Interview Versorgung

„Wir haben bei der Ersten Hilfe viel verkompliziert“

28.02.2025 Stefanie Roloff 4 Min. Lesedauer

Notarzt und Comedian Lüder Warnken möchte Deutschland zum besten Ersthelferland der Welt machen, so seine Mission. Dafür kombiniert er Wissensvermittlung mit Comedy für medizinische Laien.

Foto von Lüder Warnken in Arbeitskleidung im Rettungswagen
Lüder Warnken ist Notarzt und Comedian.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Comedy-Programm zum Thema Notfall zu machen?

Dr. Lüder Warnken: Ich bin seit 32 Jahren im Rettungsdienst tätig und hatte bereits über 5.000 Einsätze. Wenn ich Menschen frage, was sie mit dem Thema Notfall verbinden, denken sie meist nur an Schreckliches, wie etwa einen Unfall, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Aber es gibt auch sehr witzige Ereignisse, auf die kein Gagschreiber kommen würde. Ich habe früh damit angefangen, solche Geschichten zu sammeln und auf Open Mics zu testen, was bei einem Laienpublikum funktioniert. Daraus entwickelte sich meine medizinische Stand-Up-Comedy, mit der ich seit 2016 bundesweit auf Bühnen unterwegs bin.

Was ist Ihnen zum Beispiel Lustiges passiert?

Warnken: Es gab einen Einsatz, da sagte die Patientin total enttäuscht: „Ich hätte gedacht, dass ein Notarzt mit dabei ist.“ Da zeigte meine Kollegin auf mich und meinte: „Da ist er doch!“, woraufhin die Frau erwiderte: „Der sieht aber nicht so aus.“ Ich habe ihr dann mein Schild mit der Berufsbezeichnung gezeigt und sie sagte: „Das müssen Sie mir aber zeigen, wenn sie reinkommen.“ Da dachte ich mir, dass es so ernst nicht sein kann. Ereignisse wie diese kann sich keiner ausdenken.

„Im Rettungsdienst gibt es auch sehr witzige Ereignisse, auf die kein Gagschreiber kommen würde.“

Dr. Lüder Warnken

Notarzt und Comedian

Was möchten Sie mit Ihrer Comedy-Show erreichen?

Warnken: Bei vielen Menschen ist der Erste-Hilfe-Kurs sehr lange her und die meisten haben wenig Lust, erneut einen solchen zu besuchen. Deshalb habe ich mich gefragt, wie wir die Leute dazu bewegen können, im Notfall tätig zu werden. Denn in der Regel brauchen wir bis zu zehn Minuten, um mit dem Rettungsdienst vor Ort zu sein – da benötigen wir die Unterstützung von Ersthelfenden. Vor diesem Hintergrund kam die Idee bei mir auf, Comedy und Wissensvermittlung rund um die Erste Hilfe zu kombinieren. Das war die Geburtsstunde von „Scheiße, ein Notfall“, einem Programm, das aus zweimal 60 Minuten mit Pause besteht.
 
Wie kann man Menschen im Notfall die Hemmung nehmen, Erste Hilfe zu leisten?

Warnken: Wir haben in Deutschland in der Ersten Hilfe viel verkompliziert und den Fokus zu sehr auf die unterlassene Hilfeleistung gelegt. Stattdessen sollten wir sagen: „Es ist so einfach – das kannst du auch.“ Helfende brauchen vor rechtlichen Konsequenzen keine Angst zu haben. Was sie benötigen, sind klare Ablaufpläne und vorgegebene Handgriffe.

 

„Die 112 ist der Filter, wenn Laien das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt.“

Dr. Lüder Warnken

Notarzt und Comedian

Welche Arten von Notfällen gibt es?

Warnken: Im Grunde gibt es drei Notfallsituationen: Eine Person, die bei Bewusstsein ist und ein großes Problem hat, wie etwa starke Brust- oder Kopfschmerzen. In diesem Fall müssen wir „nur“ die 112 rufen und bei der Person bleiben. Notfallsituation zwei ist eine Person, die bewusstlos ist, aber noch atmet. Dann ruft man auch die 112 und dreht sie in die stabile Seitenlage. Im dritten Fall ist die Person bewusstlos und atmet nicht. Dann braucht sie eine Herzdruckmassage, bis der Rettungsdienst da ist. Eine Beatmung ist hier nicht notwendig, wenn man diese nicht beherrscht. Vielmehr gilt: „Prüfen. Rufen. Drücken.“
 
Was würden Sie sich von der Politik im Hinblick auf die Rahmenbedingungen der Ersten Hilfe wünschen?

Warnken: Die Hauptschnittstelle zwischen medizinischem Notfallbereich und Laien sind Erste-Hilfe-Kurse. Hier sollten wir vermitteln, dass Hilfe im Notfall kein Detailwissen zu ganz vielen Krankheitsbildern erfordert, sondern ganz simpel ist. Die richtige Diagnose müssen nicht die Ersthelfenden stellen, das ist Aufgabe der Fachkräfte.  

Vielmehr ist die 112 der Filter, wenn Laien das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt. Es ist der Job der Leitstelle zu entscheiden, ob ein Hausarztbesuch am nächsten Tag ausreicht, der Kassenärztliche Bereitschaftsdienst beziehungsweise ein Rettungswagen mit oder ohne Notarzt kommen soll – nicht die Bevölkerung muss das entscheiden. Gleichzeitig brauchen wir bundesweit mehr Kompetenzen für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Denn nicht immer muss eine Notärztin oder ein Notarzt beim Rettungseinsatz mit dabei sein.

Zur Person

Neben seiner Tätigkeit als Notarzt gibt Dr. Lüder Warnken kompakte Notfalltrainings für Laien, Praxen und Krankenhäuser. Seit 2016 ist er mit seiner medizinischen Stand-Up-Comedy „Scheiße, ein Notfall“ auf bundesweiten Bühnen unterwegs – unter anderem bei Formaten wie „NightWash“ und „Komische Nacht“. 2024 ist sein gleichnamiges Buch erschienen.

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