Artikel Prävention

Neue Wege bei der Früherkennung des Prostatakarzinoms

26.06.2025 Solveig Giesecke 4 Min. Lesedauer

In der Debatte um die Früherkennung von Prostatakrebs ging es bislang um die Frage, ob Tastuntersuchung oder PSA-Test sinnvoller ist. Nun stellt eine überarbeitete Fassung der S3-Leitlinie Prostatakarzinom die Diskussion auf eine andere Basis.

Eine Hand im blauen Handschuh hält eine Blutprobenröhrchen, das ein Label trägt, wo "PSA" draufsteht, in die Kamera.
Die Ergebnisse einer neuen Studie waren maßgeblich an der Einführung des PSA-Tests als führende Vorsorgepraktik für Prostatakrebs beteiligt.
Portraitbild von Prof. Dr. Peter Albers, Leiter der Urologischen Universitätsklinik Düsseldorf und der Abteilung für Personalisierte Früherkennung des Prostatakarzinoms am Deutschen Krebsforschungszentrum
Prof. Dr. Peter Albers, Leiter der Urologischen Universitätsklinik Düsseldorf und der Abteilung für Personalisierte Früherkennung des Prostatakarzinoms am Deutschen Krebsforschungszentrum

Die Früherkennung des Prostatakarzinoms wird sich wohl grundlegend ändern. Eine zentrale Rolle spielt dabei die überarbeitete S3-Leitlinie, die in ihrer aktuellen Konsultationsfassung die digital-rektale Untersuchung (DRU) - also die manuelle Tastuntersuchung - nicht mehr als Bestandteil der Früherkennung nennt. Im März wurde die Überarbeitung der S3-Leitlinie Prostatakarzinom vorgestellt. Statt der Tastuntersuchung, die über Jahrzehnten Männern ab 45 Jahren zur Früherkennung angeboten wurde, wird nun ein mehrstufiges – an das persönliche Risiko angepasste – Verfahren empfohlen.

Inzwischen ist das Konsultationsverfahren zur S3-Leitlinie abgeschlossen. „Es gab vielfältige Kommentare zur neuen Leitlinie. Die Fragen wurden alle beantwortet, die Leitlinie selbst aber nur semantisch und formal geändert, nicht inhaltlich“, erklärte Peter Albers, Leiter der Urologischen Universitätsklinik Düsseldorf und der Abteilung für Personalisierte Früherkennung des Prostatakarzinoms am Deutschen Krebsforschungszentrum, gegenüber G+G. „Es gab nur ein bis zwei zusätzliche Abstimmungen für den finalen Text.“

Der PSA-Test als zentrales Instrument

Albers ist zudem Leiter der PROBASE-Studie, die vom Deutschen Krebsforschungszentrum koordiniert wird und deren Ergebnisse maßgeblich zur Änderung der S3-Leitlinie Prostatakarzinom beigetragen haben. Basierend auf den Daten der Studie konnte nachgewiesen werden, dass die rektale Tastuntersuchung wegen einer zu geringen Empfindlichkeit und zu hohen Falsch-Positiv-Rate nicht zur Früherkennung von Prostatakrebs bei Männern im Alter von 45 Jahren geeignet ist.

Zugleich wird mit der Studie die Wirksamkeit eines risikoangepassten PSA-Screenings zur Früherkennung erfolgreich erprobt. So steht nun die Messung des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) im Blut im Mittelpunkt der neuen Früherkennungsstrategie. Um Veränderungen feststellen zu können, bedarf es dazu zunächst eines Basiswertes im mittleren Lebensalter. Dieser ermöglicht es, im Rahmen eines Screenings, Veränderungen über die Zeit festzustellen. Zudem kann anhand des Basis-PSA-Wertes eine erste Risikoeinschätzung erfolgen.

Mehrstufiges Vorsorge-Verfahren

Folgende Schritte sieht das neue Vorsorgeverfahren vor: Männer ab 45 Jahren sollen laut Leitlinienempfehlung über die Vor- und Nachteile einer Früherkennung informiert werden. Entscheiden sie sich für ein Screening, wird ein PSA-Test durchgeführt. Je nach Höhe des PSA-Werts wird dann das weitere Vorgehen festgelegt:

  • PSA < 1,5 ng/ml: geringes Risiko - nächster Test in fünf Jahren
  • PSA zwischen 1,5 und 2,99 ng/ml: intermediäres Risiko - Test alle zwei Jahre
  • PSA ≥ 3 ng/ml: hohes Risiko - Kontrollmessung innerhalb von drei Monaten, dann gegebenenfalls weiterführende Diagnostik

Hierzu gehört nicht mehr gleich die Biopsie, sondern insbesondere die Magnetresonanztomografie (MRT) der Prostata, die bildgebend beurteilt, ob auffällige Strukturen vorliegen. Nur bei verdächtigen Befunden erfolgt eine Biopsie, also eine Gewebeentnahme zur histologischen Untersuchung.

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Der wissenschaftliche Hintergrund: die PROBASE-Studie

Eine wichtige Grundlage für die Änderung der S3-Leitlinie war die PROBASE-Studie (Risk-Adapted Prostate Cancer Early Detection Study Based on a Baseline PSA Value in Young Men). Dabei handelt es sich um eine der größten Studien zur Prostatakrebs-Früherkennung. Sie rekrutierte von 2014 bis 2019 Teilnehmer im Alter von 45 Jahren in vier Universitätskliniken (Düsseldorf, Hannover, Heidelberg und München) unter Koordination des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, die dann bis zu ihrem 60. Lebensjahr in unterschiedlichen Risikogruppen untersucht werden.

Mehr als 46.000 Männer im Alter von 45 Jahren wurden über die Einwohnermeldeämter eingeladen und zufällig einer von zwei Gruppen zugeteilt:

  • Gruppe A: PSA-Test mit 45 Jahren
  • Gruppe B: PSA-Test erst mit 50 Jahren

Das eigentliche Screeningkonzept war für beide Gruppen identisch. Es basiert auf dem Basis-PSA-Wert, also dem ersten gemessenen PSA-Wert, der das individuelle Risiko für ein lebensbedrohliches Prostatakarzinom anzeigt.

Rund 90 Prozent der Teilnehmer hatten einen PSA-Wert <1,5 ng/ml und zählen damit zur Niedrigrisikogruppe. Das bedeutet für sie: Bis zum 60. Lebensjahr sind nur vier weitere Kontroll-Tests notwendig. Die PROBASE-Studie zeigt somit, dass ein Großteil der Männer durch ein solches risikoadaptiertes Vorgehen von unnötigen Untersuchungen verschont bleiben kann. Risikopersonen hingegen werden engmaschiger begleitet, um Veränderungen frühzeitig bewerten zu können.

„Die Evidenz spricht für den PSA-MRT-Algorithmus.“

Peter Albers

Leiter der Urologischen Universitätsklinik Düsseldorf

Hypothese zu Gruppe B

Auch die Teilnehmer der Gruppe B, deren Basis-PSA-Test im Alter von 50 Jahren erfolgte, befinden sich noch in der Nachbeobachtungsphase der Studie. Die Hypothese der PROBASE-Studie ist, dass bis zum Alter von 60 Jahren kein signifikanter Unterschied in der Zahl der Metastasen durch aggressive Prostatakarzinome zwischen beiden Gruppen besteht; die Reduktion der auch invasiven Untersuchungen durch einen Beginn eines potenziellen Screenings erst ab dem Alter von 50 Jahren aber signifikant ist. 

Erste Zwischenergebnisse deuten darauf hin, dass sich diese Hypothese bestätigen könnte: Bei Männern mit einem niedrigen PSA-Wert im Alter von 50 Jahren reicht ebenfalls ein Screening-Intervall von fünf Jahren aus, ohne dass relevante Karzinome übersehen werden. Daher empfiehlt die Leitlinie auch nicht ausdrücklich den Start mit 45 Jahren, sondern setzt auf eine informierte, individuelle Entscheidung über den Zeitpunkt des Screeningbeginns.

MRT wird im Rahmen der Diagnostik gestärkt

Die Tastuntersuchung wird zwar nicht mehr zur Früherkennung empfohlen, dennoch gibt es Stimmen, die sie parallel zum PSA-Wert als sinnvoll erachten. So betonte Bernhard von Treeck, unparteiisches Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt: „Wenn man mit Urologen spricht, ist es beispielsweise nicht so, dass die Tastuntersuchung komplett rausfallen kann.“ Die DRU sei nach wie vor ein einfaches Instrument zur Abschätzung der Prostatagröße und könne in Kombination mit dem PSA-Wert diagnostischen Mehrwert bieten.

Auch Thomas Kötter vom Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck, Mitglied der Leitliniengruppe, verwies auf den Nutzen der Tastuntersuchung, insbesondere wenn ergänzend zur PSA-Bestimmung eine klinische Einschätzung sinnvoll erscheine. Peter Albers bestätigt, dass die DRU zwar als alleinige Früherkennungsmethode nicht sinnvoll sei, bei der Diagnostik aber „in eingeschränktem Maße“ vertretbar sei, um etwa das Volumen zu bestimmen. Dies sei aber zur Risikoeinstufung erst ab einem Alter von über 50 Jahren sinnvoll, da bis dahin das Volumen immer < 40 ml sei.

Schritt hin zu einer Kassen-Leistung?

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie, Bernd Wullich, sieht in der neuen Leitlinie einen Meilenstein: „Damit ist zugleich ein entscheidender Schritt für die Etablierung eines organisierten risikoadaptierten PSA-basierten Prostatakarzinom-Früherkennungsprogramms als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland getan", sagte er bei der Vorstellung der geänderten Leitlinie. Studienleiter Peter Albers ist überzeugt: „Die Evidenz spricht für den PSA-MRT-Algorithmus“, sagte Studienleiter Albers zu G+G. Doch: „Inwieweit der GBA dies zum Anlass nimmt, die aktuellen Leistungen der GKV zu überprüfen, wissen wir nicht.“ Gegebenenfalls werde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erneut mit einer Prüfung beauftragt.

Aktuell ist der PSA-Test in Deutschland keine reguläre Früherkennungs-Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Er wird nur erstattet, wenn bereits Beschwerden vorliegen. Die jährliche Tastuntersuchung hingegen ist für Männer ab 45 Kassenleistung.

Ein Verfahren zur Überprüfung und möglichen Einführung des PSA-basierten Screenings als GKV-Leistung müsste formell beantragt werden. Ein solches Bewertungsverfahren durch das IIQWiG dauert in der Regel mindestens zwei Jahre mit anschließenden Verhandlungen über die Vergütung.

Internationaler Kontext und Kritik

Die Europäische Kommission empfiehlt seit 2022 ein kombiniertes Screening mit PSA und MRT. Schweden hat ein solches Programm bereits eingeführt. In Deutschland wird diese Strategie von einigen Experten kritisch gesehen: Stefan Sauerland vom IQWiG betont, dass die kombinierte Screeningstrategie bisher nicht umfassend in Langzeitstudien untersucht worden sei. Auch die Altersgrenzen seien umstritten. Ein Screeningbeginn mit 45 Jahren sei angesichts der niedrigen Erkrankungsrate in diesem Alter fraglich. Ola Bratt von der Universität Göteborg sieht den optimalen Beginn bei 50 bis 55 Jahren.

Demgegenüber argumentiert Peter Albers, dass durch den frühen Basis-PSA-Test bei 45-jährigen Männern 90 Prozent für fünf Jahre vom Screening ausgenommen werden können. Das habe nicht nur ökonomische Vorteile, es entlaste auch die Männer. Zudem erlaube dieser frühe Test, Hochrisikopatienten frühzeitig zu erkennen.

Vermutlich Ende Juni wird die finale Fassung der Leitlinie veröffentlicht.

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