Interview Versorgung

Klinikbau: Konsistenzprobleme verhindern Nachhaltigkeit

03.07.2025 Ines Körver 4 Min. Lesedauer

Nachhaltigkeit ist in aller Munde, auch im Gesundheitswesen. Im Klinikbau verhindern allerdings schlechte Rahmenbedingungen oft schlaue Lösungen und sorgen somit für unnötige Kosten, krankes Klinikpersonal und suboptimal versorgte Patienten. Das meint der Architekt Tom Guthknecht im Gespräch mit G+G. Er ist auf Krankenhausbauten spezialisiert, lehrt an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und hat Bauprojekte in diversen Ländern realisiert.

Foto: Blick auf mehrere Rettungswagen in einer Einfahrt eines Krankenhausses nähe der Notaufnahme
Im Hinblick auf nachhaltige Klinikarchitektur gibt es noch zuviele Einzellösungen.
Foto: Tom Guthknecht, Architekt mit Pflegeausbildung und Lehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich.
Tom Guthknecht – Architekt mit Pflegeausbildung und Lehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich

Sie beschreiben deutsche Kliniken immer wieder als wenig nachhaltig. Liegt das nur daran, dass die Häuser extrem schwer umzubauen sind oder gibt es noch weitere Gründe?

Tom Guthknecht: Durchaus. Nachhaltigkeit wird von den Krankenhäusern selbst oft als teurer Luxus empfunden. Das Beispiel München-Bogenhausen zeigt aber, dass man mit Nachhaltigkeit sogar Geld verdienen kann. Die Investitionen amortisierten sich dort in solch einem Projekt innerhalb der ersten Jahre und ab dann klingelte die Kasse. Jeder, der sagt: „Nachhaltigkeit ist uns zu teuer“, hat die Botschaft nicht verstanden.

Die größte Hürde für die Nachhaltigkeit ist aber die mangelnde Konsistenz. Es gibt viele teure Einzellösungen, die nicht miteinander vernetzt sind, sich gegenseitig widersprechen und damit den Investitionsaufwand komplett unwirksam machen.

Gibt es Vorbilder für nachhaltige Klinikarchitektur?

Guthknecht: Ja, das Ospedale Maggiore di Milano von Filarete, das 500 Jahre als Spital funktionierte. Mit fünf Grundregeln kommen Sie da zum Erfolg. Erstens weniger Geschosse, bestenfalls weniger als sechs. Zweitens hohe Geschosshöhen in allen Geschossen, nichts unter 4,40 Meter. Drittens angemessene Gebäudetiefe, das heißt, nichts unter rund 25 Metern. Viertens Lichthöfe. Fünftens keine innen liegenden Steig- und Fallschächte; dadurch haben wir eine offene Produktionsplattform, die beliebig verändert werden kann. Interessant hierbei ist, dass das Projekt von Renzo Piano für die Uniklinik Saint Ouen in Paris 2022 ein komplettes Ebenbild mit deckungsgleicher Ähnlichkeit zum Ospedale Maggiore di Milano ist. Man sollte sich daher auf die Typologie von Filarete von 1456 beziehen.

In den Niederlanden möchte ich als Beispiel das Meander Medical Center in Amersfort nennen, auch wenn es an einigen Stellen recht viele Geschosse hat, sowie andere niederländische Krankenhäuser. In Deutschland ist in meinen Augen nach wie vor die Klinik Agatharied von Nickl Weller, gebaut 1998, richtungsweisend. Auch dort werden die fünf Regeln berücksichtigt und dabei hervorragende Raumqualitäten für den Patienten geschaffen.

„Wir brauchen unbedingt Forschung für eine innovative, kostengünstige Krankenhausarchitektur.“

Tom Guthknecht

Architekt

Lassen sich Krankenhäuser schlauer bauen, sodass auch die Menschen, die dort arbeiten, profitieren?

Guthknecht: Ja, wir haben uns in den Projekten, die wir begleiten dürfen, das Ziel gesetzt, eine sogenannte Peace-of-Mind-Architecture umzusetzen. Wir haben es ja nach Corona gehört: „Applaus alleine reicht nicht.“ Nun müssen wir etwas für die Mitarbeiter tun. Der Rücken einer Pflegekraft trägt durch die Hebelwirkung im Lendenwirbelbereich rund siebeneinhalb Tonnen pro Tag. Das ist in Studien belegt. Deshalb ist der Rücken einer Pflegekraft auch nach 15 Jahren durch. Dann sind diese Leute in der Umschulung, verlassen den Job oder gehen in Rente. Wir brauchen also eine konsequent rückenschonende Architektur. Bei der Prozessoptimierung galt lange „just in time“ als Goldstandard. Das kommt aus der Automobilindustrie von José Ignacio López und das trug man wie eine Monstranz vor sich her. Infolge dessen bürden wir aktuell den Mitarbeitern immer mehr zusätzliche Dokumentations- und Logistikaufgaben auf, anstatt sie zu entlasten. So wird die eigentliche Pflegearbeit zur Nebensache. Fazit: Wir brauchen eine auf den unmittelbaren Arbeitsplatz zugeschnittene Architektur, die die Mitarbeiterin mental entlastet, physisch unterstützt und somit gesundheitsförderlich ist

Kann man auch für die Patienten etwas besser gestalten?

Guthknecht: Da gilt: Mobilisierung führt zur Verkürzung der Aufenthaltszeiten. Deshalb brauchen wir Patienten-Lounges auch auf den Kassenstationen mit Internet, Sitzgruppen und Getränken. Holland macht das so. Das ist kein Luxus, sondern eine Investition zur Kostensenkung. Wir müssen die Patienten ab Tag eins aus dem Bett locken. Mit mehr Bewegung atmen sie besser Narkosegas ab, stärken ihre Muskulatur und verkürzen damit die Aufenthaltsdauer.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Demografie. Untersuchungen zeigen, dass aktuell in internistischen Akutstationen der Anteil an Demenzbetroffenen 20 Prozent und höher sein kann. Wir müssen daher eine altersgerechte Akutkrankenhaus-Struktur aufbauen.

Foto: Über einem grünen Wald stehen zwei Fußabdrücke als Symbol.
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Was kann oder muss die Politik ändern, um nachhaltiges Bauen von Kliniken zu fördern?

Guthknecht: Das große Vorbild haben wir in Deutschland mit den Berufsgenossenschaften, die die Vollkostenrechnung umgesetzt haben. Hier wird alles finanziert von der unmittelbaren Versorgung, medizinischen Versorgung nach einem Unfall, bis hin zur Umschulung und Rentenanspruch und Sterbegeld.

Was wir aktuell haben und was die Politik ändern muss, ist die Trennung der Zuständigkeitsbereiche durch die duale Finanzierung. Das heißt: Aktuell finanzieren Land und Trägerschaften den Bau und die Krankenkassen über Beiträge den Betrieb. Dies verhindert strategische Investitionen, weil man von der baulichen Seite vor allen Dingen günstig bauen will, aber nicht auf die betrieblichen Folgekosten achtet. Wir brauchen unbedingt Forschung für eine innovative, kostengünstige Krankenhausarchitektur und eine zertifizierte Ausbildung in der Krankenhausplanung.

Am schlimmsten sieht es aus bei der Erstellung der Rahmenbedingungen für die Krankenhausprojekte, also zum Beispiel bei den Raumprogrammen und Betriebskonzepten für einen Krankenhauswettbewerb. Dies ist deshalb entscheidend, weil diese Vorgaben später für die Ausführung und komplett für die Realisierung bindend sind. Aktuell sind die Institutionen, die diese Dokumente erstellen sollen, oft völlig überfordert. Die Folge ist eine rückwärtsgewandte Krankenhaus-Architektur, die mit Antworten von gestern die Probleme von morgen bewältigen soll. Die Politik muss einen runden Tisch der strategischen Positionierung von Gesundheitsbauten initiieren und das lange vor den ersten Bauprojekten.

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