Frauen im Fokus der Medizin?
Die medizinische Forschung und Entwicklung orientiert sich meist an Männern. Frauen zeigen aber oftmals andere Symptome und benötigen spezielle Therapien. Sollte die Frauengesundheit stärker in der Medizin verankert werden? G+G hat vier Expertinnen und Experten gefragt.

Geschlechtergerechte Medizin als Akt politischer Verantwortung

Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes e. V.:
„Die Integration von Frauengesundheit in alle Bereiche der Medizin ist kein medizinisches Detail, sondern eine grundlegende Frage von Gerechtigkeit. Zu lange wurde die Medizin an einem männlichen Maßstab ausgerichtet – mit der Folge, dass Frauen in Forschung, Diagnostik und Versorgung systematisch benachteiligt wurden. Diese historische Schieflage hat reale gesundheitliche Konsequenzen: Krankheiten werden bei Frauen zu spät erkannt, falsch behandelt oder gar nicht ernst genommen. Eine geschlechtergerechte Medizin ist daher ein Akt medizinischer wie auch politischer Verantwortung. Sie bedeutet, dass die Vielfalt weiblicher Lebensrealitäten, Körper und Gesundheitsbedürfnisse nicht länger als „Sonderfall“ betrachtet werden, sondern als integraler Bestandteil guter medizinischer Praxis. Wer moderne, faire und evidenzbasierte Gesundheitsversorgung will, muss Frauengesundheit endlich quer durch alle Disziplinen denken – nicht als Nische, sondern als normativen Anspruch."
Genderspezifische Forschung bei Medikamenten

Thomas Preis, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände:
„Das Thema Frauengesundheit ist in den Apotheken präsent und spielt bei vielen Arzneimitteltherapien eine Rolle – sowohl bei verordneten Arzneimitteln als auch in der Selbstmedikation. Die genderspezifische Beratung ist in den Apotheken ein großes Thema. Viele Frauen schätzen die Beratung durch Apothekerinnen bei Menstruationsbeschwerden, zur Verhütung und Notfallkontrazeption und auch in den Wechseljahren. Nach der Entlassung der „Pille danach“ aus der Verschreibungspflicht vor zehn Jahren werden über 95 Prozent davon in der Apotheke vor Ort ohne Rezept abgegeben – mit einer ausführlichen Beratung, für die die Bundesapothekerkammer einen Leitfaden erstellt hat. Wir brauchen mehr genderspezifische Forschung bei Medikamenten. Bei neuen Medikamenten ist das bereits der Fall. Bei der Mehrzahl der Arzneimittel sind diese geschlechtsabhängigen Fragen noch offen. Bei der Genderforschung muss die Pharmazie stärker als bislang eingebunden und
integriert werden."
Frauengesundheit – auch im Arbeitsleben

Judith Gerlach, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention
„Es gibt Erkrankungen wie Gebärmutterhalskrebs, von denen nur Frauen und Mädchen betroffen sind. Als Gesundheits- und Präventionsministerin ist es mir ein Anliegen, insgesamt die Gesundheit von Frauen stärker in den Fokus zu rücken. Denn: Wir Frauen sind besonders – und unsere Gesundheit ist es auch. Unter dem Motto „Frauen – sichtbar & gesund“ hat mein Ministerium deshalb die Frauengesundheit zum Schwerpunktthema gemacht. Mehr als 1.000 Veranstaltungen haben unsere Partner im Bündnis für Prävention und im Öffentlichen Gesundheitsdienst dazu organisiert. Mit einem umfassenden Gesundheitsbericht tragen wir auch dazu bei, den „Gender Data Gap“ zu schließen. Auf unserer Website stehen dazu aktuelle Fakten bereit – etwa zu den Themen Mädchengesundheit, Frauen und Krebs, Schwangerschaft, Endometriose und Wechseljahre. Letztere sind noch vielfach ein Tabu, gerade auch im Arbeitsleben. Wechseljahre dürfen aber kein Karrierekiller sein – auch das ist Teil einer modernen Gendermedizin."
Differenzierter Blick in allen medizinischen Bereichen notwendig

Dr. Andreas Philippi, Niedersächsischer Minister für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung
„Als Gesundheitspolitiker und als Arzt bin ich der Überzeugung, dass ein differenzierter Blick auf die physiologischen, psychischen und soziologischen Unterschiede der Geschlechter in nahezu allen medizinischen Bereichen mehr als überfällig ist. Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung, aber die Forschung – und vielfach auch die Behandlung – orientieren sich oft einseitig an Männern. Auch in Studium und Praxis habe ich solche Erfahrungen gemacht. Nach einer aktuellen Umfrage beklagt fast jede dritte Frau Benachteiligung im Gesundheitswesen. Das ist nicht nur menschlich problematisch, sondern verursacht auch hohe Kosten für unser Gesundheitssystem. Wir brauchen daher eine geschlechtersensible Medizin, die insbesondere die Bedürfnisse von Frauen stärker als bisher berücksichtigt."
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