schulpolitik jeder von eigenen Erfahrungen berichten, jeder ist betroffen. Das garantiert Medien viel Aufmerksamkeit und Interesse an der Berichterstattung. Gleichzeitig ist die Interessenlage bei Gesundheitspolitik wohl von allen Feldern die komplexeste. Medien spielen eine große Rolle, Zusammenhänge und Folgen von Entscheidungen zu erklären und zur Meinungsbildung im politischen Raum beizutragen. 

Was waren die größten Herausforderungen in Ihrer Amtszeit?

An meinem ersten Tag wurde ich gleich mit der ersten Pleite einer Krankenkasse (CityBKK) konfrontiert, in der zweiten Woche folgte mit EHEC der bis dato weltweit größte E.coli-Ausbruch. Es folgten: Organtransplantationsskandal, Brustimplantateskandal, Hygieneskandale, Ärztemangel, Finanzdefizite, Datenklau im Ministerium und so weiter. Es war stets viel zu tun, herausfordernd und nicht langweilig. Für mich persönlich die wohl spannendste Zeit.

 „Gesundheitsminister zu sein, bedeutet ...“

Da zitiere ich zwei meiner Vorgänger in so schönen Bildern, die ich nicht toppen kann: „stets die Torte ins Gesicht zu kriegen“ (Ulla Schmidt) und „Wasserballett im Haifischbecken zu beherrschen“ (Norbert Blüm).

Foto: Porträtbild von Hermann Gröhe, Jurist und ehemaliger Bundesgesundheitsminister von 2013 bis 2018.
Hermann Gröhe (62): Der Jurist und langjährige CDU-Generalsekretär leitete das Gesundheitsressort von 2013 bis 2018.

Welche Rolle spielen die Medien für die Gesundheitspolitik?

Freie Medien sind Voraussetzung dafür, dass sich die Bevölkerung über Politik informieren und sich einmischen kann. Geht es um die Gesundheit, haben die Medien eine Mitverantwortung für jenes Maß an Gesundheitsbildung, das für ein gesundes Leben unerlässlich ist und dabei hilft, Krankheiten sowie Unfälle zu vermeiden, eine gute Behandlung zu finden und diese durch informierte Mitwirkung zu unterstützen. Auch die Medien der Krankenkassen leisten dazu einen wichtigen Beitrag. 

Was waren die größten Herausforderungen in Ihrer Amtszeit?

Ein Schwerpunkt war die umfassende Weiterentwicklung der Leistungen der Pflegeversicherung – Stichwort: neuer Pflege­bedürftigkeitsbegriff. Es gab massive Verbesserungen für Demenzkranke und ihre Angehörigen. Außerdem haben wir die Pflegeausbildung modernisiert, die Entlohnung von Pflegekräften nach Tarif gestärkt sowie endlich das Schulgeld überall in der Pflegeausbildung abgeschafft und durch eine Ausbildungs­vergütung ersetzt.

„Gesundheitsminister zu sein, bedeutet ...“

…denen den Rücken stärken zu können, die täglich ihr Bestes geben, damit es anderen besser geht!

G+G Interview
Immer die gleichen Themen – und dennoch jedes Mal anders. Der Blick auf 25 Jahre G+G ist zugleich ein Blick auf die Entwicklung in der Gesundheitspolitik und der Medienlandschaft.
22.09.2023Bernhard Hoffmann8 Min

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