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Banger Blick auf 2024 – deutliches GKV-Finanzdefizit im ersten Halbjahr 2023

26.09.2023 Thorsten Severin 8 Min. Lesedauer

Die gesetzlichen Krankenkassen haben das erste Halbjahr 2023 mit einem Defizit von rund 600 Millionen Euro abgeschlossen. Das Minus war erwartet worden, denn gesetzlich war den 96 Kassen 2022 auferlegt worden, in diesem Jahr insgesamt 2,5 Milliarden Euro ihres Vermögens an den Gesundheitsfonds abzuführen. Im ersten Halbjahr fiel davon die Hälfte an.

Foto: Zwei Geldscheine liegen neben einem Stethoskop und einem Taschenrechner auf einem Tisch
Die gesetzlichen Krankenkassen haben das erste Halbjahr 2023 mit einem Defizit von rund 600 Millionen Euro abgeschlossen.

Das Gesundheitsministerium verweist darauf, dass ohne diesen Beitrag in den ersten sechs Monaten ein Überschuss der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von rund 600 Millionen Euro gestanden hätte. Während Ärztevertreter den Kassen nun vorwerfen, es mit ihren Warnungen übertrieben zu haben, sehen GKV-Experten keinen Grund zur Entwarnung.

Den Einnahmen der GKV in Höhe von 151,1 Milliarden Euro standen im ersten Halbjahr Ausgaben von 151,8 Milliarden Euro gegenüber. Konkret wuchsen die Ausgaben für Leistungen und Verwaltungskosten bei einem Anstieg der Versichertenzahlen von 1,1 Prozent um 4,6 Prozent.

Wenige Kassenarten mit Mini-Überschuss

Bei den Kassenarten sieht die Finanzlage unterschiedlich aus: Die Innungskrankenkassen erzielten einen Überschuss von 64 Millionen Euro und die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse ein Plus von fünf Millionen Euro. Defizite erzielten hingegen die AOKen (271 Millionen Euro), die Ersatzkassen (244 Millionen Euro), die Betriebskrankenkassen (111 Millionen Euro) sowie die Knappschaft (69 Millionen Euro).

Im Detail betrachtet stiegen die Leistungsausgaben um 4,9 Prozent. „Hierbei schlägt sich der Inflationsdruck im Gesundheitswesen zunehmend auch in den regelhaften Vergütungsanpassungen in den verschiedenen Leistungsbereichen nieder“, erläutert das Ministerium. Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen stiegen mit sieben Prozent erneut stark an. Ursache für die im Vergleich zu den vergangenen Jahren hohe Veränderungsrate sei die Kombination aus steigenden Preisen, wachsenden Fallzahlen sowie den mit 12,5 Prozent erneut stark gestiegenen Pflegepersonalkosten.

Dämpfend auf die Arzneiausgaben wirkte sich den Berechnungen zufolge die Erhöhung der gesetzlich vorgeschriebenen Rabatte der Pharmaunternehmen aus, die lediglich um 2,4 Prozent stiegen. Die Ausgaben der GKV für ambulante ärztliche Behandlungen wuchsen im ersten Halbjahr moderat um ein Prozent. Stark gestiegen sind die Ausgaben für Schutzimpfungen mit 17,8 Prozent, für häusliche Krankenpflege (zwölf Prozent) sowie für Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen (11,1 Prozent).

Der Gesundheitsfonds wies zum Stichtag 16. Januar 2023 noch eine Liquiditätsreserve von zwölf Milliarden Euro aus. Im ersten Halbjahr verzeichnete der Finanzpool dann aber ein im wesentlichen saisonüblichen Defizit von 5,6 Milliarden Euro. Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,9 Prozent. Hier wirken sich die deutlich gestiegenen Tariflöhne und die infolge höheren Beitragszahlungen aus. Auch die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde im Oktober 2022 sowie der Abbau der Kurzarbeit machten sich positiv bei der Lohnentwicklung bemerkbar.

Zusatzbeitrag bei 1,51 Prozent

Der von den Krankenkassen jeweils selbst zu erhebende Zusatzbeitragssatz liegt laut BMG seit Jahresbeginn 2023 konstant bei 1,51 Prozent und damit unterhalb des Ende Oktober 2022 für 2023 bekannt gegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes von 1,6 Prozent.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach betonte anlässlich der Halbjahreszahlen Mitte September einmal mehr, dass es keine Leistungskürzungen für Versicherte geben solle. Außerdem sei es das Ziel, „die Beitragszahler nicht über Gebühr zu belasten“. Die gesetzlichen Kassen sehen jedoch keinen Grund für Gelassenheit. Durch die Konjunktur und weltpolitische Ereignisse bestehen große Risiken auch für den Arbeitsmarkt. Ebenso birgt die Klinikreform unabsehbare Ausgabenrisiken. Erhebliche Steigerungen zeichnen sich bei den Pflegebudgets ab. Bisherige Schätzungen des GKV-Spitzenverbandes für das Jahr 2024 gehen von einem Defizit zwischen 3,5 und sieben Milliarden Euro aus.

Haushaltskürzungen sorgen für Empörung

Kommt hinzu, dass der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums im nächsten Jahr deutlich abgespeckt wird. 16,22 Milliarden Euro und damit mehr als acht Milliarden Euro weniger als in diesem Jahr billigt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) seinem Kabinettskollegen Lauterbach zu. Anders als in den Vorjahren wird es beispielsweise keinen Extra-Bundeszuschuss über den festen Betrag von 14,5 Milliarden Euro hinaus geben. Die letzten verbliebenen Pandemiemaßnahmen werden zusammengestrichen.

Mehrere Kassenverbände wandten sich im Spätsommer in einer Stellungnahme und einem Brandbrief an politisch Verantwortliche vehement gegen die Haushaltspolitik des Bundes. Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler würden mit höheren Beiträgen die Zeche dafür bezahlen, dass sich der Bund aus seiner Verantwortung stehle, beklagten sie. Mahnungen an die Koalition, Wort zu halten und von der GKV geleistete gesamtgesellschaftliche Aufgaben aus Steuern auszugleichen, lässt die Ampel bislang an sich abprallen. Konkret fordern die Kassen höhere Steuermittel für die Gesundheitskosten von Bürgergeld-Beziehenden, wie es SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich vorgesehen haben. Auch die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel müsse sinken. Allein diese beiden Maßnahmen würden die GKV dauerhaft um 15 Milliarden Euro entlasten, betont der AOK-Bundesverband. Die Regierung bleibe jedoch die versprochenen nachhaltigen Finanzlösungen weiter schuldig und agiere „fiskalisch phantasielos“, moniert Verbandschefin Carola Reimann.

Lauterbach geht von geringer Beitragssteigerung aus

Bundesgesundheitsminister Lauterbach versucht derweil, die Befürchtungen zu dämpfen und rechnet vor, dass die Zusatzbeiträge 2024 wahrscheinlich lediglich um 0,2 Prozentpunkte steigen werden. Im Durchschnitt seien das etwa drei Euro im Monat mehr. „Dafür bekommen wir bessere Medikamente, modernere Technologie, mehr Spezialisierung im Krankenhaus, mehr Digitalisierung. Das muss es uns wert sein“, so der SPD-Politiker. Ob und wann es zu der von der Bundesregierung im vergangenen Jahr versprochenen großen Strukturreform zur Sicherung der Finanzen kommt, bleibt derweil offen.

Mitwirkende des Beitrags

1 Kommentar

Bleibt deshalb die Auszahlung bereits in Vorleistung erbrachter Verhinderungspflege unbearbeitet?

Es ist eine Schande, wie mit Pflegebedürftigen umgegangen wird. Die Menschen werden auf Nachfrage im Regen stehen gelassen. Keine Angabe von Gründen. Einfach aussitzen.

So kommt es mir vor.

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