Nachricht

EU-Ticker Februar 2024

21.02.2024 AOK-Bundesverband 5 Min. Lesedauer

Über 3.500 Änderungsanträge aus dem Europäischen Parlament zur Modernisierung der EU-Arzneimittelgesetzgebung liegen inzwischen vor. Am 7. März will der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) über die Berichtsentwürfe der jeweiligen Parlamentsberichterstatter abstimmen. Weitere Themen sind eine erneute Fristverlängerung für die In-vitro-Diagnostika-Hersteller, neue „Frühstücksrichtlinien“ und eine EU-Bürgerinitiative für besseren Zugang zu medizinischem Cannabis.

Europa-Fahne im Anschnitt, fünf goldene Steren auf tiefblauem Grund

Arzneimittelreform: Flut von Änderungsanträgen im EU-Parlament

Die Modernisierung der EU-Arzneimittelgesetzgebung wird zum erwarteten Marathonverfahren. Bis Ende Januar reichten allein die Abgeordneten des Europaparlaments 3.563 Änderungsanträge zu den Berichten der beiden Parlamentsberichterstatter Tiemo Wölken (Sozialdemokraten) und Pernille Weiss (Europäische Volkspartei) ein. Der deutsche SPD-Politiker Wölken ist zuständig für den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission vom April 2023. Seine Kollegin aus Dänemark ist Berichterstatterin für den parallel vorgelegten Richtlinienvorschlag der Kommission. Nach Angaben der Europavertretung der deutschen Sozialversicherungen (DSV) verhandeln Weiss und Wölken derzeit mit den für die Themen verantwortlichen „Schattenberichterstattern“ der einzelnen Parlamentsfraktionen über inhaltliche Kompromisse für eine gemeinsame Position des Parlaments. Diese ist dann die Grundlage für die Verhandlungen mit dem Europäischen Rat und der Kommission über das Gesetzespaket. Bisher sieht der Parlamentszeitplan vor, dass der Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) am 7. März über die Berichtsentwürfe abstimmt. Das Votum des Parlamentes könnte dann im April folgen.

Die DSV-Europavertretung hält es allerdings für unsicher, dass sich die Fraktionen noch vor Ende der Legislaturperiode im Juni auf eine gemeinsame Position einigen können. Die Vielfalt der Meinungen und die inhaltliche Bandbreite der eingereichten Änderungsanträge seien eine „große Herausforderung. Während sich Grüne, Linke und Sozialdemokraten „eher industriekritisch“ zeigten, seien die Änderungsanträge von Europäischer Volkspartei, Liberalen und nationalistischen Fraktionen „eher industriefreundlich“.

Die DSV begrüßte, dass sich viele Abgeordnete für mehr Transparenz bei der Finanzierung von Arzneimittelinnovationen aussprächen: „Demnach sollen die Arzneimittelhersteller künftig nicht nur in Datenbanken offenlegen, ob und wie viel finanzielle Unterstützung sie von öffentlichen Stellen erhalten haben, sondern darüber hinaus deutlich machen, wie viel Geld sie für die Erforschung und Entwicklung neuer Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… aufwenden.“ Das seien entscheidende Grundlagen für Preisfestsetzungs- und Erstattungsverfahren. Die politischen Differenzen zwischen den Fraktionen zeigen sich laut DSV „insbesondere bei den Änderungsanträgen zur Länge und der Staffelung von Schutzfristen sowie bei den zur Diskussion stehenden Anreizen zur Herstellung von Arzneimitteln“.

Der als Stimme der deutschen Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… in der DSV vertretene Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hatte bereits mehrfach „vor längeren Exklusivitätszeiten für neue Arzneimittel“ gewarnt. Die in den Kommissionsentwürfen vorgeschlagenen Verlängerungen hätten „massive Auswirkungen auf die Arzneimittelpreise, da sie die Monopole für Blockbuster-Arzneimittel weit über den derzeitigen Rechtsrahmen hinaus ausdehnen“, befürchten die Kostenträger.

Weitere Fristverlängerung für In-vitro-Diagnostika-Hersteller wahrscheinlich

Die EU räumt den Herstellern bestimmter In-vitro-Diagnostika (IVD) aller Voraussicht nach eine weitere Fristverlängerung für das Anwenden der bereits seit Mai 2022 geltenden EU-Verordnung Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen einer schriftlichen Anweisung durch… (IVDR) ein. Nach einer ersten Absichtserklärung im Herbst legte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides dem Europaparlament und dem Europäischen Rat jetzt einen konkreten Vorschlag vor. Hintergrund sind nach Darstellung der EU-Kommission insbesondere Versorgungsprobleme bei IVD im Hochrisikobereich.

Aus den verfügbaren Marktdaten gehe hervor, „dass eine beträchtliche Zahl von derzeit auf dem Markt befindlichen In-vitro-Diagnostika den neuen Vorschriften noch nicht entspricht und auch nicht durch neue Produkte ersetzt wurde“, sagte Kyriakides. Besonders kritisch sei die Lage bei Produkten, die beispielsweise zur Untersuchung von Infektionen in Blut- und Organspenden eingesetzt würden. IVD sind Tests zur Bestimmung des Gesundheitszustandes mit biologischen Proben, darunter HIV-Tests, Schwangerschaftstests oder Covid-19-Tests.

Laut aktueller Fristsetzung müssten die Hersteller von Hochrisiko-IVD die neuen EU-Vorgaben spätestens ab dem 26. Mai 2025 erfüllen, für IVD mit geringerem Risiko gilt der Stichtag 26. Mai 2027. Der Kyriakides-Vorschlag sieht vor, den Herstellern von Produkten „mit hohem individuellen und öffentlichen Gesundheitsrisiko wie HIV- oder Hepatitis-Tests (Klasse D)“ einen längeren Übergangszeitraum bis Dezember 2027 einzuräumen. Für IVD „mit hohem individuellen und/oder mittlerem Risiko für die öffentliche Gesundheit wie Krebstests (Klasse C)“ würde die Frist bis Dezember 2028 verlängert. Produkte „mit geringerem Risiko (Klasse B wie Schwangerschaftstests und sterile Produkte der Klasse A wie Blutentnahmeröhren)“ bekämen eine bis Dezember 2029 verlängerte Übergangsfrist. Überdies will die Kommission die Unternehmen verpflichten, frühzeitig über Versorgungsprobleme zu informieren.

Mit der im Mai 2022 in Kraft getretenen IVDR wurde die EU-Bestimmung für die Bewertung und Zulassung Die Berechtigung, zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Leistungen zu erbringen, setzt… dieser Medizinprodukte Medizinprodukte sind Apparate, Instrumente, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder… modernisiert. Die neuen Regeln sollen vor allem die Patientensicherheit steigern. Dazu müssen auch alle bereits auf dem Markt vorhandenen Produkte noch einmal nach den neuen Vorgaben zertifiziert werden. Dafür sind die sogenannten Benannten Stellen zuständig – in Deutschland unter anderem die TÜV-Organisationen und die DEKRA. Bereits im Dezember 2021 hatte die EU unter dem Eindruck der Corona-Pandemie die Übergangsfristen der IVDR verlängert. Grund dafür war vor allem eine nicht ausreichende Zahl zertifizierter Zulassungsstellen. Im März 2023 hatte die EU-Kommission überdies die Abverkaufsfristen für bestimmte Bestandsprodukte gekippt.

„Frühstücksrichtlinien“ können umgesetzt werden

Das Europaparlament hat sich Ende Januar mit den 27 EU-Staaten auf die Umsetzung der sogenannten Frühstücksrichtlinien verständigt. Sie sehen eine transparentere Kennzeichnung von Honig, Fruchtsäften, Konfitüren, Gelees und Milch vor. Zudem sollen sie dazu beitragen, den Zuckergehalt in den Produkten zu senken. Grundlage ist ein Vorschlag der EU-Kommission vom April 2023 zur Reform der 20 Jahre alten Bestimmungen für die Etikettierung und Aufmachung dieser Erzeugnisse. Auf Honig-Verpackungen muss künftig deutlich zu lesen sein, aus welchem Land er kommt. Bisher reichte die Angabe, ob er aus der EU stammt oder nicht.

Für die Vermarktung von Fruchtsäften stehen den Herstellern künftig drei neue Kategorien zur Verfügung: „zuckerreduzierter Fruchtsaft“, „zuckerreduzierter Fruchtsaft aus Konzentrat“ sowie „konzentrierter zuckerreduzierter Fruchtsaft“. „Auf diese Weise können die Verbraucher einen Saft mit mindestens 30 Prozent weniger Zucker wählen“, erläuterte die Kommission. Zudem soll der Zuckergehalt in Konfitüren sinken. Dazu schreibt die neue Verordnung einen höheren Mindestgehalt für den Fruchtanteil vor: 450 Gramm pro Kilo statt 350 Gramm. Bei Produkten der Gruppe „Konfitüre extra“ sind künftig mindestens 500 statt 450 Gramm Fruchtanteil je Kilo vorgegeben. Nach dem Veröffentlichen des endgültigen Textes haben die EU-Länder 18 Monate Zeit, um die neuen Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen.

EU-Bürgerinitiative will besseren Zugang zu Medizin-Cannabis

Die EU-Kommission hat Anfang Februar die „Europäische Cannabis-Initiative“ als EU-Bürgerinitiative registriert. Die Unterstützer setzen sich insbesondere dafür ein, den Zugang zu medizinischem Cannabis und die Erforschung des Cannabis-Einsatzes für therapeutische Zwecke zu verbessern. Die EU müsse „die uneingeschränkte Wahrnehmung des Rechts auf Gesundheit“ gewährleisten, heißt es im Programm. Während die Kommission diese Ziele als zulässig akzeptierte, lehnte sie die Registrierung der Forderung nach einer „transeuropäischen Bürgerversammlung zur Cannabis-Politik“ aus juristischen Gründen ab.

Das im Vertrag von Lissabon verankerte Instrument der europäischen Bürgerinitiative ermöglicht es seit April 2012 allen EU-Bürgern, ein bestimmtes Thema auf die politische Tagesordnung der EU-Kommission setzen zu lassen. Voraussetzung ist die Registrierung einer Initiative und ihrer Ziele durch die Kommission. Ist dies erfolgt, sind eine Million Unterschriften der Einwohner aus mindestens einem Viertel der 27 EU-Länder nötig, um die Kommission aufzufordern, sich mit dem jeweiligen Anliegen zu befassen und dazu einen sogenannten Rechtsakt vorzulegen. Grundlage für die Registrierung ist laut EU-Recht, dass die Ziele der Bürgerinitiative tatsächlich den Aufgabenbereich der Kommission betreffen, „nicht offenkundig missbräuchlich, unseriös oder schikanös“ sind und nicht gegen die Werte der Union verstoßen.

Klinische Studien: Countdown für zentrales Register CTIS läuft

In knapp einem Jahr endet die dreijährige Übergangsfrist zur Einführung des zentralen EU-Informationssystems für Arzneimittelstudien. Spätestens ab dem 31. Januar 2025 müssen alle in den 27 EU-Staaten laufenden klinischen Studien über das von der EU-Arzneimittelagentur (EMA) geführte „Clinical Trials Information System (CTIS)“ genehmigt werden. Die EMA informiert und schult derzeit die Auftraggeber von Studien, die von diesem Stichtag betroffen sind.

Die zum 31. Januar 2022 in Kraft getretene Regulierungsverordnung (CTR) vereinheitlicht die Vorgaben zum Einreichen, Bewerten und Überwachen der klinischen Studien. Zudem gelten neue gesetzliche Vorgaben zum Übermitteln der Ergebnisse. Das neue System erleichtert es nach Angaben der EMA insbesondere, klinische Prüfungen in mehreren EU-Ländern gleichzeitig durchzuführen. Pharmaunternehmen oder Forschungseinrichtungen könnten dann mit einem Antrag ihre Studien in verschiedenen Mitgliedstaaten genehmigen lassen. Dies stärke nicht zuletzt Europa „als attraktiven Standort für klinische Forschung“.

Als Voraussetzung für die EU-Harmonisierung mussten auch in Deutschland das Arzneimittelgesetz Das Arzneimittelgesetz (AMG) zielt auf die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, deren Qualität,… angepasst und die technischen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Genehmigung und Überwachung klinischer Studien liegt laut Verordnung weiter in der Verantwortung der 27 EU-Staaten. Beteiligt sind zudem Island, Norwegen und Liechtenstein. Die EMA ist für die CTIS-Betreuung verantwortlich.