Feature Prävention

Anlaufstelle gegen das Alleinsein

22.01.2024 Ralf Ruhl 5 Min. Lesedauer

Durch Krankheit, Trennung oder den Verlust der Arbeit können soziale Kontakte verloren gehen. Gerade Männer tun sich dann schwer, aus ihrer Isolation herauszukommen. Sogenannte Männerschuppen (Men’s Sheds) wirken der Einsamkeit entgegen und fördern das Wohlbefinden und die Gesundheit.

Foto: Zwei ältere Männer stehen in einer Werkstatt zusammen und reden miteinander.
Handwerken und vieles mehr – Männerschuppen helfen gegen Vereinsamung.

Ein Holzhaus, an der Wand ein paar Strohballen, ein alter Traktor, an dem ein paar ältere Männer mit Schraubenzieher in der Hand und viel Leidenschaft im Herzen herum­werkeln – ist das ein Männerschuppen?

Lennart Semmler, Fachreferent für Männergesundheit bei der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen, lacht. „Das wäre eine sehr romantische Vorstellung“, kommentiert er das soeben ent­worfene Bild. Im Modellprojekt MARS – Männer­schuppen als Orte der Prävention und Gesundheitsförderung für Männer ab 50 Jahren – hat er in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen bereits vier Schuppen initiiert. Bis zu acht sollen es werden. Das Bundes­gesundheitsministerium fördert das Projekt bis März 2025.

Aktivitäten nicht vorgegeben

„Mit den Trägern und den möglichen Akteuren planen wir gemeinsam. Wir arbeiten partizipativ und wollen keine Aktivitäten vor­geben“, so Semmler. Was möglich ist, bestimmen die Teil­nehmer  und ist natürlich an räumliche Bedingungen geknüpft. „Eine ­Gruppe trifft sich im Stadtteil­büro, eine zukünftig in der Stadtteilbibliothek, weitere in Familienzentren sowie Mehrgenerationen- beziehungsweise Bürgerhäusern“, sagt er. Es gebe eine EDV-Gruppe, einen Männerredetreff und auch eine Handwerksgruppe, die unter anderem kaputte Möbel repariert.

Diese Idee wurde in Australien in den 1990er-Jahren entwickelt. Barry Golding, Forschungsexperte für Männerschuppen, ging davon aus, dass Männer für Gesundheitsthemen kaum über direkte Kontakte wie bei einem Arzt­besuch zu erreichen sind. Eine Gruppe von Gleichgesinnten sei da viel wirkungsvoller. Sein Credo: „Men don‘t talk Face to Face: they talk Shoulder to Shoulder“. Offenbar mit Erfolg, denn in Australien gibt es inzwischen weit über 1.200 solcher Einrichtungen.

Tagelang ohne Gespräche

„Wir brauchen neue Wege, um Männer zu erreichen“, sagt Professorin Doris Bardehle, Sozialmedizinerin und Koordinatorin des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Männergesundheit. „Männer verknüpfen ihre Identität immer noch sehr stark mit dem Berufsleben“, sagt sie. „Mit dem Übergang in die Rente geht ein Teil ihres Lebenssinns verloren.“ Das mache sich auch im Alltag bemerkbar, denn die Tagesstruktur fehle. Außerdem seien in der traditionellen Rollenverteilung die Frauen für die Kontakte zuständig. „Viele Männer haben keine Freunde. Einsamkeit wird so zu einem großen Problem. Es gibt Tage, an denen sie mit niemandem sprechen.“

Männerschuppen in Deutschland

Die Stiftung Männergesundheit wählte das Thema Männerschuppen für die Internationale Männergesundheitswoche 2023, um den Stand der Verbreitung in Deutschland zu erfassen und einen Input für die Ausweitung zu geben. Auf den drei Tagungen kamen langjährige Leiter von Männerschuppen zu Wort. Der erste Männerschuppen wurde 2016 in Bamberg gegründet, es folgten Leinfelden-Echterdingen 2018, Dresden 2020 und Kulmbach 2022. Inzwischen gibt es weitere Schuppen in Oberhausen, Brandenburg und Berlin.

Studien belegen präventive Wirkung

Genau hier setzt das niedrigschwellige Angebot der Männerschuppen an. Laut Bardehle belegen Forschungsstudien, dass die Teilnahme an einem Männer-schuppen zur Abnahme von sozialer Isolation führt, zu mehr Freundschaften und insgesamt zu mehr Lebensfreude. Somit würden auch depressive Neigungen bis hin zur Suizidgefährdung abnehmen. 

Semmler betont zusätzlich, dass die Männer sich wieder als selbstwirksam erleben. „Gerade beim Reparieren oder beim Herstellen nützlicher Sachen spüren sie, dass sie etwas können. Da gibt es auch Bezüge zu ihrem bis-herigen Leben, sie kommen in Austausch und Gespräch.“ So kämen dann auch Gesundheitsthemen quasi durch die Hintertür auf den Tisch. Da werde vom letzten Arztbesuch erzählt und überlegt, ob man nicht jemanden einladen könne, der erkläre, wie das mit der Krebsvorsorge gehe. 

Gewinn an Lebensjahren

Daher sieht Bardehle die Männerschuppen auch als eine Möglichkeit, die Lebenserwartung der Männer zu steigern. In Deutschland werden Frauen im Durchschnitt knapp 83 Jahre alt, Männer gut 78 Jahre. In Schweden, Malta und Irland liegt deren Lebenserwartung dagegen über 81 Jahre.

Einen Grund sieht sie in der Bedeutung, die vor allem Irland der Gesundheitspolitik beimisst. „Da geht es nicht nur um Finanzen und Einsparungen. In der Männergesundheitsstrategie von Irland wird explizit die Bildung von Men’s Sheds als Teil des Aufbaus von Sozialkapital für Männer innerhalb von Kommunen formuliert.“ Und eine solche Gesundheitsstrategie würde auch Deutschland gut zu Gesicht stehen.

Wie sich ein Männerschuppen initiieren lässt – sechs Schritte:

  1. Die ersten Männer für eine Gruppe finden, Ansprechperson benennen
  2. Erste Informationsveranstaltung vor Ort
  3. Vorbereitungstreffen, Öffentlichkeitsarbeit, Flyer, Trägersuche
  4. Den richtigen Raum finden, Versicherung und Kosten klären
  5. Gründungsveranstaltung, Namen finden, Programm erarbeiten und vorstellen
  6. Ausstattung besorgen, bei Handwerksgeräten auf Sicherheit achten, ebenso auf Gesundheitsschutz
Illustration einer alten Frau, die mit einer Tasse Tee an einem leeren Tisch sitzt und aus dem Fenster ins Winterwetter blickt
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