Artikel Versorgung

Geschwächter Lebensretter

20.03.2024 Frank Brunner 5 Min. Lesedauer

Die Zahl der Antibiotikaverordnungen steigt wieder an. Ein Grund für zunehmende Resistenzen. Experten empfehlen einen sparsameren Umgang und Investitionen in neue Wirkstoffe.

Verschwommenes Foto von einem Blister mit Tabletten
500 Millionen Euro investiert die Bundesregierung in neue Antibiotika.

Antibiotikaresistenzen nehmen zu

Die Wunderwaffe ist stumpf geworden. Seit einhundert Jahren zielt sie auf gefährliche Mikroben und rettete unzählige Leben. Doch nun schwindet ihre Wirkung. Manche Bakterien sind mittlerweile resistent gegen bestimmte Antibiotika. Andere Varianten, sogenannte Superbugs, sind sogar unempfindlich gegen mehrere Antibiotikaklassen. „Antibiotikaresistenzen nehmen weltweit zu“, warnte das Robert-Koch-Institut (RKI) schon vor drei Jahren. Einer RKI-Studie von 2023 zufolge sterben jährlich weltweit rund 1,3 Millionen Menschen nach einer bakteriellen Infektion – allein aufgrund einer Antibiotikaresistenz. In Deutschland registriert der Marburger Bund jedes Jahr etwa 9.600 solcher Todesfälle.
 
Ein Grund: Noch immer verordnen manche Mediziner Antibiotika zu oft oder über einen zu langen Zeitraum. Großflächiger Einsatz erzeugt Selektionsdruck auf Bakterienstämme und am Ende überleben resistente oder multiresistente Keime, die unter anderem Borreliose, Scharlach, Sepsis oder Syphilis auslösen können. Um einen Überblick über die Verordnungspraxis zu gewinnen, veröffentlicht das Wissenschaft­liche Institut der AOK (WIdO) jedes Jahr eine Statistik. Die gute Nachricht: Seit 2013 rechneten Ärzte jedes Jahr weniger Antibiotika gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen ab. Bis 2022. Seinerzeit wanderten erstmals wieder mehr Verordnungen über die Apothekentresen des Landes als in den beiden Vorjahren – insgesamt 31 Millionen.

Der Infektiologe Winfried Kern erklärt dies mit einem Nachholeffekt: „Durch die Pandemie sind die Antibiotikaverordnungen ambulant und stationär zurück­gegangen; es gab weniger ärztliche Konsultationen, unter anderem aufgrund unspezifischer Atemwegsinfektionen – jetzt sind sie wieder angestiegen“, sagt er im Gespräch mit G+G. Kern, Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, fordert dennoch: „Wir müssen weiterhin auf eine strenge Indikationsstellung achten.“

Neue Wirkstoffe nötig

Grafik: Der Anteil an Reserveantibiotika, also den alternativen Wirkstoffen bei Resistenzen gegen Standardantibiotika, blieb mit 42 Prozent nahezu unverändert.
Quelle: WIdO

Neben einer zurückhaltenden Verordnungspraxis gäbe es noch eine andere Möglichkeit, Resistenzen zu bekämpfen – neue Wirkstoffe. Doch dafür fehlen Pharmafirmen offenbar ökonomische Anreize. WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder kritisiert: „Die Indus­trie fokussiert sich lieber auf Wirkstoffe, mit denen noch höhere Preise und noch höhere Umsätze erzielt werden können.“ Dabei stellte die Bundesregierung 2018 für einen Zeitraum von zehn Jahren 500 Millionen Euro für die Antibiotikaentwicklung bereit. In den vergangenen zehn Jahren waren nur neun von insgesamt 362 neu eingeführten Wirkstoffen Antibiotika.
 
Für den Arzneimittelexperten Winfried Kern ist ein Problem „die oft langwierige Entwicklungszeit bis zur Marktreife.“ Deshalb müsse die Politik nicht nur in die Forschung, sondern auch in eine sichere Herstellung und Vermarktung von Basisantibiotika investieren, fordert er. „Eine größere Unabhängigkeit von möglichen Problemen auf dem Weltmarkt“, konstatiert Kern, „ist heute mehr denn je angezeigt.“

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