„Erste Hilfe ist ein lebenswichtiges Glied in der Rettungskette“
Erste Hilfe kann Leben retten. Anja Debrodt, Ärztin im AOK-Bundesverband, erklärt, wie wichtig es ist, dass beispielsweise bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand, schnell geholfen wird. Darauf macht auch der Welt-Erste-Hilfe-Tag aufmerksam, der jedes Jahr am zweiten Samstag im September stattfindet.

Frau Debrodt, warum ist es sinnvoll, dass Jugendliche die sogenannte Laienreanimation in der Schule lernen?
Anja Debrodt: Ab einem Alter von 12, 13 Jahren sind Jugendliche meist körperlich in der Lage, eine Herzdruckmassage und auch eine Beatmung durchführen zu können. Ein plötzlicher Herz-Kreislauf-Stillstand kann jeden Menschen treffen. Circa 30 Prozent der Betroffenen haben keine oder nur leichte Vorerkrankungen. Laut Jahresbericht des Deutschen Reanimationsregisters fanden im Jahr 2024 mehr als 68 Prozent der Herz-Kreislauf-Stillstände in der Wohnung und knapp 16 Prozent in der Öffentlichkeit statt. In mehr als der Hälfte der Fälle wurde der Herz-Kreislauf-Stillstand dabei von einer anderen Person beobachtet. Das verdeutlicht, dass jede und jeder wissen sollte, was in einem solchen Notfall zu tun ist und es früh erlernen sollte. Die ersten fünf Minuten sind nämlich entscheidend, ob und wie ein Mensch einen Herz-Kreislauf-Stillstand überlebt.
Vor allem die sofortige Herzdruckmassage ist lebenswichtig, denn der Rettungsdienst schafft es meist nicht, innerhalb von wenigen Minuten da zu sein. Doch mit nur 55 Prozent lag die Quote der Laienreanimation in Deutschland weit unter den Quoten anderer europäischer Länder. So wird in Schweden oder den Niederlanden eine Quote von bis zu 80 Prozent erreicht.
Wiederbelebungsunterricht in Schulen
Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wollen ab 2026 Wiederbelebungsunterricht verpflichtend in die Lehrpläne aufnehmen. Im Saarland gibt es so einen Unterricht bereits, Hessen plant die verpflichtende Einführung bis 2028, wie eine aktuelle Umfrage des Evangelischen Pressedienstes in allen Bundesländern ergab. In anderen Bundesländern gibt es entsprechende Angebote auf freiwilliger Basis.
Mehr als 120.000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses und nur elf Prozent der Betroffenen überleben. Die Laienreanimation ist somit das erste Glied in der Rettungskette. Wenn diese Reanimation optimal verläuft, könnte sich die Überlebensrate verdoppeln oder sogar verdreifachen, wie Erfahrungen anderer Länder, etwa Norwegen oder Dänemark, zeigen. Schülerinnen und Schüler in lebensrettenden Maßnahmen auszubilden, ist daher ein wichtiger Baustein, um die Überlebensrate nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand zu erhöhen.
Wer schon in jungen Jahren in Erster Hilfe geschult wurde, hat zudem meist weniger Hemmungen zu helfen. Es ist daher auch sinnvoll, schon Vorschulkinder an die Erste Hilfe heranzuführen. Sie haben zwar noch nicht die Kraft für eine Herzdruckmassage, können jedoch spielerisch lernen, wie beispielsweise Brand- oder Schnittwunden versorgt werden oder dass sie im Notfall einfach Hilfe holen müssen.
„Wer schon in jungen Jahren in Erster Hilfe geschult wurde, hat (...) meist weniger Hemmungen zu helfen. “
Ärztin im AOK-Bundesverband
Viele Erwachsene sind hilflos, wenn ein Mensch in ihrer Nähe plötzlich umkippt oder wenn sie als Erste an einem Unfallort sind. Warum?
Debrodt: Oft wird nichts unternommen, etwa aus Angst, etwas falsch zu machen, aus Unkenntnis, Angst vor Ansteckung oder auch aus Ekel. Das Problem ist, dass viele Menschen einen Erste-Hilfe-Kurs nur einmalig im Rahmen der Führerscheinprüfung gemacht haben. Dort wird dann leider oft zu wenig Zeit mit dem Thema Reanimation verbracht. Dabei wäre es wichtig, dass jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin am Dummie eine Reanimation erfolgreich durchgeführt hat und auch den Umgang mit dem automatisierten externen Defibrillator, dem AED, durch praktische Anwendung erlernt hat.
Mit der Zeit verliert sich das Wissen und im Ernstfall sind viele Menschen dann unsicher. Daher sollte alle zwei Jahre das Erste-Hilfe-Wissen aufgefrischt werden. In Deutschland werden anerkannte Erste-Hilfe-Kurse von verschiedenen Organisationen und Einrichtungen angeboten. Es gibt auch spezielle Kurse für Herz-Lungen-Wiederbelebung bei Säuglingen und Kleinkindern, die alle werdenden Eltern besuchen sollten.
Was sind die Anzeichen für einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand?
Debrodt: Durch Versagen der Pumpfunktion des Herzens fällt das Herz-Kreislauf-System aus und es kommt zum Kreislaufstillstand. Die ersten Anzeichen sind plötzliche Bewusstlosigkeit, unregelmäßige Atmung oder Atemstillstand. Weitere Symptome sind ein fehlender Puls, blasse oder bläuliche Hautfarbe, keine Reaktion auf Reize oder erweiterte Pupillen.
Wie funktioniert Reanimation?
Debrodt: Kurz gesagt lautet die Formel für die Reanimation: Prüfen – Rufen – Drücken:
- Prüfen, ob die Person auf lautes Ansprechen oder Schulterrütteln reagiert und normal atmet. Wenn sie nicht reagiert und nicht normal atmet: unmittelbar Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten.
- Den Notruf 112 rufen – das sollte nach Verfügbarkeit eine weitere Person machen, damit schnellstmöglich mit dem Drücken begonnen werden kann.
- Die zu rettende Person auf den Rücken legen, ihren Oberkörper frei machen. Der Ersthelfer oder die Ersthelferin kniet dabei neben dem Brustkorb der Person. Dann wird mit übereinandergelegten Handballen in der Mitte des Brustkorbes auf Höhe der Brustwarzen mit durchgestreckten Armen bei Erwachsenen mindestens fünf, höchstens sechs Zentimeter tief das Brustbein gedrückt, bis der Rettungsdienst eintrifft – und das 100- bis 120-mal pro Minute. Sofort danach muss der Druck ganz weggenommen und der Brustkorb entlastet werden. Sind mehrere Helferinnen und Helfer vor Ort, sollten sie sich alle zwei Minuten abwechseln, da die Herzdruckmassage anstrengend ist.
Um auf die 100- bis 120-mal pro Minute zu kommen, gibt es einige Lieder mit entsprechend Beats . Dazu gehören zum Beispiel „Staying Alive“ von den Bee Gees, „I will Survive“ (Gloria Gaynor) oder „Poker Face“ von Lady Gaga. Eine zusätzliche Beatmung und der Einsatz eines AED sind sinnvoll, um die Überlebenswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Ich appelliere an jede und jeden: Schauen Sie in einer Notsituation nicht weg, sondern leisten Sie Erste Hilfe. Sie können Leben retten!
Mitwirkende des Beitrags

Autorin

Datenschutzhinweis
Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.
Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.