Artikel Prävention

Verspannt von der Arbeit

22.05.2024 Klaus Zok 6 Min. Lesedauer

Erschöpft, gereizt, gestresst: Viele Erwerbstätige führen gesundheitliche Beschwerden auf ihren Job zurück – und wünschen sich unter anderem Entspannungskurse und Rückenschulen. Dies belegt eine aktuelle Auswertung von Beschäftigtenbefragungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Foto einer Frau, die in einem modernen Büro meditiert. Um sie herum herrscht Hektik.
Innehalten und Kraft tanken: Viele Beschäftigte wünschen sich Gesundheitsangebote im Betrieb.

Krankheitsbedingte Fehlzeiten stellen bekanntlich eine erhebliche Kostenbelastung für die Volkswirtschaft dar. Viele Unternehmen aber wissen nicht, wo sie zur Bekämpfung des Krankenstandes ansetzen sollen, da sie zu wenig Informa­tionen darüber haben, welche Krank­heiten vorliegen und was mögliche Ursachen für die Erkrankungen sein könnten. Vor diesem Hintergrund hat der Bedarf an Mit­arbeiterbefragungen in Unternehmen als Instrument des betrieb­lichen Gesundheitsmanagements in den vergangenen Jahren zu­genommen.

Mitarbeitenden zugehört

Mitarbeiterbefragungen ­gehören zu einem der meist benutzten In­strumente der Organisationsführung und -entwicklung und können mit verschiedenen Ziel­setzungen durchgeführt werden. Sie lassen sich sowohl zur Dia­gnostik (Schwachstellenanalyse) und Planung als auch zur Evaluation durchgeführter Interventionen verwenden.

Das Potenzial von Mitarbeiterbefragungen wird allerdings nur dann ausgeschöpft, wenn es in ein betriebliches Gesundheitsmanagement eingebunden ist. Krankenkassen wie die AOK bieten den Unternehmen zur Fehlzeitendia­gnose deshalb unter anderem Befragungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an – meist kombiniert mit betriebsbezogenen Analysen zum Krankenstand, Gesundheitszirkeln und zur Arbeitssituation. Anschließend ent­wickeln die AOK-Mitarbeitenden vor Ort gemeinsam mit dem Unternehmen auf die betrieb­lichen Bedürfnisse abgestimmte und qualitätsgesicherte Gesundheitsangebote, um arbeitsbe­dingte Gesundheitsgefahren zu identifizieren und abzubauen. ­Diese Angebote helfen den Unter­nehmen dabei, die Gesundheitssituation ihrer Belegschaften zu verbessern und damit die Krankenstände zu senken.

Der vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) zusammen mit Expertinnen und Experten der AOK entwickelte schrift­liche Fragenkatalog misst mit über 100 standardisierten und geschlossenen Fragen verschiedene zen­trale Indikatoren von Gesundheit und Krankheit am Arbeitsplatz aus der Perspek­tive der Mitarbeitenden. Hieraus können Betriebe einen eigenen unternehmens­spezifischen Fragebogen zusammenstellen.

Die Grundlage der aktuellen Datenanalyse bilden ano­nymisierte Ergebnisse aus Mit­arbeiter­befragungen, die im Rahmen des AOK-Service „Gesunde Unternehmen“ in den Jahren 2011 bis 2023 durch­geführt worden sind. Auch wenn die Daten nicht repräsentativ sind – dafür wäre eine Zufallsstich­probe Voraussetzung –, lassen die Antworten von inzwischen insgesamt 84.289 Mitarbeitenden vielfältige Rückschlüsse auf deren Arbeitsbedingungen und Gesundheitsbelastungen zu. 95 Prozent der Befragten arbeiten in einem Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Am häufigsten vertreten sind das ­verarbeitende Gewerbe mit 41 Prozent, das Gesundheits- und Sozialwesen mit 29 Prozent und die Öffentliche Verwaltung mit 15 Prozent.

Job macht müde

Balkengrafik: Beschwerden mit Arbeitsplatz in Verbindung gebracht – „Haben Sie den Eindruck, dass diese Beschwerden mit Ihrer Tätigkeit oder Ihrem Arbeitsplatz zusammenhängen?“
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) 2024; Grafik: G+G

Mithilfe des WIdO-Fragenkatalogs lässt sich die Häufigkeit von insgesamt 22 gesundheitlichen Beschwerden abfragen. An der Spitze der Beschwerden, unter denen die Befragten nach eigenen Angaben „häufig“ oder „immer“ leiden, stehen Verspannungen und Rückenschmerzen, gefolgt von psychischen Beschwerden wie allgemeine Erschöpfung, Schlaf­störungen, Kopfschmerzen und Lustlosigkeit.

Auffällig ist das Ausmaß, in dem Beschäftigte Zusammenhänge zwischen ihren ­Beschwerden und dem Arbeitsplatz sehen. Insbesondere bei Verspannungen und Rückenschmerzen sowie bei Stresssymptomen wie Lustlosigkeit, Reizbarkeit, Nervosität, Unruhe und allgemeine Müdigkeit spielen aus Sicht der Befragten arbeitsbedingte Einflüsse eine ­große Rolle. Die Mehrheit der immer oder häufig von diesen Beschwerden Betroffenen sieht einen Zusammenhang mit der Arbeit.
 
Zugleich sind deutliche alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede zu beobachten. Erwartungsgemäß nehmen körperliche Beschwerden wie Verspannungen, Rücken- und Gelenkschmerzen mit dem Alter zu. Dagegen sind Kopfschmerzen für jüngere Befragte (22 Prozent) häufiger ein Pro­blem als für Ältere (zwölf Prozent). Frauen berichten durchweg öfter als Männer, dass sie häufig oder immer unter den hier aus­gewerteten zehn Beschwerden leiden. Der größte Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigt sich bei den Verspannungen. Während fast jede zweite Frau darüber klagt (47 Prozent), berichtet nur jeder vierte Mann, häufig oder immer unter diesen Beschwerden zu leiden (25 Prozent). Verspannungen und Rückenschmerzen werden von Frauen nicht nur häufiger genannt. Sie sehen auch öfter als Männer einen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz. Alle anderen Beschwerden werden dagegen von den Männern seltener genannt, dafür aber öfter mit dem Arbeitsplatz in Verbindung gebracht.
 
Getrennt nach Branchen sind muskuloskelettale Beschwerden im Gesundheits- und Sozial­wesen am häufigsten vertreten (Verspannungen: 46 Prozent; Rückenschmerzen: 40 Prozent). Frauen sind auch hier deutlich mehr belastet (48 Prozent; 39 Prozent) als ihre männlichen Kollegen (25 Protent; 26 Prozent).

Betriebsklima bedeutsam

Grafik: Verbesserungsvorschläge gemacht „Was schlagen Sie zur Verbesserung Ihrer gesundheitlichen Situation am Arbeitsplatz vor?“ (Mehrfachnennungen)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) 2024; Grafik: G+G

Der Zusammenhang zwischen Arbeitsplatz und Beschwerden zeigt sich auch darin, dass die Mehrheit der Beschäftigten davon ausgeht, dass Veränderungen der Arbeitsbedingungen ihre Beschwerden verringern könnten. Auf die Frage „Was schlagen Sie zur Verbesserung Ihrer gesundheitlichen Situation am Arbeitsplatz vor?“ geben die Befragten im Schnitt drei Verbesserungsvorschläge an. Lediglich sieben Prozent der Befragten sind der Meinung, dass hier keine Verbesserungen nötig sind.
 
Am häufigsten machen die Befragten Angaben zum Betriebsklima und zur Führung. Sie wünschen sich eine „Verbesserung des Betriebsklimas“ (36 Prozent) sowie „mehr Einsatz der Vorgesetzten für die Mitarbeitenden“ (35 Prozent). An dritter Stelle steht der Wunsch nach Gesundheitskursen (knapp 30 Prozent). Hieran haben Frauen ein größeres Interesse als Männer (57 zu 46 Prozent).

Die Mehrheit der Befragten macht konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz. Bei der Frage nach betrieblichen Gesundheitsangeboten favorisieren die Beschäftigten über alle Altersgruppen und Geschlechter hinweg arbeitsplatz­bezogene Rückenschulungen und Angebote zur Stressbewältigung beziehungsweise Entspannung. Frauen machen hier durchweg häufiger Angaben als Männer.
 
Die größten geschlechtsspezifischen Unterschiede sind bei den Entspannungskursen zu sehen:

73 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer sind da­ran interessiert. Bei Angeboten zu Kommunikation und Führung ist das Verhältnis umgekehrt: 56 Prozent der Männer und 49 Prozent der Frauen sprechen sich dafür aus. Ferner favorisieren die befragten Beschäftigten ­Angebote zu Gymnastik und Bewegung am Arbeitsplatz sowie Programme zur Gewichtsregulierung. Im Vergleich dazu ist das Interesse an betrieblichen Arbeitsgruppen zum Gesundheitsschutz mit zwölf Prozent gering. Dies mag daran liegen, dass nicht jeder Beschäftigte eine konkrete Vorstellung davon hat.
 
Dagegen interessieren sich ­viele der Befragten für Angebote im Bereich Kommunikation und Führung – insbesondere die Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren (50 Prozent), vermutlich da Mitarbeitende in diesem Alter vermehrt in Führungspositionen aufsteigen oder dies anstreben.

Win-Win-Situation für alle

Grafik: Stressbewältigung favorisiert – „Welche der folgenden Gesundheitsangebote wären für Sie von Interesse?“  (Mehrfachnennungen)
Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) 2024; Grafik: G+G

Insgesamt vermittelt die Auswertung der Befragungen der Mitarbeitenden ein gutes Bild davon, wie Beschäftigte die Arbeitsbedingungen im Betrieb ­beurteilen. Daraus ergeben sich vielfältige Ansätze für Unternehmen, die gesundheitliche Situation ihrer Mitarbeitenden nachhaltig zu ver­bessern. Das lohnt sich sowohl aus wirtschaftlicher Sicht für die Betriebe als auch individuell für jeden Beschäftigten.

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