Interview Versorgung

„Jetzt geht es darum, die Menschen bei der Klinikreform mitzunehmen“

03.06.2025 Anja Schnake 4 Min. Lesedauer

Mit dem Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz will die Bundesregierung im komplexen Kliniksektor eine bestimmte Entwicklung anstoßen. Interview mit Andreas Beivers, Professor für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius, über Hintergrund, Ziele und Stellschrauben der Reform.

Ein leerer Krankenhausflur, am rechten Rand steht ein leeres Krankenhausbett. Ganz hinten ein Tresen, hinter dem eine Frau sitzt und arbeitet.
In der Krankenhauslandschaft gibt es seit 2023 ein verstärktes Insolvenzgeschehen. Die Klinikreform soll dem durch Spezialisierung und Digitalisierung entgegenwirken.
Andreas Beivers, Professor für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius
Andreas Beivers ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius.

Herr Professor Beivers, warum brauchen wir in Deutschland eine Krankenhausreform?

Andreas Beivers: Unsere Krankenhausstruktur ist in weiten Teilen historisch gewachsen. Also, da hat sich nicht jemand überlegt: „Wo stellen wir denn da Krankenhäuser hin, wo macht das Sinn?“ Sondern der Sektor hat sich sehr lange so entwickelt, wie die Ressourcen es zuließen. Mit dieser langen Historie hatten wir sehr früh ein sehr gutes Gesundheitssystem. In den 70er- und 80er-Jahren und für die Medizin der damaligen Zeit war das wahrscheinlich vorbildlich. Damals hat der Chirurg von Kopf bis Fuß praktisch alles operiert. Die Menschen waren noch nicht so mobil wie heute, deswegen hatten wir viele 200-Betten-Häuser und alle wurden zum Stand der damaligen Zeit gut versorgt. Jetzt geht es aber um Spezialisierung und Digitalisierung, also um größere Einheiten. Und Gesundheitsversorgung hat heute viel mit Logistik zu tun, das heißt, die Planungsbehörden müssen sich fragen: An welchem Standort können wir die meisten Menschen gut versorgen? Unsere Krankenhausstandorte passen nicht mehr so richtig – von der baulichen Struktur, von der Logistik her – und deswegen müssen wir neu planen und neu bauen.

Die kleinen Kliniken werden wir immer noch brauchen, aber nicht mehr als Klinik, sondern als Nachsorgereinrichtungen in den Regionen. So etwas haben wir heute noch nicht, weil wir in Deutschland sehr stark auf niedergelassene Ärzte gesetzt haben, die wir künftig nicht mehr so haben werden.  Das ist wichtig: Ambulant heißt nicht, dass der Mensch nichts braucht, gerade in einer alternden Gesellschaft. Deswegen glaube ich, wir müssen die Krankenhäuser vom Land gar nicht schließen. Wir brauchen Kurzzeitpflege und ähnliche Angebote in jeder Region, etwa so, wie es in den Level-1i-Kliniken vorgesehen ist.

Wie kommt es, dass so viele Kliniken heute wirtschaftlich schlecht dastehen?

Beivers: Die aktuellen Insolvenzen haben verschiedene Gründe. Schon vor 20 Jahren gab es Webseiten mit dem Titel Kliniksterben.de. Dass Krankenhäuser sich verändern und einzelne geschlossen oder umgewidmet werden, ist ein ständiger Prozess. Allerdings sehen wir seit eineinhalb Jahren ein verstärktes Insolvenzgeschehen. Wir hatten schon vor der Pandemie Häuser, denen es ökonomisch nicht gut ging. Manche konnten sich dank der Covid-19-Freihaltepauschalen durch die Pandemie retten. Bei etlichen hing aber ihre Existenz schon Jahre vorher davon ab, ob die Kommune ihr angeschlagenes Klinikum unterstützen konnte oder nicht. Das hat bei einigen damit was zu tun, dass sie zu klein sind oder dass ihre Medizinstrategie ökonomisch nicht mehr aufging.

Hinzu kommen nun die aktuellen Entwicklungen bei Einnahmen und Ausgaben. Die Erlöse der Häuser sind wegen des Fallzahlenrückgangs in der Pandemie dramatisch gesunken, und die finanziellen Hilfen sind inzwischen ausgelaufen. Gleichzeitig müssen die Kliniken ambulantisieren, obwohl sie noch die stationären Kostenstrukturen haben. Auf der Kostenseite schlug außerdem die Inflation zu Buche, bei der Energie, aber auch bei Medizinprodukten und im Personalbereich. Die Problematik der aktuellen Krise besteht darin, dass es auch Krankenhäuser betrifft, die wir eigentlich für die Versorgung brauchten – wobei man sich die Insolvenzverfahren genauer anschauen muss. Die meisten Häuser bleiben ja in Betrieb. Aber die Gefährdung einer bedarfsnotwendigen Klinik ist natürlich ein Riesenthema.
 

Illustration für das Scrollytelling zur Krankenhausreform
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03.06.20252 Min

Warum wird jetzt der Bund aktiv?

Beivers: Krankenhausplanung ist Ländersache, Krankenhausfinanzierung ist Aufgabe des Bundes. De facto erlässt der Bundesgesetzgeber mit dem Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz (KHVVG) vor allem ein neues Vergütungssystem, und zwar ein Vergütungssystem, mit dem man Planung betreibt. Das ist der große Unterschied zur Reform im NRW, die nur eine Reform der Krankenhausplanung ist. Die Länder sind bei der Optimierung ihrer Klinikstrukturen in den vergangenen Jahren nicht in dem Maße aktiv geworden, wie sie es hätten sein sollen. Das hat der Bund schon richtig gesehen: Die Menschen werden alle älter, wir haben immer weniger junge Fachkräfte, die Kliniken selbst sind in die Jahre gekommen. Wir brauchen neue und größere Krankenhäuser, die besser ausgestattet sind für die Spitzenmedizin und in diesen Bereichen bessere Qualität gewährleisten. Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine niedrigschwellige Versorgung für die Menschen in den Regionen, eine funktionierende Notfallversorgung und gute Nachsorge.

Um das zu erreichen, hat der Bund sozusagen das DRG-System aufgerüstet. Wir kombinieren jetzt einen fallbezogenen Anreiz durch Residual-DRGs und das Selbstkostendeckungsprinzip in der Pflege mit einem sogenannten Vorhaltebudget. Damit haben wir drei Anreizkomponenten. Die Häuser bekommen praktisch nur noch eine Abrechnungslizenz für bestimmte Leistungen, wenn sie die entsprechenden Strukturkriterien erfüllen. Wie sich das auswirkt, weiß heute kein Mensch.

In der Folge müssen aber die Länder ihre Krankenhauspläne den Leistungsgruppen anpassen, also an die Vorgaben vom Bund. Drei Jahre lang können sie Ausnahmeregelungen machen, dann wird das scharfgestellt. Damit haben sie natürlich Probleme. Das KHVVG hat in den Leistungsgruppen teilweise Dinge vorgeschrieben, die gar nicht erfüllt werden können. Darüber wird noch viel gesprochen werden. Natürlich ist es normativ richtig, dass genügend Intensivpflegefachkräfte auf den Stationen arbeiten. Aber wenn es sie nicht gibt, dann muss die Station geschlossen werden. Solche Auswirkungen muss man abwägen.

„Gesundheitsversorgung hat heute viel mit Logistik zu tun.“

Andreas Beivers

Professor für Gesundheitsökonomie

Wo könnten Ausnahmen sinnvoll sein?

Beivers: Ich bin ja im Großen und Ganzem beim Bund. Die bundeseinheitlichen Qualitätskriterien und Vorgaben sind richtig. Manchmal wird man sie aber aufweichen müssen, weil es in der Region nicht anders geht. Und man muss ja auch den Regionen gewisse Freiheiten geben. Wenn es da einen mutigen Landrat gibt, der mit niedergelassenen Ärzten die Versorgung sicherstellt – aber irgendwie anders, als es die Leistungsgruppe vorsieht – warum sollen wir es verbieten, wenn es qualitativ gut ist? Starre Vorgaben machen ja Innovationen nicht unbedingt wahrscheinlicher.

Das KHVVG muss da einen gewissen Spannungsbogen schaffen: Einerseits sollte es gut begründete Ausnahmen geben, damit die Regionen auch mal selbst in die Verantwortung gehen und etwas ausprobieren können – ohne dass am Ende alle sagen „Bei uns ist immer Ausnahme". Auch für mich ist es schwer, das zu selektieren, aber da liegt der Hase im Pfeffer: zwischen normativ richtig gestalten und dabei die Freiheit in den Regionen zu erhalten, Dinge auszuprobieren.

Wird die Reform Ihre Ziele erreichen?

Beivers: Keine Reform hat je zu 100 Prozent ihre Ziele erreicht, aber ich glaube schon, dass es funktioniert. Es gibt bei den Beteiligten einen gewissen Common Sense. Alle sind sich einig, dass wir diese Reform brauchen. Wir müssen die Versorgung an die zukünftigen Bedarfe anpassen. Und wir können nicht jedes kleine Krankenhaus erhalten. Jetzt geht es darum, die Umsetzung voranzubringen und die Menschen vor Ort mitzunehmen: die Bevölkerung, die Landräte und auch die Pflegekräfte. Die großen Pfeiler sind gesetzt. Und es sind auch die richtigen.

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