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Recht: Grenzen der Sterbehilfe

18.06.2025 Christina Bethke-Meltendorf 4 Min. Lesedauer

BGH bestätigt Verurteilung eines Arztes wegen Totschlags, weil er einem an Schizophrenie erkrankten Menschen beim Suizid assistierte.

Symbolbild eines Paragraphenzeichen, das auf einem geöffneten Buch steht

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem Urteil vom 26.2.2020 den damaligen Paragrafen 217 StGB zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasse als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das Gericht nahm insoweit eine sehr weitreichende verfassungsrechtliche Auslegung vor: anders als in anderen internationalen Regelungen könne die Zulässigkeit einer Hilfe zur Selbsttötung nicht materiellen Kriterien, wie etwa dem Vorliegen einer unheilbar oder tödlich verlaufenden Krankheit abhängig gemacht werden.

Allerdings müsse der Suizidentschluss auf einem autonom gebildeten, freien Willen zurückgehen. Eine freie Suizidentscheidung setze die Fähigkeit voraus, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung bilden und nach dieser Einsicht handeln zu können. Mögliche Handlungsalternativen müssen dem Suizidenten bekannt sein. Der Betroffene darf keinen unzulässigen Einflussnahmen und Druck ausgesetzt ist. Schließlich muss der freie Wille von einer gewissen Dauerhaftigkeit und „inneren Festigkeit“ getragen sein. Das BVerfG stellte dem Gesetzgeber zwar anheim, ein prozedurales Sicherungskonzept im Rahmen des assistierten Suizides zu entwickeln. Der Bundestag konnte sich 2023 jedoch nicht auf einen der Gesetzentwürfe zur Regulierung der Sterbehilfe einigen. 

Beschluss vom 29.1.2025 (Bundesgerichtshof)

Az.: 4 StR 265/24

Seit dieser Entscheidung zeichnet sich eine Verschiebung zugunsten einer Normalisierung des assistierten Suizides ab. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben berichtete von einer steigenden Anzahl von vermittelten Suiziden (120 im Jahr 2021 gegenüber 623 im Jahr 2024, darunter befanden sich 38 Doppelsuizide). Eine weitere, kontrovers diskutierte Frage ist, inwieweit Menschen mit einer psychischen Erkrankung eine selbstbestimmte Entscheidung zum assistierten Suizid treffen können. Der Bundesgerichtshof hatte über die Revision eines Arztes zu entscheiden, der einem an Schizophrenie erkrankten Menschen Sterbehilfe geleistet hatte. Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Bei dem Arzt handelt es sich um den zum Zeitpunkt des Urteils 82-jährigen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. Johann Spittler, der aufgrund seines Engagements für die Sterbehilfe bekannt ist.

Komplexe Diagnose

Der Angeklagte erstellte seit dem Jahr 2003 gegen Vergütung Gutachten zur Frage der Freiverantwortlichkeit für auf dem Gebiet der Sterbehilfe tätige Vereine. Im Jahr 2020 wandte sich der Geschädigte an den Angeklagten. Der Geschädigte litt an einer paranoiden Schizophrenie, befand sich mehrmals stationär in einer psychiatrischen Klinik (teils infolge von Suizidankündigungen), wo  eine postschizophrene Depression diagnostiziert wurde. Der Zustand verschlechterte sich, nachdem der Geschädigte die ihm verordnete neuroleptische Medikation eigenmächtig absetzte. Eine infolge einer Selbstmedikation mit Kortison entwickelte starker Sehbeeinträchtigung besserte sich zwar nach einer Operation. Der Geschädigte unternahm dennoch mehrere Suizidversuche. 

Foto: Grafik zum Thema "Suizidassistenz": Hoher Aufklärungsbedarf beim Thema Suizidsassistenz: Ein Großteil der Menschen hierzulande ist für Hilfe beim Freitod.

Am 12. August 2020 fand ein Gespräch mit dem Geschädigten im Beisein von dessen Mutter statt. Nach Einschätzung des Angeklagten bestanden weitere Behandlungsmöglichkeiten. Der Angeklagte ging zudem davon aus, dass bei dem Geschädigten eine akute schizophrene Erkrankung und eine mittelgradige depressive Episode vorlag. Gleichwohl sah er dessen Urteilsfähigkeit als gegeben an, da die Lebensbeendigungsabsicht „plausibel nachvollziehbar begründet“ wurde. Am 31. August 2020, legte der Angeklagte dem Geschädigten einen venösen Zugang, so dass der das Ventil öffnen und sich die  letale Dosis selbst verabreichen konnte.

„Der Bundesgerichtshof bestätigte, dass der Geschädigte zum Zeitpunkt der Suizidhandlung infolge einer akuten schizophrenen und depressiven Symptomatik, nicht über die notwendige Urteilsfähigkeit verfügt habe.“

Christina Bethke-Meltendorf

Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes

Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Der Geschädigte verfügte zum Zeitpunkt der Suizidhandlung infolge einer akuten schizophrenen und depressiven Krankheitssymptomatik nicht über die notwendige Urteilsfähigkeit. Sein Sterbewunsch beruhte wesentlich auf der irrigen Annahme einer fortschreitenden Sehstörung. Darüber hinaus sah er keine Hoffnung auf Besserung seiner psychiatrischen Erkrankung, obwohl objektiv weitere Behandlungsansätze bestanden.   Die mittelbare Täterschaft begründete das Gericht damit, dass der Angeklagte in objektiver Hinsicht die „Zentralgestalt des Geschehens“ war, da er den Ablauf zweckgerichtet auf die Realisierung des Todeswunsches organisierte, so dass eine Hemmschwelle zum Vollzug der Selbsttötung möglichst weit herabgesenkt wurde. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren hat demnach Bestand. 

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